Von Guido Arnold Grundsätzlich klingt ‚Vernetzung‘ erstrebenswert und sinnvoll. Isolierte Individuen mit spezifischen Interessen können sich überregional im Netz ‚finden‘ und ‚austauschen‘. Aber was sind die Bedingungen für Teilhabe an solch einem Austausch und wie formen diese die dort verbundenen Subjekte? Wer ist wie sichtbar? Wie verbreiten sich (Des-)Informationen im Vergleich zu nicht-virtuellen Öffentlichkeiten? Welche Dynamik entwickelt sich bei den ‚Bewohner:innen‘ bzw. ‚Besucher:innen‘ virtueller sozialer Räume? Und last but not least: Wer legt die Metrik, also das zugrundeliegende Regelwerk für die Interaktion in diesen Räumen fest? Eine umfassende Bestandsaufnahme gestaltet sich schwierig: Während Blogger:innen die Möglichkeit virtueller Kommunikation für den Kampf zur Demokratisierung öffentlicher Diskurse nutzen und als das „Werkzeug für Protestierende“ propagieren, wird der Handlungsraum zivilgesellschaftlicher Organisationen und Aktivist:innen weltweit zunehmend enger.1 Instagram, Facebook und Twitter entwickeln sich (teils in den gleichen…
Nicht-militärische Resistenzen Von Guido Arnold Vielfach belächelt und als ›aus der Zeit gefallen‹ diskreditiert: eine fundamentale Ablehnung (der Logik) des Krieges, ob pazifistisch motiviert oder aus einem (militanten) Antimilitarismus heraus. Es gibt sie dennoch, die nicht-militärischen Widerstände, die darauf abzielen, Kriege zu blockieren, zu sabotieren und zu desertieren. Es gibt sie in Russland, in der Ukraine und auch hier in Deutschland. In Belarus bestimmen sie sogar maßgeblich das Kriegsgeschehen – nicht weil sie im Sinne eines Partisaninnenkampfes eine unüberwindbare, quasi-militärische Stärke entwickeln, sondern weil sie manifeste Risse einer ohnehin angeschlagenen ›Gefolgschaft‹ gegenüber dem Lukaschenko-Regime darstellen und eine brüchige ›Heimatfront‹ glaubhaft zersetzen. Die in Weißrussland breit getragene Kriegsablehnung hält Putin und Lukaschenko (bisher) von einer aktiven Beteiligung der belarussischen Armee an direkten Kampfhandlungen ab. In einer Zeitenwende der nahezu ungebremsten Militarisierung Europas können nicht…
Von Guido Arnold Neue Technologien nehmen einen wachsenden Einfluss auf die Formierung von Subjekten. Vielfach werden insbesondere die hohe Transformationsgeschwindigkeit einer disruptiven Entwicklung sowie die systematische Vereinnahmung der Aufmerksamkeit als problematisch für eine ‚demokratische Subjektivierung‘ angesehen. Tatsächlich stellen KI-gestützte Psychotechnologien perspektivisch die Grundlage für politisches Handeln, nämlich die politische Willensbildung in Frage. Ein Plädoyer gegen das ‚nudging‘. Autonomie und die ‚Illusion des freien Willens‘ Es ist eine immer wiederkehrende Diskussion unterschiedlicher Schulen mit unterschiedlichen Begriffsbildungen: Gibt es so etwas wie einen „freien Willen“ oder ist diese Form der individuellen Autonomie eine Illusion? Diese Frage ist von unmittelbarer Relevanz für unser Autonomieverständnis in Bezug auf automatisierte Empfehlungs- und Entscheidungssystme, um die es diesem Artikel eigentlich geht. Dem Philosophen Gaspard Koenig ist mit „Das Ende des Individuums“ eine gute interdisziplinäre Zusammenstellung aktueller Forschung zur Frage…
Der neoreaktionäre und neonazistische Hintergrund der weltweit leistungsfähigsten Gesichtserkennungstechnologie Von Guido Arnold New York Times und Huffington Post hatten im Frühjahr 2020 nach aufwändigen Recherchen enthüllt1, wer hinter der Entwicklung der Gesichtserkennungssoftware Clearview AI steckt: sogenannte Neoreaktionäre mit engen Verbindungen zu Ultrarechts-Libertären wie z.B. Peter Thiel sowie führenden, in den USA organisierten Faschisten. Dieser Artikel soll einige wesentliche Stationen der Entstehungsgeschichte des Start-ups nachzeichnen und dabei die vielschichtigen personellen Verwicklungen aufzeigen, aber vor allem die Interessenkohärenz bei der zielgerichteten Entwicklung von biometrischer Überwachungssoftware, um „jeden illegalen Ausländer im Land zu identifizieren“. Clearview AI ist ein Paradebeispiel für die Nicht-Neutralität von Technologie. Die Entstehungsgeschichte des Unternehmens lässt eine Reduzierung der Frage nach Nutzen und Schaden technologischer Innovation auf deren jeweilige Anwendung geradezu absurd erscheinen. Clearview AI ist eine Art Suchmaschine für Gesichter. Sie ist…
Von Guido Arnold Das Regime von Alexander Lukaschenko hat sich seit Februar zum Komplizen der russischen Aggression gegen die Ukraine gemacht und sein Territorium als Aufmarschgebiet für die Invasion zur Verfügung gestellt. Das belarussische Militär selbst ist jedoch (noch) nicht direkt in aktive Kampfhandlungen eingestiegen. Die wichtigste Kriegsabschreckung – eine nahezu völlige Ablehnung der belarussischen Gesellschaft gegenüber einer Beteiligung am Krieg. Die prägnanteste Form der weißrussischen Antikriegsbewegung sind massive Widerstandsaktionen gegen das Eisenbahnnetz des Landes. Als Reaktion auf die russische Invasion in der Ukraine schwappte eine Welle der Sabotage über das Land: Kriegsgegnerinnen versuchten, die Eisenbahnen unbrauchbar zu machen, um zu verhindern, dass russisches Militärgerät durch belarussisches Gebiet fährt. Nach Angaben des belarussischen Innenministeriums wurden bereits 80 Sabotageakte verübt. Unabhängige Medien bezeichneten diese Kampagne als neuen „Eisenbahnkrieg“ – die Bezeichnung für belarussische Partisanenangriffe…
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›Smarte Ökologie‹ Von Guido Arnold So wie es (geplant) ist, kann es nicht bleiben. Die weltweit ergriffenen und angestrebten Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels reichen schlicht nicht aus. Die Energiewende verläuft nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur (IEA) weltweit viel zu langsam. Mit den derzeitigen Plänen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen gelänge der Weltgemeinschaft bis zum Jahr 2050 gerade einmal eine Verringerung von 40 Prozent (statt der im Pariser Abkommen von 2015 geplanten 100%). Dies würde den globalen Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts im günstigen Szenario auf 2,1 Grad begrenzen. Im ungünstigen Fall berechnen die Wissenschaftler*innen eine Erwärmung um 2,6 Grad im Vergleich zu vorindustrieller Zeit, mit womöglich katastrophalen Folgen.1 Um das eigentlich angestrebte 1,5-Grad-Ziel noch halten zu können, müsste die Welt die jährlichen Treibhausgas-Emissionen in den nächsten acht Jahren halbieren. Noch nie seit Beginn…
von Guido Arnold Am 9. April 2021 widersprach der Ethikrat dem Gesundheitsminister bei seinem Vorhaben, bereits Geimpften ‚Impfprivilegien‘ zuzugestehen. „Das wäre frühestens in Ordnung, wenn alle die Chance hatten, sich impfen zu lassen oder alternativ mithilfe von Tests Freiheiten zurückzubekommen“, so Sigrid Graumann, Mitglied des Deutschen Ethikrates. Gesundheitsministerium, Jurist:innen und Wirtschaftsvertreter:innen kontern, es gehe nicht um Privilegien, sondern um das Gewähren von Rechten (für einige), die zuvor (allen) genommen wurden. Es sei also keine privilegierte Sonderbehandlung, sondern die Beendigung einer Einschränkung, die für die derzeitige Minderheit der Geimpften nicht mehr länger virologisch begründbar wäre. Die wissenschaftliche Basis für diese Einschätzung ist nicht einwandfrei. Doch es gibt offenkundig noch eine andere Ebene als die individuelle, virologische Ansteckungsfähigkeit: „Wenn bei 11 Prozent Geimpften darüber diskutiert wird, dass diejenigen, die geimpft sind, Dinge tun dürfen, die…
Teil II: CORONA-TESTVERFAHREN Von Guido Arnold Es ist derzeit unklar, wann und sogar ob es einen wirksamen Impfstoff gegen das sich verändernde Corona-Virus Sars-CoV-2 geben wird. Nach aktuellem Forschungsstand ist (abhängig von der Schwere des Verlaufs der Krankheit Covid-19) nicht einmal eine andauernde Immunität bereits Infizierter gegeben. Die Folgen der Krankheit für Herz, Lunge und Hirn können schwerwiegend sein - selbst bei vermeintlich leichter Erkrankung jüngerer „Nicht-Risiko-Patient*innen“. Weltweit wird „bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffes“ auf PCR- und (neuerdings) Antigen-Tests gesetzt, um akute Infektionen zu erkennen. Viele Länder wählen zusätzlich Smartphone-Apps zur Kontaktnachverfolgung, um ein individuelles Infektionsrisiko abzuschätzen und Infektionsketten nach Möglichkeit zu unterbrechen. Zusätzlich sollen Antikörpertests eine (zeitlich begrenzte) „Immunität“ als Unbedenklichkeitsnachweis bescheinigen. Dieser Text zeigt auf, wie (absehbar) wenig geeignet die derzeitige Nutzung dieser Techniken zur Bekämpfung der Pandemie ist. Ich sehe…
Impfdebatte in Frankreich und Deutschland Lesen in DISSKursiv...