Zur Geschichte und Aktualität eines politischen Begriffs Eine Rezension von Wolfgang Kastrup. Erschienen in DISS-Journal 38 (2019) Diese Frage stellen sich die drei Herausgeber*innen Alex Demirović, Susanne Lettow und Andrea Maihofer in der Einleitung ihres neu erschienenen Sammelbandes „Emanzipation. Zur Geschichte und Aktualität eines politischen Begriffs“ (der Band entstand im Auftrag der Assoziation für kritische Gesellschaftsforschung, Kassel). Neugierig habe sie gemacht, dass der Begriff Emanzipation kaum Gegenstand der Reflexion und einer vertiefenden Theoriebildung geworden sei. Eine kritische Diskussion über diesen Begriff könne sich deshalb lohnen. Der relativ kurze Beitrag von Isabell Lorey „Emanzipation und Schulden“ eignet sich als Einstieg in den Sammelband deshalb, weil die Autorin historisch-politische und etymologische Verbindungen zu dem Begriff herleitet. Sie bestimmt Emanzipation als Befreiung aus Macht- und Herrschaftsverhältnissen und als Befreiung von einem oder mehreren dominierenden Subjekten hin…
Eine Rezension von Wolfgang Kastrup. Erschienen in DISS-Journal 38 (2019) Francis Fukuyama, US-amerikanischer Politikwissenschaftler, ist durch sein umstrittenes Buch „Das Ende der Geschichte“ von 1992 international bekannt geworden. Die Kritik an seiner damaligen These, dass mit dem Ende des Kommunismus die liberale Demokratie unwiderruflich den Sieg davongetragen habe, diese Kritik, so schreibt er in dem Vorwort zu seinem aktuellem Buch „Identität“ von 2019, beruhe auf einem Missverständnis: Er habe das Wort ‚Geschichte‘ hegelianisch-marxistisch „als langfristige evolutionäre Beschreibung menschlicher Institutionen“ gesehen, und das Wort ‚Ende‘ als „Ziel“ oder „Bestimmungsort“ für einen „liberalen marktwirtschaftlichen Staat“ im Sinne von Hegel. (12f.) Unabhängig von der Plausibilität des angeblichen Missverständnisses muss er zugeben, den Inhalt seines damaligen Weltbestsellers unter heutigen Verhältnissen umgeschrieben zu haben. (13) Das neue Buch wäre aber von ihm nie geschrieben worden, so bekennt er…
Das Dilemma der Kommunen am Beispiel von Mülheim an der Ruhr Von Peter Höhmann. Erschienen in DISS-Journal 38 (2019) Ganz selbstverständlich bezieht sich die kommunale Politik auf das „Gemeinwohl“ der Stadt, wenn es ihr darum geht, in eigener Verantwortung weiterhin das Funktionieren lokaler Standortbedingungen zu gewährleisten. In den Blick geraten darauf drei miteinander verbundene Sachverhalte: Zunächst eine politische Praxis, die im Sinne einer Erhaltung und Stabilisierung der bestehenden sozialen Verhältnisse erfolgt, aber die Parteinahme für eine einzelne Bevölkerungsgruppe systematisch ausschließen will. Weiterhin die Begründung politischer Eingriffe als vernünftig und im Interesse aller geboten. Beide Schwerpunkte unterliegen darüber hinaus dem politischen Eigeninteresse, in kommunaler Konkurrenz besonders dort zu intervenieren, wo der marktvermittelte Verteilungszusammenhang infrage gestellt ist. Dieser Punkt ist durchaus folgenreich und auf Kontinuität, weniger aber auf Konsequenzen der überkommenen ökonomischen Verhältnisse ausgerichtet. Die…
Von Markus Gante. Erschienen in DISS-Journal 38 (2019) Spätestens mit dem Besuch Alice Weidels in Schnellroda bei Götz Kubitschek wurde klar, dass die nunmehr eingebürgerte Trennung zwischen liberalen Restbestän- den aus Gründertagen und rechtem „Flügel“ innerhalb der AfD nicht aufrecht zu halten ist. Weidel sprach dort über das denkbar langweilig klingende Thema ‚Politik in Berlin‘. Die Rede klingt wie ein Bewerbungsgespräch und ist inhaltlich ungefähr so aufschlussreich wie ihr Buch Widerworte – Gedanken über Deutschland, aus dem sie ganze Passagen wortgleich in ihre Rede übernimmt. Sie liest ab, ist sich bewusst darüber, dass gerade an diesem Ort jedes Wort auf die Goldwaage zu legen ist, um nicht in die in ihren Schluss- worten beschworene „Radikalisierungs- falle“ zu tapsen, „aus der heraus wir die wahlentscheidende Mitte der Gesellschaft nicht mehr erreichen können.“ Die Rede…
Zum Architekturverständnis der Neuen Rechten am Beispiel der Zeitschrift CATO Von Dirk Dieluweit. Erschienen in DISS-Journal 38 (2019) Architekturkritik hat bei der Neuen Rechten einen hohen Stellenwert (vgl. Trüby 2019, 16), wie am Beispiel der Zeitschrift CATO aufgezeigt werden kann. Ihr spiritus rector, Karlheinz Weißmann, der Architekturkritiker Roger Scruton und der Architekt Léon Krier verfassen regelmäßig Artikel, in denen sie die moderne Architektur kritisieren. Da CATO Deutungsmuster der Neuen Rechten in der öffentlichen Debatte platzieren will, möchte ich im Folgenden die dort vertretene architekturtheoretische Position herausarbeiten und anschließend diskutieren, ob CATO dem eigenen Anspruch gerecht wird und eine menschengerechte Alternative zur modernen Architektur anbieten kann. Zunächst aber einige Bemerkungen zu CATO und zu den Konzepten der in CATO kritisierten Architektur, die unter dem Namen Bauhaus weltberühmt geworden ist. Die Zeitschrift CATO Karlheinz Weißmann…
Anmerkungen zur Bildungskritik von Josef Kraus Von Kim Kemner. Erschienen in DISS-Journal 38 (2019) Josef Kraus ist als Präsident des Deutschen Lehrerverbandes (DL) und über die Veröffentlichung einiger populärwissenschaftlicher Bücher zu Bildungsthemen bekannt geworden. Vor diesem Hintergrund ist er immer wieder Gast in Talkshows. Zum Ende seiner Amtszeit beim DL hin publizierte Kraus auch in Diskursorganen der Neuen Rechten wie der Zeitschrift Junge Freiheit und dem Cato-Magazin. In dem vom Alt68er Frank Böckelmann herausgegebenen Magazin TUMULT – Vierteljahresschrift für Konsensstörung veröffentlicht Kraus regelmäßig unter dem Schlagwort „Vergeigte Bildung“ Beiträge. Die Gegenwartsdiagnosen von Kraus passen grundsätzlich zur doppelten Stoßrichtung des Tumult-Magazins, zum einen der Kritik an Prozessen der Ökonomisierung und zum anderen an ‚von links‘ artikulierten egalitären, universalistischen, auf ‚Vielfalt’ gerichteten Werten. In Kraus’ Kritik am gegenwärtigen Bildungssystem und hiermit verknüpften Bildungsreformen zeigen sich…
Programmatische Vorstöße in Björn Höckes Kyffhäuserrede 2019 Von Stefan Rath. Erschienen in DISS-Journal 38 (2019) Höckes Rede auf dem diesjährigen Kyffhäusertreffen des völkisch-nationalistischen Flügel der AfD, welches unter dem Motto „Der Osten steht auf “ am 6. Juli 2019 in Leinefeld stattfand, eröffnete den AfD-Wahlkampf für die Landtagswahlen in Brandenburg, Sachsen und Thüringen. Die Veranstaltung erregte insbesondere aufgrund der Inszenierung und des Personenkults um Höcke Beachtung. In Folge wurde der Richtungsstreit innerhalb der Partei teilweise öffentlich ausgetragen. Mediale Aufmerksamkeit kam insbesondere den Teilen der Rede zu, in denen Höcke versprach, es werde keine Wiederwahl des jetzigen Bundesvorstandes in seiner bisherigen Zusammensetzung geben, und Teile der Partei, die er auf dem „Weg einer FDP zwei Komma null“ wähnt, angriff. In einem Appell schrieben daraufhin bekannte AfD-Funktionäre: „Die AfD ist und wird keine Björn-Höcke-Partei!“ Ihre…
Das DISS auf der Bundesgartenschau 2019. Erschienen in DISS-Journal 37 (2019) Heilbronn in Baden-Württemberg ist seit Anfang April 2019 nicht nur Schauplatz der diesjährigen Bundesgartenschau und somit Reflexionsort zum aktuellen Thema ‚Pflanze und Umwelt‘. Aufgrund einer langen Wirtschaftsgeschichte und an der Schnittstelle un-terschiedlicher Verkehrswege ist Heilbronn auch – mit einem Anteil von über 50 Prozent - die Stadt mit ‚Migrationshintergrund‘ an sich: „In der Stadt leben 140 verschiedene Nationen zusammen“, heißt es ist einer Broschüre zur Bundesgartenschau.Doch welchen Beitrag kann dabei die Kunst liefern? Die Frankfurter Projekt-Künstlerin Silke Wagner, die diese Frage im Auftrag des Heilbronner Kunstvereins beantworten sollte, hatte eine naheliegende wie überraschende Lösung. Bekannt wurde sie schon 2001 durch ihre demonstrative Verfertigung eines „Deportation“-VW-Busses und durch ihre Aktionen zu deutschen Abschiebepraktiken. In Heilbronn hat sie nun die beiden Themen ‚Migration‘ und…
Erschienen in DISS-Journal 37 (2019) Das diesjährige Kolloquium des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung (Akademie Frankenwarte, Würzburg, 22.-24. November 2019) ist der Trias von Entfremdung, Identität und Utopie gewidmet. Damit werden gesellschaftstheoretische und gesellschaftskritische Fragestellungen aufgegriffen, die in den letzten Jahren an Bedeutung gewonnen haben. Das Kolloquium thematisiert die gesellschaftlichen und diskursiven Kontexte, in denen diese Fragestellungen aufgeworfen werden, und will die theoretische und politisch-praktische Relevanz dieser kategorialen Trias überprüfen. 1. Der Entfremdungsbegriff (bzw. ein verwandter Begriff wie Verdinglichung) hat Konjunktur. Die Debatte reflektiert zum einen das neue Interesse an der Marx-Lektüre, das seit der Jahrtausendwende Ausdruck der Krisenprozesse ist, die die kapitalistische „Welt“ durchziehen und nach Erklärungsmustern suchen lassen. In diesem Zusammenhang wird auch das Verhältnis zwischen dem „frühen“ Marx und dem Marx der „Kritik der Politischen Ökonomie“, zwischen Entfremdungskritik und…
Oder: Ist Rhetorik für Demagogie verantwortlich? Eine Rezension von Jobst Paul. Erschienen in DISS-Journal 37 (2019) Auch wenn sich Patricia Roberts Miller’s kurzes Essay Demagoguery and Democracy als Analyse des Phänomens Trump anbietet, so geht ihre Absicht doch eher dahin, die kulturellen Bedingungen in den Fokus zu rücken, die Demagogie erst möglich machen, und Gegenmittel zu formulieren. Roberts Miller lehrt Rhetorik an der Universität Austin in Texas. Sie bestreitet die Annahme, dass Demagogen aufgrund der bloßen Kraft ihrer Persönlichkeit und ihres Charismas hervortreten. Vielmehr bieten Zeiten, in denen die Öffentlichkeit selbst in ihrer Breite polarisierend argumentiert, Demagogen die Chance zum Aufstieg. Ihnen geht daher ein gesellschaftlicher Verlust an eigentlicher Dialogfähigkeit voraus. Damit aber sieht sich Roberts-Miller umgekehrt genötigt, einige Merkmale von eigentlicher ‚Dialogfähigkeit‘ und der gewünschten demokratischen Erwägungskultur zu formulieren, die nicht –…