Mehr Krieg, um den Krieg zu beenden?

Europas grüne Parteien auf bellizistischen Irrwegen Von Rositsa Kratunkova Einen Monat nach Kriegsbeginn hat der IPCC, eine internationale Expert*innenengruppe der UNO, die sich mit dem Klimawandel befasst, den dritten Teil seines sechsten Berichts veröffentlicht, der sich mit den möglichen Lösungen zur Vermeidung einer planetarischen Katastrophe befasst. Doch nur wenige Politiker*innen in Europa haben den Bericht zur Kenntnis genommen und sich mit der Dringlichkeit der Situation auseinandergesetzt, die nach Ansicht der Expert*innen nur drei Jahre Zeit zum Handeln lässt. Während ihrer fast dreistündigen Debatte widmeten die beiden Anwärter*innen auf die französische Präsidentschaft, Marine Le Pen und Emmanuel Macron, der Klimafrage nur 18 Minuten. Das zeigt, dass sie eindeutig keine Priorität hat. Man könnte argumentieren, dass dies auf die Invasion in der Ukraine zurückzuführen ist und ihre weitreichenden Folgen. Andere wichtige Themen wurden in den…

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Der Krieg – ›Vater‹ der Klimawende oder Brandbeschleuniger der Klimakatastrophe?

Anmerkungen zu diskursiven Verknotungen von Sicherheits-, Notstands- und Klimapolitik. Von Tino Heim Klimaschutz mitten im Krieg! Eine harte nationale Aufgabe für ›deutsche Männer‹? Frei nach dem Heraklit zugeschriebenen Denkspruch, der Krieg sei der ›Vater aller Dinge‹, knüpfen sich an Russlands Angriffskrieg gegen die Ukraine und die in der deutschen Politik ausgerufene Zeitenwende erstaunliche Hoffnungen, der Krieg könne auch der Klimawende auf die Sprünge helfen (siehe exemplarisch: Walsh 2022). Entlang des Leitmotivs eines Kampfs um nationale Energieautarkie, verschalten die Regierungsparteien (v.a. die Grünen) Topoi bellizistischer Sicherheits- und Verantwortungspolitik1 mit der Klimawende. Robert Habeck (2022) flaggte die Unabhängigkeit von fossiler Energie und ihren Lieferanten als Freiheitskampf aus. Annalena Baerbock erklärte die Prüfung globaler Wirtschaftsverflechtungen und ihr fallweises Zurückfahren zum Eckstein ihrer außenpolitischen Sicherheitsstrategie, wobei kürzere Lieferketten auch Emissionen reduzieren. Verstärkt wird das durch einen Heroismus…

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Der ›evidente‹ Antagonismus

Szenario-Begriff & aktueller Ukrainekrieg: geo-, militär- und machtstrategisch Von Thomas Lischeid Bekanntlich gehört der Begriff des Szenarios bzw. der Szenarien zu den Leitbegriffen unserer politisch-medialen Kultur. Nachweislich entstammend der Sprache des Militärs im seinerzeit beginnenden Zeitalter möglicher Eskalations- und Nuklearkriege seit 1945 (mit dem US-amerikanischen Think Tank Herman Kahn als damaligem ›Diskursivitätsbegründer‹), bevor er auch die Bereiche der Ökonomie, Ökologie und anderer erfasste1, scheint er aktuell, im ausgerufenen Kairos einer sogenannten neuen großen ›Zeitenwende‹ (Bundeskanzler Scholz), seine in ihm beschlossene Bedeutung und Wirkungskraft wieder voll auszufahren. Man denke dazu an Formulierungen des SPD-Vorsitzenden Lars Klingbeil rund um seine aufsehenerregende Rede auf der Berliner Tiergartenkonferenz von Mitte Juni 2022, in der er von einer »neuen Normalität der Bundeswehr« spricht, »in Szenarien denken und uns auch auf diese Szenarien vorbereiten« als eine Hauptaufgabe der Politik…

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Deutschland in Zeiten binärer Oppositionen

Ein Blick auf den Mediendiskurs zur Aufrüstung im Kontext des Ukraine-Kriegs Von Margarete Jäger & Iris Tonks Seit dem 24.02.2022 führt Russland einen völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen die Ukraine. Und seit dieser Zeit findet in der deutschen Gesellschaft und in ihren Medien eine aufgeregte Debatte statt, die sehr stark binär strukturiert ist. Das heißt: Auf der einen Seite steht Russland als Aggressor, auf der anderen Seite steht die Ukraine als Opfer. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die es ablehnen, dass Deutschland Waffen an die Ukraine liefert, auf der anderen Seite diejenigen, die dies befürworten. Auf der einen Seite stehen diejenigen, die als Folge des Krieges eine massive Aufrüstung der Bundeswehr befürworten, auf der anderen Seite die Teile Gesellschaft, die dies ablehnen. Solche binären Oppositionen sind kritisch zu betrachten, da sie die Tendenz aufweisen,…

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Einige rhetorische Ressourcen des NATO-Kriegsdiskurses

Notizen zur Berichterstattung über den Russischen Krieg in der Ukraine in den deutschen Medien Von Clemens Knobloch Die Geschicklichkeit der großen Journalisten besteht darin, dass sie den Idioten, der sie liest, dazu bringen zu sagen: »Genau das, was ich dachte!« Man will nicht angestoßen, man will geschmeichelt werden. (André Gide) [0] In mehr als einer Hinsicht ist es eine undankbare Aufgabe, über den Mediendiskurs zum Ukrainekrieg zu schreiben. Ich nenne nur einleitend ein paar Gründe dafür: [a] Der medienöffentliche Diskurs zum Ukrainekrieg ist so eindeutig, gleichförmig und einstimmig, dass es wirklich keine Diskursspezialisten braucht, um ihn zu »verstehen«. Der schlagartig aufgenommene Eskalations-, Aufrüstungs- und Militarisierungsdiskurs im Westen erklärt sich selbst. Missverständnisse sind kaum möglich. Aufklärungsversuche und alternative Deutungsmuster (selbst wenn sie von Militärs und professionellen Strategen kommen) werden mit massiver Kontaminationsrhetorik isoliert und…

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ZeitenWende zwischen apokalyptischer Eskalation, Sackgassen und Fluchtlinien

Interdiskurs- und normalismustheoretische Analyse Von Jürgen Link Der hegemoniale mediopolitische Diskurs spricht von »Zeitenwende« und »Paradigmawechsel«. Große historische Ereignisse bedeuten für alle dominanten und viele subdominante gesellschaftliche Zyklen einen Chock, der ihre vorgängigen Tendenzen entweder verstärkt oder sie schwächt bis hin zur ›Abschaltung‹. Vor allem erschüttert ein solches Ereignis die vorgängige Struktur der interzyklischen Kopplungen. Am deutlichsten ist das im aktuellen Fall sichtbar an der enormen Stärkung des militärischen Zyklus innerhalb des Zyklenkombinats.1 Mit dieser Formulierung wurde zu Beginn des Ukrainekrieges versucht, das schwierige Problem zu umreißen, wie sich Ereignisgeschichte und Strukturgeschichte integriert zusammendenken lassen – und das auch noch mitten im aktuellen Prozess. Zum einen wird der Krieg (zunächst vom mediopolitischen Diskurs) als Folge von Ereignissen erzählt, zum Beispiel: Am 24. Februar ist die russische Armee auf breiter Front in die Ukraine…

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Die Ukraine als Schlachtfeld in einem Weltordnungskrieg

Von Wolfgang Kastrup Der völkerrechtswidrige Überfall russischer Truppen am 24. Februar 2022 auf die Ukraine zeigt für Russland nicht den erwarteten schnellen Sieg. Die Gegenwehr der ukrainischen Truppen ist stärker als ursprünglich erwartet, sicherlich bedingt auch durch die Lieferung größerer Waffenmengen durch Mitgliedsländer der NATO. Die Verluste an Soldaten und Material sind auf beiden Seiten hoch. In besonderem Maße leidet die ukrainische Zivilbevölkerung durch diesen Krieg: Tausende Tote, Verwundete, zerstörte Wohnungen, unbrauchbare staatliche und kommunale Infrastrukturen und Millionen Ukrainer auf der Flucht in den westlichen Teil des Landes oder in angrenzende osteuropäische Länder bzw. nach Westeuropa. Es ist davon auszugehen, dass der Krieg noch länger anhalten wird und wahrscheinlich für Russland verlustreicher wird, da die NATO die Ukraine weiter militärisch aufrüsten wird und die EU und die USA zusätzlich finanzielle Milliardenhilfen schon zur…

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Die Aporien der sozialwissenschaftlichen Populismusforschung

Rezension von Stefan Vennmann Kolja Möller: Populismus. Ein Reader, Berlin: Suhrkamp 2022, 369 S., 26,00 Euro. ISBN 978-3-518-29940-1 Mit Populismus. Ein Reader legt Kolja Möller einen umfassenden Diskussionsüberblick zur sozialwissenschaftlichen und politiktheoretischen Auseinandersetzung mit dem Begriff des Populismus vor. Möllers Zusammenstellung ist ein breiter Fundus historischer und moderner Klassiker der Theorien des Populismus.1 Der Band beginnt dabei mit historischen Analysen marxistischer und psychoanalytischer Prägung, die sich auf den italienischen Faschismus, den Nationalsozialismus und die Agitationsversuche US-amerikanischer Faschisten beziehen. Mit diesem historischen Fundament geht der Band weiter durch die Entwicklung der Theorie, nimmt poststrukturalistisch-hegemonietheoretische Versuche, den Populismus zu analysieren und ihn als emanzipatorisches Projekt zu refigurieren, ebenso auf wie neomarxistische, liberale und eher der vergleichenden Politikwissenschaft, der empirischen Demokratie- und Rechtsextremismusforschung entstammende Definitionen von Populismus. Besonders bemerkenswert ist, dass der Band den Spagat zwischen…

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Konservativ-faschistische Konvergenzmomente

Rezension von Stefan Vennmann Natascha Strobl: Radikalisierter Konservatismus. Eine Analyse, Berlin: Suhrkamp 2021, 189 S., 16,00 Euro. ISBN: 978-3-518-12782-7 In ihrem neuen Essayband Radikalisierter Konservatismus untersucht Natascha Strobl – fokussiert auf Donald Trump und Sebastian Kurz als personenbezogener Ausdruck dieser Ideologie – die politische Entwicklung innerhalb des Konservatismus – beschrieben als „antiegalitäre, antirevolutionäre, klassenharmonisierende Haltung, deren höchste Werte Ordnung und Eigentum sind“ (12) – die mehr und mehr faschistische Momente in ihre politische Praxis integriert. Radikalisierter Konservatismus meint auf den Begriff gebracht die mal unbewusste, mal forcierte Übernahme faschistischer Agitationsstrategien innerhalb großer Volksparteien. Radikalisierter Konservatismus ist eine Enthemmung nach rechts, die aber nicht neu, sondern dem Konservatismus ideengeschichtlich inhärent ist (30). Radikalisierter Konservatismus ist „zugleich Bruch und Kontinuität“ (33): Aufkündigung bestimmter politischer Konsense bei gleichzeitiger Radikalisierung einer schon vorher existierenden gesellschaftlichen Entwicklung, die…

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„Die diskursive Seite hegemonialer Ordnungen“

Eine Rezension von Wolfgang Kastrup Lene Kempe, Politikwissenschaftlerin und Redakteurin der Monatszeitung ak (analyse & kritik) will mit ihrem Buch Die diskursive Seite hegemonialer Ordnungen eine Neubestimmung des Verhältnisses von Diskurs, Macht und Hegemonie, so der Untertitel ihrer jüngsten Veröffentlichung, leisten. Dabei will sie klären, wie die beiden Begriffe Hegemonie und Diskurs zueinanderstehen und zudem „eine systematische Integration diskursiver Aspekte in die neogramscianische Hegemonieanalyse […] ermöglichen.“ (10) Der Hegemoniebegriff von Antonio Gramsci (1891-1937) basiert, so Kempe, für die gesamtgesellschaftliche Ordnung in kapitalistischen Staaten auf Konsens, um so die Zustimmung der Subalternen, also der Beherrschten, für die Macht der Herrschenden zu erhalten. Über ökonomische Zugeständnisse und über „allgemein akzeptierte Ideen, Deutungen, Normen, Regeln und Institutionen“ (11) auf der Ideologieebene soll ein solcher Konsens erreicht werden, um so einen im Wesentlichen einheitlichen Alltagsverstand zu erzielen.…

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