Oder: Ist Rhetorik für Demagogie verantwortlich?
Eine Rezension von Jobst Paul. Erschienen in DISS-Journal 37 (2019)
Auch wenn sich Patricia Roberts Miller’s kurzes Essay Demagoguery and Democracy als Analyse des Phänomens Trump anbietet, so geht ihre Absicht doch eher dahin, die kulturellen Bedingungen in den Fokus zu rücken, die Demagogie erst möglich machen, und Gegenmittel zu formulieren. Roberts Miller lehrt Rhetorik an der Universität Austin in Texas. Sie bestreitet die Annahme, dass Demagogen aufgrund der bloßen Kraft ihrer Persönlichkeit und ihres Charismas hervortreten. Vielmehr bieten Zeiten, in denen die Öffentlichkeit selbst in ihrer Breite polarisierend argumentiert, Demagogen die Chance zum Aufstieg. Ihnen geht daher ein gesellschaftlicher Verlust an eigentlicher Dialogfähigkeit voraus.
Damit aber sieht sich Roberts-Miller umgekehrt genötigt, einige Merkmale von eigentlicher ‚Dialogfähigkeit‘ und der gewünschten demokratischen Erwägungskultur zu formulieren, die nicht – wie für Habermas – von einer erst noch kommenden Herrschaftsfreiheit der Kommunikation abhängt.
Diese Aufgabe wird nach Roberts-Miller dadurch kompliziert, dass die Untersuchenden ihr Urteil, ob es sich um Demagogie handelt, oft davon abhängig machen, ob die in einer Rede vermeintlich vermittelten Werte ihnen zusagen oder nicht. Oft fallen dann die Untersuchenden selbst in die Falle, wenn sie selbst das Hauptmerkmal von Demagogie, die Reduktion auf eine Wir-Sie-Binarität, auf die eigenen guten bzw. die anderen bösen Redner applizieren.
Stattdessen möchte Roberts-Miller die Aufgabe umfassender formulieren, nämlich als Frage, in welchem Ausmaß die öffentliche Erwägungskultur insgesamt das Mittel der Wir-Sie-Binarität einsetzt, inwiefern also – zugespitzt – eigentlich jeder/jede zum Mittel der Demagogie greift und greifen kann. Mit Blick auf eine eigentliche Dialogfähigkeit dreht daher die Autorin den Spieß um: Danach ist jeder/jede für sich dafür verantwortlich, sich demagogischer Mittel zu enthalten.
Das dürfte aber nur möglich sein, wenn jeder/jede vertieftes Wissen über die Funktionsweise von Wir-Sie-Binaritäten erwerben kann und so die eigene Verstrickung in sie erfahren kann.
Unversehens aber scheint die Autorin gerade um diese entscheidende Aufgabe herum kommen zu wollen, indem sie doch wieder in sehr traditionell-rhetorischer Weise die Einübung gutwilliger rednerischer Haltungen empfiehlt, wie die Fairness den Gegnern gegenüber, die Verantwortung für das Gesagte, die Konsistenz der Rede und die Pflicht, das Gesagte der Überprüfung auszusetzen.
Es ist vermutlich kein Zufall, dass ein solcher Ansatz dann die Räume der Demagogie und die des fairen Austauschs (das wäre dann die konventionelle Rhetorik) als geschiedene Welten betrachten kann.
Die Rhetorik hätte dann für Demagogie letztlich keine Verantwortung und würde in einem gegen Macht und Herrschaft abgeschirmtem Raum agieren. Natürlich kann man einen solchen Versuch, die durchaus fragwürdigen Mittel von Rhetorik über die Distanzierung von Demagogie zu immunisieren, nicht stehen lassen. Die Fiktion der klassischen Bildung, es gebe einen Raum der ‚reinen‘, guten Rhetorik hat noch nie geholfen, die Ausbreitung demagogischer Rhetoriken aufzuhalten – sie ließ ihnen eher noch Raum. Erst wenn die universitäre Rhetorik die konkrete analytische Dekonstruktion des binären Wir-Sie-Syndroms in ein vor allem auch selbstkritisches Programm übernimmt, wird sie den Anspruch erheben können, etwas gegen Demagogie getan zu haben.
Immerhin kann Patricia Roberts Millers Essay als eine rare Wortmeldung zu dieser noch immer schwelenden Hypothek aus der rhetorischen Disziplin selbst gelten und verdient daher unbedingtes Interesse.
Patricia Roberts-Miller:
Demagoguery and Democracy.
New York: Experiment, 2017. 135 pp. $9.95 (cloth), ISBN 978-1-61519-408-7.