Eine Rezension von Michael Lausberg, erschienen in DISS-Journal 30 (2015) Das normative Extremismuskonzept wird wegen seiner Eindimensionalität der komplexen gesellschaftlich-politischen Wirklichkeit kaum gerecht. Eine neuere Untersuchung über den Wandel und die Funktion des Begriffes von 1968 bis 2001 zeigt dessen funktionale Unzulänglichkeit. Dieses Buch, das im Rahmen des Forschungsseminars „Repräsentation sozialer Ungleichheit und sozialer Konflikte“ an der TU Dresden entstanden ist, thematisiert die Extremismussemantik in der BRD und will sich „historisch-empirisch mit der konkreten Wechselseitigkeit politischer Umstände, der Funktion und dem Wandel“ des Extremismusbegriffs auseinandersetzen. Es werden seine etymologischen Wurzeln untersucht, die Evolution des Diskurses anhand signifikanter diskursiver Ereignisse zwischen 1968 und 2001 nachgezeichnet und schließlich die „analytische Untauglichkeit des Begriffs“ (14) offengelegt. Methodisch wird auf die Ansätze der kritischen Diskursanalyse Siegfried Jägers und der Normalismustheorie Jürgen Links sowie auf die historisch-semantische Herangehensweise…
- zu ‚jüdischer Rache‘ und ‚christlicher Liebe‘ Von Jobst Paul, erschienen in DISS-Journal 30 (2015) In seiner Rede zum 70. Jahrestag der Befreiung des KZ Bergen-Belsen (vom 26.04.2015) verwendete Bundespräsident Joachim Gauck die judenfeindliche These, das Judentum als Religion von Rache und Vergeltung sei vor 2.000 Jahren vom Christentum und seiner ‚besseren Parole‘ abgelöst worden. In einem Schreiben appellierte Jobst Paul an den Bundespräsidenten, es nicht dabei zu belassen, solche Stereotypen nicht mehr zu verwenden, sondern von seinem „Amt aus kraftvoll einen Prozess anzustoßen, der die ethische Schätzung des Judentums, sein ethisches Gewicht in die Mitte unseres kulturellen Dialogs stellt“. In der Antwort des Bundespräsidialamts heißt es, dass beide Hinweise dort „respektiert“ würden. Duisburg, den 11. Mai 2015 Sehr geehrter Herr Bundespräsident, bitte, erlauben Sie mir, dass ich mich wegen einer Einzelheit in…
Diskursanalytische Betrachtung der Berichterstattung über Angriffe auf Synagogen Von Melanie Wieschalla, erschienen in DISS-Journal 30 (2015) Wie Zeit Online am 5.5.2015 vermeldete, ist 2014 die Zahl antisemitischer Straftaten mit 1.596 Fällen um 25 Prozent zum Vorjahr gestiegen. Dabei richteten sich die Angriffe gezielt auf jüdische Gemeinden, darunter auch auf Synagogen (BMI 2015). Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und der Shoah stellt sich die Frage, ob und wie der Mediendiskurs auf diese Zunahme reagiert, wie die Täterinnen und Täter innerhalb der deutschen Gesellschaft positioniert werden und welche weiteren Diskurse in diesem Zusammenhang virulent sind. Dies waren einige Fragestellungen, denen in einer Diskursanalyse von Online-Medienportalen nachgegangen wurde und deren (Teil-)Ergebnisse im Folgenden dargestellt werden. ((Die Analyse umfasste insgesamt 114 Artikel, die im Zeitraum April 2013 bis März 2015 in folgenden Online-Portalen erschienen sind: BILD;…
Eine Rezension von Stefan Vennmann, erschienen in DISS-Journal 30 (2015) Wolfgang Wippermann bietet mit seinem neuen Buch Niemand ist ein Zigeuner. Zur Ächtung eines europäischen Vorurteils eine ausführliche Übersicht zum Themenkomplex des europäischen Antiziganismus an. Er stellt die Geschichte des Antiziganismus vom Mittelalter über die Aufklärungsphilosophie bis hin zur Vernichtung von Sinti_za, Rom_nija und anderen als „Zigeuner“ Stigmatisierten im Nationalsozialismus zusammenfassend dar. Er geht ein auf die verweigerte Wiedergutmachung, die antiziganistische Politik west- und osteuropäischer Staaten sowie auf den Kampf der Selbstorganisationen um Anerkennung und ergänzt seine Darstellung um eine Kritik der historischen Tsiganologie und der gegenwärtigen Antiziganismusforschung. Das Buch ist deshalb besonders interessant, weil es durch eine klar verständliche Sprache, die sich nicht in der Aneinanderreihung wissenschaftlicher Fachbegriffe verliert, auch für solche Personen lesenswert ist, die sich weder mit Antiziganismus noch mit…
Von Robin Heun, erschienen in DISS-Journal 30 (2015) Über 40 Jahre lang haben Menschen aus dem Umfeld der Friedensbewegung ein Denkmal für ein Infanterieregiment des Ersten Weltkriegs auf dem Duisburger Kaiserberg kritisiert und dessen Beseitigung gefordert. (Vgl. DISS-Journal 27, 2014). Der Anlass für die Kritik waren kriegsverherrlichende und nationalistische Inschriften des 1933 errichteten Denkmals. Immerhin wurden bereits im Zuge der Entnazifizierung zwei kleine Hakenkreuze vom Sockel des Denkmals entfernt. Im Jahr 2013 hatte ein städtisches Amt das Denkmal aufgrund von Witterungsschäden partiell abgebaut und eingezäunt. In der Presse kursierte das Gerücht von einer Restaurierung. ((Vgl. BILD RUHRGEBIET vom 14.03.2014; „Ein friedlicher Eisbär auf einem Kriegsdenkmal“, WAZ vom 09.01.2014)) In dieser Zeit kam es zu einer Episode der kreativen, subversiven Umnutzung des Kriegsdenkmals: Unbekannte Personen begannen große und kleine Eisbären sowie andere Kuscheltiere auf…
Der Landesverband NRW der Alternative für Deutschland Von Clemens Schaar, erschienen in DISS-Journal 30 (2015) Auf ihrem Landesparteitag Ende August 2015 unterstrich die nordrhein-westfälische AfD noch einmal deutlich, dass der eingeschlagene Rechtskurs auch zukünftig weiterverfolgt werden soll. Der bisherige Landessprecher Marcus Pretzell wurde im Amt bestätigt und hat nun mit Martin Renner als gleichberechtigtem Landessprecher einen Gleichgesinnten zur Seite. Die beiden Politiker eint ihre ablehnende Haltung zum Islam und zur Zuwanderung sowie ihre Sympathien für die britischen Rechtspopulisten von UKIP. ((Für Renner bedeutet die Wahl zum Landessprecher ein Comeback, nachdem er Ende 2013 nach dem Zerwürfnis mit dem damaligen, eher liberalen Landessprecher Alexander Dilger als dessen Stellvertreter abgewählt worden war. In der Zwischenzeit trat Renner als Unterzeichner der „Erfurter Resolution“ des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke in Erscheinung, die das ideologische Gegenstück zu Bernd…
- Kampf um den Nahen Osten Von Ismail Küpeli, erschienen in DISS-Journal 30 (2015) Am 28. September 2014 begann der Islamische Staat (IS) den Angriff auf die kleine Grenzstadt Kobanê in Rojava/Nordsyrien. Angesichts der vorhergehenden IS-Siege im Irak und in Syrien, in denen Millionenstädte wie Mossul innerhalb weniger Tage erobert wurden, schien die Schlacht um Kobanê keine große Bedeutung zu haben. Kaum ein_e westliche_r Beobachter_in hätte im Vorfeld erwartet, dass ein paar hundert kurdische Kämpfer_innen die Stadt über vier Monate halten könnten und der IS hier seine erste große Niederlage einstecken würde. Nachdem aber Kobanê entgegen der Erwartungen nicht in kurzer Zeit fiel und die PKK-nahen kurdischen Kämpfer_innen die Stadt halten konnten, wurde die Weltöffentlichkeit auf den Konflikt aufmerksam. Einige Wochen lang wurde hastig berichtet, emotional bewegende Bilder wurden eingefangen und herumgereicht -…
- eine zivilgesellschaftliche Institution nachhaltiger Menschlichkeit Von Heiko Kauffmann, erschienen in DISS-Journal 30 (2015) Seit 1990 sind über 25.000 Menschen im Mittelmeer bei dem Versuch ertrunken, nach Europa zu gelangen („Fortress Europe“ und Fabrizio Gatti). Nach Schätzungen der französischen Geheimdienste ist die Zahl noch viel höher: Sie gehen bei einer hohen Dunkelziffer von einer Überlebenschance von 75 Prozent aus. Nach dieser Rechnung verliert jeder vierte Flüchtling beim Versuch, nach Europa zu gelangen, sein Leben. Danach käme man seit 2008 auf eine Zahl von über 40.000 Toten. Allein seit Anfang 2015 haben jetzt mehr als 100.000 Menschen ihr Leben bei dem Versuch riskiert, Europa von Libyen aus über das Mittelmeer zu erreichen. Dabei kamen fast 3.000 Menschen ums Leben. All diese Toten waren und sind Opfer eines martialischen Grenzregimes, Opfer einer staatlich organisierten und…
Feldforschung in den mobile Commons ((Nikos Trimikliniots, Dimitris Parsanoglou, Vassilis S. Tsianos 2015: Mobile Commons, Digital Materialities and the Right to the City, London: Palgrave-Pivot Series Mobility and Politics (MPP).)) Von Vassilis S. Tsianos, erschienen in DISS-Journal 30 (2015) Transnationale Räume sind derzeit der Schauplatz von Kämpfen um Mobilität, d.h. um gelebte ‚Heterotopien‘ (Foucault), die sich der Regulierung widersetzen. Indem an einzelnen Orten mehrere untereinander bisher inkompatible Räume und Plätze miteinander in Beziehung gesetzt werden, wächst diesen ‚Gegenräumen‘ Macht zu. Ihnen entspricht die Transmedialität, d.h. das Ineinandergreifen unterschiedlicher Medien wie Facebook, Handy, Satellitenfernsehen, Skype usw., mit deren Hilfe eine Politik der Zeugenschaft in den Transiträumen ermöglicht wird. Transmedialität eröffnet unter den asymmetrischen Bedingungen der Flucht aber nicht nur die Möglichkeit zur Mobilität – sie ist vielmehr lebensrettend. Im Folgenden soll anhand von zwei…
Der Migrations- und Fluchtdiskurs in italienischen Medien Von Jörg Senf, erschienen in DISS-Journal 30 (2015) Über zweieinhalb Jahrzehnte waren es vornehmlich Bilder aus Italien, die den europäischen Mediendiskurs zum Thema Flüchtlinge speisten. Die kontinuierlich an die süditalienischen Küsten drängenden „vollen Boote“ – 1991 aus Albanien, später vor allem aus Nordafrika – boten eine Kollektivsymbolik, ((S. dazu: Das „Sysykoll“. Kollektivsymbolik als diskurstragende Kategorie, am Beispiel von Konfliktdiskursen. In: Margarete Jäger / Siegfried Jäger 2007: Deutungskämpfe. Theorie und Praxis Kritischer Diskursanalyse Wiesbaden: VS Verlag. 39-59, besonders 47.)) an der sich je nach örtlicher und politischer Distanz unterschiedliche Reaktionen, Ängste und Medienereignisse festmachen ließen. Mit der Verschiebung der Fluchtbewegungen von der zentralen Mittelmeerroute, insbesondere auf dem Balkan-Landweg nach Nordeuropa, ist nun – im September 2015 – eine Inversion in der Bildspende eingetreten: Es sind Bilder aus…