Grüner Kapitalismus – Die Lösung?

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Von Lukas Gerke

Dass das Thema Klima immer wichtiger wird, zeigte sich zuletzt bei der Bundestagswahl im September 2021, bei der die Partei Bündnis 90/die Grünen, welche vor allem mit ihrer Klimapolitik wirbt, deutlich an Stimmen gewinnen konnte. Als am 24.11.2021 der Koalitionsvertrag mit dem Titel „Mehr Fortschritt wagen – Bündnis für Freiheit, Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit“ erschien, erlangte das mediale Aufmerksamkeit und der Ökologiediskurs in den Medien wurde angeregt.

Mit diesem Beitrag will ich den Ökologiediskurs der Süddeutschen Zeitung nach Veröffentlichung des Koalitionsvertrages untersuchen, um der Frage nachzugehen, wie die von den Regierungsparteien ausgehandelte Klimapolitik von diesem Leitmedium verhandelt wird und welches Wissen im Ökologiediskurs vorherrschend ist.

Dafür wurden 14 Kommentare der Süddeutschen Zeitung, welche eine linksliberale Diskursposition hat, in dem Zeitraum vom 24.11.2021 bis 24.12.2021 einer kritischen Diskursanalyse (vgl. Jäger 2015), mit Fokus auf der Aussagenanalyse, unterzogen.

Den Kern meiner Analyseergebnisse bilden drei Aussagen, welche sich gegenseitig stark beeinflussen und miteinander einher gehen. In Folgendem sollen sie erklärt werden und durch sie implizierte Ausschließungen aus dem Sagbarkeitsfeld betrachtet werden.

Aussage: Notstand

Deutschland entfernt sich von den Klimazielen, statt sich ihnen zu nähern. Das wiederum verlangt drastischere Schritte in allen betroffenen Ministerien.“ (Bauchmüller, SZ, 09.12.2021).

In diesem Zitat wird der Notstand, welcher die erste Aussage darstellt, aufgrund der Erderwärmung deklariert. Allerdings verschränken sich im Diskurs verschiedene Arten von Notständen. So ist ebenfalls im Diskurs stark verankert, dass es auch einen Notstand durch die Covid-19-Pandemie gibt. Die Notstände werden hierarchisiert und es entsteht eine Reihenfolge für deren Abarbeitung. Es wird als notwendig angesehen, zuerst die Covid-19-Pandemie zu stoppen, bevor die finanziell zur Verfügung stehenden Mittel in Investitionen zur Klimaneutralität fließen können, was in dem folgenden Zitat verdeutlicht wird:

Kein Geld für gigantische Investitionen, wenn Milliarden Euro in immer neuen Pandemiewellen untergehen […]“ (Gammelin, SZ, 25.21.2021). Somit gehen der Ökologie- und Gesundheitsdiskurs eine Verschränkung miteinander ein.

Bei dem Notstand der Erderwärmung sind die zwei am häufigsten angesprochenen Themen die Energiegewinnung, also der Ausstieg aus der fossilen Energie, gekoppelt mit dem Ausbau alternativer Energiequellen und die Anpassung der Industrie an die sich ändernden Bedingungen. Dadurch gehen der Ökologie- und der Ökonomiediskurs eine Verschränkung ein. Die im Diskurs der SZ vorherrschende Meinung über die Lösung der Notstände ist, dass sie nicht parallel gelöst werden können.

Aussage: Notwendigkeit einheitlichen Handelns

Die im Diskurs logische Konsequenz, welche mit dem Notstand einhergeht, ist, dass einheitlich gehandelt werden muss. Die Politik und die Bürger*Innen müssen nach dieser Logik gemeinsam handeln, wobei es nicht erlaubt ist, vom Kurs abzukommen, da die konstituierten Notstände die Sicherheit der Bürger*Innen gefährden und somit höchste Priorität haben. Wie das Handeln gegen den Notstand aussieht, wird von der Regierung vorgegeben und größtenteils akzeptiert. Das Handeln zielt auf einen klimagerechten Kapitalismus, bei dem wirtschaftliches Wachstum und eine langfristige Erreichung der Klimaneutralität zusammen gedacht werden. Zentral ist das Wissen, dass die institutionalisierte Politik, Bürger und Bürgerinnen, die nationale Regierung der EU und am besten die ganze Welt miteinander kooperieren und ein homogenes Vorgehen vereinbaren:

Wir finden, dass es wichtig ist, dass man alles dafür tut, dass die Welt international zusammenarbeitet“ (Brössler & Bullion, SZ, 08.12.2021).

Der im Diskurs vorherrschende Konsens, was international erreicht werden soll, wurde bereits durch das Pariser Klimaabkommen gefunden. Durch die Notwendigkeit eines einheitlichen Handelns wird das Handlungsspektrum eingeengt und Alternativlosigkeit suggeriert. Damit ist gemeint, dass die von der Regierung vorgeschriebene Lösung zum Großteil akzeptiert wird:

Der Koalitionsvertrag und seine Entstehung machen Hoffnung. Es weht ein Geist von Aufbruch und der Anerkennung gesellschaftlicher Realitäten“ (Messari-Becker, SZ, 03.12.2021).

Die Lösung wird an wenigen Stellen zwar kritisiert, eine Alternative allerdings wird nicht geboten. Diese Ausschließungsprozedur lässt wenig Platz für andere Lösungen übrig.

Aussage: Green New Deal

Die im Diskurs konstituierte Folge ist das gemeinsame Vorgehen gegen die Notstände. Wie das gemeinsame Vorgehen aussehen soll, wird in dem folgenden Zitat deutlich:

Der grüne Vizekanzler Robert Habeck kündigt eine Jahrhundert-Transformation an, bei der ‚Klimaneutralität und Wohlstand zusammen zu denken‘ sei.“ (Brössler & Bullion, SZ, 08.12.2021).

Der Green New Deal beschreibt grob gesagt die Vereinbarung von klimagerechtem Handeln und Klimaneutralität mit einem Wachstum der Wirtschaft. Man könnte ihn auch als „grünen Kapitalismus“ bezeichnen. Die Wirtschaft und die Klimapolitik sollen infolgedessen einer Transformation unterliegen, in der beispielsweise der Verbrennungsmotor abgeschafft werden soll oder alternative Energiequellen massiv ausgebaut werden sollen.

Die Aussage Green New Deal geht überaus häufig mit dem Ökologie-, Ökonomie- und Politikdiskurs einher. Weniger oft, dennoch ausgeprägt, tritt der EU-Diskurs auf, da der Green New Deal nicht nur national, sondern auch international Anschluss findet, da die Erreichung der Klimaneutralität durch das Pariser Klimaabkommen ein europäisches Ziel ist.

Alternativen zum Green New Deal habe ich in den analysierten Kommentaren kaum gefunden. Es wurden zwar Probleme aufgezeigt, wie zum Beispiel, dass der massive Ausbau erneuerbarer Energien mit dem Naturschutz kollidiert, oder, dass die eher langfristig geplanten Klimamaßnahmen den dringend nötigen Klimaanpassungsmaßnahmen nicht gerecht werden. Die Option eines „Degrowth“ beispielsweise, welcher durch eine Verringerung des Konsums und der Produktion und damit einhergehender Zunahme sozialer Gleichheit, ökologischer Nachhaltigkeit und Wohlbefinden gekennzeichnet ist, taucht in dem von mir untersuchtem Zeitraum nicht auf. Diese vermittelte Alternativlosigkeit ist auch eine Folge der diskursiven Konstruktion eines Notstandes, wodurch das Sagbarkeitsfeld im Krisendiskurs stark limitiert wird, und zwar auf den von der Regierung vorgeschlagenen Weg, diesen Notstand zu bewältigen.

Fazit

Nach Erläuterungen der Aussagen ist es einfach, deren Beziehungen zu verstehen. Mit dem ausgerufenen Notstand sind zwei weitere Aussagen gekoppelt, welche sozusagen dem Notstand entspringen. Die eine Aussage ist die Lösung, welche der Green New Deal darstellt. Die andere ist die des einheitlichen Handelns, welches zur Erreichung der Lösung essenziell ist.

Das einheitliche Handeln wiederum soll entlang der vorgegebenen Hierarchisierung der Notstände erfolgen. Eine parallele Abarbeitung ist demnach nicht möglich. Des Weiteren werden die Notstände als einzeln, sich nicht gegenseitig beeinflussend betrachtet:

Die Ampel-Koalition wird ihren sozial-ökologisch-liberalen Aufbruch nur liefern können, wenn sie die Pandemie unter Kontrolle bekommt. Kein Aufbruch ohne geschützte Bevölkerung.“ (Gammelin, SZ, 25.11.2021).

Der Notstand lässt wenig Raum für andere Handlungen als solche, die bereits vorgegeben sind. Nicht oft wird hinterfragt, ob die Lösung auch die richtige sei. Lediglich wird an einigen, seltenen Stellen die von der Regierung dargestellte Alternativlosigkeit angezweifelt, wie dieses Zitat belegt: „Einspruch ist eher unerwünscht.“ (Hütt, SZ, 01.12.2021).

Andere Vorschläge zum Klimaschutz fanden sich jedoch nicht in den von mir analysierten Kommentaren. Ebenso wurden die hauptsächlich langwierigen Maßnahmen akzeptiert, deren Wirkung erst in einigen Jahren zutage kommt, abgesehen von einer Ausnahme:

Die deutliche Fixierung auf langfristige Strategien des Klimaschutzes kollidiert mit den dringend nötigen Klimaanpassungsmaßnahmen, die sofort erfolgen müssen.“ (Messari-Becker, SZ, 03.12.2021).

Außerdem fällt der Bereich des Konsums, wie zum Beispiel der von Fleisch, welcher enorme Mengen an Emissionen freisetzt, nicht in das Sagbarkeitsfeld und wurde in den Kommentaren meiner Analyse kein einziges Mal erwähnt.

Literatur

Jäger, S. 2015: Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung. Münster: Unrast Verlag.

Lukas Gerke ist Studierender der Universität Duisburg-Essen im Fachbereich Soziologie und absolvierte ein Praktikum im DISS.

Dieser Beitrag stammt aus dem DISS-Journal#45 (Juni 2023). Die vollständige Ausgabe als PDF finden Sie hier.