Rede zum 35. Geburtstag des DISS

gehalten von Dr. Margarete Jäger am 10.12.2022 im Sportpark Duisburg

anlässlich des Jahreskolloquiums „Der Krieg in der Ukraine und seine gesellschaftlichen Folgen“

In diesem Jahr feiern wir den 35. Geburtstag des DISS. Das ist schon eine ganz schön lange Zeit und auch ein Grund, Bilanz zu ziehen, aber auch zu feiern.

Als Siegfried Jäger 1987 das DISS zusammen mit anderen engagierten Wissenschaftler*innen und Studierenden gegründet hat, sah es in Westdeutschland vielfach noch recht anders aus. Ich erinnere mich zum Beispiel, dass wir uns damals an dem Boykott der Volkszählung beteiligt haben, die wir als Einschränkung unserer Bürgerrechte ansahen. Aus heutiger Sicht erscheint manchen von uns dieser Protest ziemlich antiquiert.

Doch gab es Ende der 1980er Jahr bereits eine gesellschaftliche Entwicklung, die sich leider bis heute gehalten hat und mit der wir es also immer noch zu tun haben. 1989 zog die rechtsextreme Partei „Republikaner“ in das EU-Parlament ein, heute haben wir es mit NPD, mit Parteien wie „Die Rechte“ oder „Der III. Weg“, aber vor allem seit einigen Jahren mit der AfD zu tun und erst vor wenigen Tagen wurde ein von den Reichsbürger*innen geplanter Regierungsumsturz vereitelt.

Dann gab es Anfang der 1990er Jahre eine emotional aufgeladene Debatte um das Asylrecht, in deren Verlauf Geflüchtete und ihre Unterkünfte, aber auch hier wohnende Einwander*innen angegriffen wurden: Die Ereignisse von Hoyerswerda, Hünxe, Rostock und Solingen waren dabei herausragend. Das Resultat dieser Debatte war eine massive Einschränkung des Grundrechts auf Asyl.

2015 haben wir erneut eine Debatte um Geflüchtete erlebt, die mit Gewalt gegen Einwander*innen und Geflüchtete verbunden war und deren Ergebnis von politischer Seite weitere Einschränkungen des Asylrechts waren.

Vor diesem Hintergrund könnte man also vermuten, dass unser Engagement nichts gebracht hat.

Das würde ich aber so nicht sagen.

Wir haben es zwar zurzeit mit einer massiven Rechtsentwicklung zu tun, doch im Unterschied zu der Situation vor 35 Jahren gibt es auch Kritik und Widerstand dagegen. Diesem Gegendiskurs kann durch kritische Wissenschaft zugearbeitet werden. Ich denke dabei nicht nur an die Rechtsextremismus- und Rassismusforschung, sondern auch an die kritische Migrationsforschung, die es in diesem Umfang vor 35 Jahren noch nicht gab. Doch zeigen uns natürlich die weltweiten Entwicklungen auch, dass es hier noch eine Menge zu tun gibt.

Das DISS hat in den vergangenen 35 Jahren zahlreiche Projekte durchgeführt und viele Bücher veröffentlicht. Wir haben ein umfangreiches Archiv extrem rechter Publikationen aufgebaut. Ich will und kann hier jetzt nicht ins Detail gehen. Ich will eigentlich nur auf zwei Dinge hinweisen.

Von Beginn an war unsere wissenschaftliche Arbeit „gegen den Strich“ auf Kooperationen mit anderen Wissenschaftler*innen und zivilgesellschaftlichen Organisationen angelegt. Dazu haben wir zum einen Workshops und Kolloquien veranstaltet, heute treffen wir uns hier zu einem solchen Kolloquium. Zum anderen haben wir mit unserer Institutszeitschrift DISS-Journal diese Zusammenarbeit mit kritischen Wissenschaftler*innen und Journalist*innen zu institutionalisieren versucht. Im Laufe der Jahre haben wir mit vielen Personen und Institutionen zusammengearbeitet. Ich will und kann hier nur beispielhaft einige nennen.

Von Beginn hat gab es einen intensiven Austausch mit der Zeitschrift kultuRRevolution. Insbesondere Jürgen Link hat uns viele inhaltliche Anregungen gegeben, die in unsere Arbeit eingegangen sind und sie prägen. Aber auch das das Steinheim-Institut für jüdische Studien oder die Rosa Luxemburg-Stiftung sind hier zu nennen und seit Jahren besteht auch eine intensive Kooperation mit dem Forschungsschwerpunkt Rechtsextremismus und Neonazismus (Forena) an der Hochschule Düsseldorf.

Hinter diesen Bemühungen stand und steht die Auffassung, dass keiner von uns den Stein der Weisen für sich gepachtet hat, sondern dass die Kritik an den bestehenden Verhältnissen aus verschiedenen Perspektiven heraus notwendig ist, um erfolgreich zu werden.

Dennoch glaube ich sagen zu können, dass das DISS in den vergangenen 35 Jahren auch ein eigenständiges Profil entwickelt hat, mit dem wir uns über Duisburg hinaus einen Namen gemacht haben. Damit meine ich zum einen die Entwicklung der Kritischen Diskursanalyse. Die KDA versteht sich als ein Konzept qualitativer Sozialforschung, das insbesondere von den Schriften Michel Foucaults inspiriert ist und Vorschläge enthält, wie sich Diskurse analysieren und interpretieren lassen. Das Buch, in dem das Konzept dargelegt wird, erscheint mittlerweile in der 7. Auflage und wird zurzeit von einer Arbeitsgruppe erweitert und überarbeitet.

Doch die KDA ist nicht das einzige Resultat, mit dem das DISS identifiziert wird. Die Ausarbeitungen zum völkischen Nationalismus als Konzept, mit dem nationale und nationalistische
Positionen erfasst und kritisiert werden können, sind heute gleichfalls prägend für die bundesdeutsche Rechtsextremismus-Forschung.

Zusammengefasst kann man also sagen, dass die Arbeitsschwerpunkte des DISS auf der Analyse jeglicher Ausgrenzungsdiskurse liegen sowie auf der Weiterentwicklung des methodischen und inhaltlichen Instrumentariums, mit dem diese Diskurse erfasst und kritisiert werden können.

Doch all diese Arbeit kann und konnte nur mit einem engagierten Team geschehen. Ohne die ehrenamtlichen Mitarbeiter*innen und zahlreichen Praktikant*innen, aber auch die Mitglieder unseres Förderkreises lässt sich das Projekt DISS nicht stemmen. Und so bin ich sehr zuversichtlich, dass wir auch in den nächsten Jahren die bundesdeutsche Politik kritisch begleiten werden.


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