Peter Thiel – ein einflussreicher ›Außenseiter‹

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Vom rechts-libertären Tech-Investor zum nationalistischen Polit-Influencer

Von Guido Arnold

Dieser Beitrag skizziert die beträchtliche Einflusssphäre und politische Ideenwelt des US-amerikanischen Tech-Investment-Stars Peter Thiel. Ein selbsternannter »Tech-Disruptor«, der eine unkonventionelle Transformation vom rechts-libertären Financier zum politisch entfesselten Neoreaktionär erkennen lässt. Um seine politische Ausrichtung zu erfassen, gilt es, ein komplexes und in Teilen widersprüchliches Knäuel aus solutionistischer Meritokratie, rechts-libertären, antistaatlichen und nationalistischen Weltsichten zu entwirren. Ein Geflecht, welches durchaus Ausblick auf ein New Normal rechter, erodierter Gerechtigkeitsvorstellungen bieten kann und eine besorgniserregende Anschlussfähigkeit einer Rechtsaußen-Ideologie an die liberale Meritokratie einer modernen Start-Up-Gesellschaft dokumentiert: Die erfolgreichsten Ideenträger und Macher, sollen ungebremst gesellschaftlich gestalten – zugunsten einer rechts-intellektuellen Elite, die sich für einen Kulturkampf gegen eine progressiv-liberale Demokratie wappnet.

Dazu ist ein kurzer Exkurs zu den von Thiel mitinitiierten Privatstädten hilfreich. Sie beschreiben exemplarisch die unternehmerisch-libertäre und antistaatliche Sphäre des neuen Konservatismus rund um Thiel. Mit der Konzeption dieser verschlankten Mikrostaaten als experimentellem Anker für neue Gesellschaftsentwürfe gibt sich die neoreaktionäre Bewegung jedoch nicht zufrieden. Thiels politisches und philosophisches Streben für eine erstarkende radikale Rechte in den USA zeigt sich in seinem Engagement für eine neue Trump-Ära.

Thiels Autonome Inselstaaten

In Französisch-Polynesien im Südpazifik, vor der Küste Tahitis, wollten Investoren bereits 2018 einen unabhängigen Inselstaat gründen. Geplant war eine schwimmende Struktur, auf der Villen, Hotels und Restaurants errichtet werden. Das Floating Island Project sollte Platz für 300 Häuser bieten. Das Besondere an dieser Offshore-Insel ist, dass sie eine eigene Kryptowährung besitzt und keiner nationalen Gesetzgebung unterworfen ist. Das Motiv: souveräne Mikrokonkurrenten des Nationalstaates auf See zu etablieren.

Seasteading – ein Kunstwort aus sea und homesteading (Inbesitznahme, Besiedlung) – bezeichnet die Idee der künstlichen Erschaffung von dauerhaftem Wohn- und Lebensraum auf dem Meer. Einzelne Plattformen schließen sich zu schwimmenden Siedlungen (seasteads) zusammen – außerhalb von Gebieten, die von Staaten beansprucht werden. Flexibel wie Lego-Steine können einzelne Module an andere Plattformen andocken und einen Staat mit eigener Rechtsprechung bilden. Die langfristige Vision ist, autonome Mikro-Nationen zu haben. Wenn man nicht unter einer bestimmten Regierung leben will, nehmen die Leute einfach ihr Haus und schippern zu einer anderen Insel.

Für die Realisierung einer ersten Inselplattform wurde ein in Singapur ansässiges Start-up namens Bluefrontiers gegründet. Die Kosten für das 60 Millionen Dollar teure Projekt sollte maßgeblich Peter Thiel tragen. Bereits 2008 gründeten der ehemalige Google-Ingenieur Patri Friedman (Sohn des Anarchokapitalisten David und Enkel des Nobelpreisträgers Milton) und Thiel eine Denkfabrik, das Seasteading Institute, zur Errichtung extraterritorialer Plattformen in internationalen Gewässern. Geplant ist eine Flüssige Demokratie der Besitzerinnen schwimmender Villen – verklärt als eine Art Soziallabor für die Erprobung alternativer Gesellschaftsformen.

Friedman sieht das Potenzial von solchen Inseln insbesondere darin, »die Leistung von Regierungen durch einen Wettbewerb um mobile Bewohner zu verbessern.«i Die zugrunde liegende Idee ist die Übertragung des Wettbewerbs auf die Ebene der Staaten verbunden mit einer grundlegenden Minimierung gesellschaftlicher Regeln.

Im Silicon Valley der Tech-Millionäre herrscht eine Idee vor, die geprägt ist von einem extrem hohen Selbstbewusstsein, grundlegende Probleme der Welt mit einer konsequenten Anwendung neuer Technologien besser regelnzu können. In Verbindung mit einer tief sitzende Ablehnung gegenüber Einschränkungen der individuellen Freiheit resultiert daraus ein kalifornischer Liberalismus mit ausgeprägter Distanz zum Staat, der in erster Linie als einengendes Regulativ wahrgenommen wird. Larry Page, Vorstandsvorsitzender von Alphabet, dem Mutterkonzern Googles bringt die unter den IT-Machern weit verbreitete Staatsskepsis wie folgt auf den Punkt: »Es gibt eine Menge Dinge, die wir gerne machen würden, aber leider nicht tun können, weil sie illegal sind. Weil es Gesetze gibt, die sie verbieten. Wir sollten ein paar Orte haben, wo wir sicher sind. Wo wir neue Dinge ausprobieren und herausfinden können, welche Auswirkungen sie auf die Gesellschaft haben.«ii

Darin ist eine der vielfältigen Motivationen für Inselstädte zu sehen: ein unberührtes Territorium in Besitz zu nehmen und das soziale Zusammenleben experimentell neu zu organisieren. Mit der Insel als Sehnsuchtsort und Projektionsfläche für die Realisierung utopischer Ideen soll hier eine Kolonialisierung von Meeres- und Inselräumen betrieben werden zur Erprobung idealisierter rechts-libertärer Gemeinschaften.

Thiels Private Städte

Die zuvor beschriebenen Versuche, Insel-Kleinststaaten zu etablieren, dürfen als Vorläufer der aktuellen Privatstädte-Bewegung gelten, die unter den Namen charter cities, startup cities, oder (free) private cities firmiert. Eine Gruppe rechts-libertärer Investoren, darunter Peter Thiel und Titus Gebel, hat auf der honduranischen Insel Roatàn ein Stück Land erworben, um oberhalb des Fischerdorfs Crawfish Rock die erste »Freie Privatstadt« der Welt zu gründen. Anfang 2021 wurden die ersten Gebäude – eine Art Infocenter – der Stadt errichtet. Zwischen 30.000 und 50.000 Menschen sollen hier in Próspera einmal leben – juristisch (weitgehend) losgelöst vom honduranischen Staatsgebiet. Dabei handelt es um eine »Sonderentwicklungszone Plus«, die nicht nur wirtschaftlich, sondern auch rechtlich, administrativ und politisch nahezu autonom ist. Dazu bedurfte es einer honduranischen Verfassungsänderung. Bei genauer Betrachtung ist Próspera auch eine von Demokratie befreite Zone:

Mit jedem einzelnen Bürger wird (nach einer Eignungsprüfung) ein Vertrag geschlossen – ein ökonomischer Dienstleistungsvertrag zum Schutz von Leben, Freiheit und Eigentum. Der »Vertragsbürger« zahlt Gebühren für ein »Sicherheitspackage« (anvisiert sind 1000 Euro Jahresgebühr bei einer Stadt von etwa 10.000 Einwohnern) aber keine zusätzlichen Steuern an Honduras. Es gibt »klare Regeln, die sich nicht ständig ändern«, keine soziale Absicherung, keine Krankenversicherung oder ähnliches. Um Dinge wie die Müllabfuhr, Bildung, Gesundheit, Strom- und Wasser sollen sich andere private Firmen kümmern, die jede Bewohnerin über den freien Markt buchen kann.

Titus Gebel, der Initiator und Begründer von Free Private City Inc., der Betreiberfirma hinter Próspera, umschreibt sein Angebot recht pragmatisch: »Staatsdienstleistungen privat anbieten«. Es sei »zeitgemäß, dass man nur für das bezahlt, was man auch bestellt hat«. Ein schlanker Staat ohne den Ballasteines sozialen Ausgleichs unter den Bewohnerinnen und ohne vom Einzelnen eventuell nicht genutzter Infrastruktur, wie z.B. ein öffentliches Schwimmbad. Die Privatstadt lebt davon, dass sie (für einige) attraktiver ist als der Rest des Landes.iii

Die Betreiberfirma des privaten Staats macht ihr Geld als Sicherheitsdienstleister und mit dem Verkauf bzw. der Vermietung von Grundstücken. Dazu sind eine eigene Gerichtsbarkeit und eine eigene Polizei geplant. Die Menschenrechte gelten weiter, es gilt jedoch ein eigenes Zivilrechtssystem und eine (eingeschränkt) von Honduras entkoppelte Strafjustiz. Die eingangs von der Betreiberfirma aufgestellten Regeln des Zusammenlebens werden pseudo-demokratisch von dieser zusammen mit den hinzugezogenen Bewohnerinnen weiterentwickelt. Dabei bemisst sich das individuelle Stimmrecht in der Gründungsphase an der Größe des erworbenen Grundstücks. Ganz nebenbei bedeutet der geplante Ausbau von aktuell 21 Hektar auf 280 Hektar eine Vertreibung der derzeitigen indigenen Bevölkerung, die bereits Widerstand gegen diese Kolonialisierung organisiert. Es droht darüber hinaus weiterer Widerstand, und zwar staatlicher: Xiomara Castro gewann die Präsidentschaftswahl im November 2021. Die Präsidentin steht für einen »demokratischen Sozialismus«. Sie versprach im Wahlkampf eine partizipative Demokratie und den Entwurf einer neuen Verfassung. Castro will die Sonderentwicklungszonen wieder abschaffen. Leicht wird das angesichts zu erwartender Entschädigungsforderungen nicht werden.

Die in verschiedenen (meist fragilen) Staaten geplanten autonomen Investorinnen-Enklaven kommen einer effektiven Entstaatlichung gleich und diese ist programmatisch für ihre Begründer: Titus Gebel, Sohn zweier Beamten, möchte sich »den absehbaren Kollaps des Sozialstaats lieber von außen anschauen«. Seine staatsfeindliche Motivation umreißt er freimütig in einem Interview auf einem rechtskonservativen Blog des Ludwig von Mises Instituts: »Die einzige Chance, die wir Freiheitlichen haben, ist, in der Zeit der Ungewissheit, also wenn die alte Ordnung erkennbar zu Ende geht, aber noch keine neue etabliert ist, ein System weitgehend unabhängiger Städte und Gemeinden zu etablieren, idealerweise Freie Privatstädte, die aufgrund ihrer Konstruktion praktisch politikfrei sind. Nur in solchen Umbruchzeiten besteht die Möglichkeit, Modelle zu etablieren, die zuvor noch undenkbar gewesen sind. Dafür könnte sich ein Zeitfenster von wenigen Jahren auftun. Das gilt es zu nutzen.«iv Diese freien Privatstädte »können dann als Fluchtpunkt dienen, falls es keinen geordneten Übergang gibt oder die Repression anderswo unerträglich wird.«

Thiel, der umtriebige Techinvestor

Peter Thiel, studierter Jurist und Philosoph, gilt als einer der einflussreichsten Investoren und Verwalter von Risikokapital in der Hochtechnologie-Branche – weit über das US-amerikanische Silicon Valley hinaus. Er bot 2012 Firmengründern 100.000 Dollar über sein Thiel Fellowship-Programm, wenn sie ihr Studium hinwarfen und den konkreten Aufbruch in die Utopie wagten. Thiel befragen Investoren, wenn es einzuschätzen gilt, welches der vielen angesagten Start-Ups das Potenzial hat, ein Einhorn zu werden, d.h. eine Marktbewertung von über einer Milliarde US-Dollar zu erzielen.

Thiel ist Mitbegründer von PayPal (1998), der Big-Data-Analysefirma Palantir Technologies (2004) und der bahnbrechenden Risikokapitalgruppe Founders Fund (2005). Er war unter anderem der erste wichtige externe Investor in Facebook (2004) und er steckt sein Geld in Projekte wie private Raumfahrt und das transhumanistische Streben nach menschlicher Unsterblichkeit.

Es ist politisch naiv zu glauben, Thiel sei ein gewöhnlicher rechts-libertärerv, der sich damit begnügt, vor Industriesubventionen und hohe Zöllen zu warnen, die die Welt ärmer machen, während sie korrupten und ineffizienten Regierungen zu viel Macht geben. Thiel wünscht sich zwar, die Gesellschaft möge wie ein Unternehmen strukturiert sein, aber seine Ideen gehen deutlich weiter. Thiel ist mittlerweile der wohlhabendste Verbündete einer neuen rechtskonservativen, nationalistischen Bewegung in den USA.

Tatsächlich geht Thiels Einfluss weit über das Management von Hunderten Milliarden Dollar an Tech-Investments für politisch probate Start-Ups hinaus. Sein Hauptverdienst ist vielmehr eine intellektuelle Debattengesellschaft eines ganz Rechtsaußen-Konservatismus etabliert zu haben. Hier finden sich der Posterboy der Rechtsradikalenvi [] US-Senator Josh Hawley genauso wie der neoreaktionäre Monarchist Curtis Yarvin, der sich zum Ziel setzt, den »Internationalismus zu widerlegen« und ihn durch eine »isolationistische Vision« zu ersetzen. Stellen Sie sich eine Welt vor, sinnierte Yarvin angesichts der Corona-Pandemie, »in der der Reiseverkehr zwischen den Hemisphären nächste Woche unterbrochen wird – und dies für Jahre, Jahrzehnte, Jahrhunderte bleibt. […] Wäre das eine Katastrophe? Nein – es wäre eigentlich ganz gut«.

Thiel, der aggressive Neokonservative

Bereits 2009 verstörte Thiel liberale Mitglieder der Tech-Branche im Silicon Valley als er formulierte, dass »ich nicht mehr glaube, dass Freiheit und Demokratie miteinander vereinbar sind«. Sein Freund und Mitstreiter Curtis Yarvin schrieb alias Mencius Moldbug diesbezüglich, dass »Sozialismus und Faschismus eine Mischung aus minderwertigen und katastrophalen Ergebnissen hervorbringen, und zwar aus einem einfachen Grund: Beide haben ihren Ursprung in der Demokratie, einem präkanzerösen Wachstum, das immer mit einer gewissen Bösartigkeit schwanger geht.«vii

Vor der Präsidentschaftskampagne von Donald Trump hatte Thiel das Image eines geheimnisvollen Zauberers der Fintech-Branche, der zu aller Mystik Essays in der christlich-traditionalistischen Zeitschrift First Things verfasste. Seit er jedoch auf der Republican National Convention 2016 die Bühne betrat, um Trump als Mittel zur Verhinderung des »amerikanischen Niedergangs« anzupreisen, sind Thiel und seine Ideen von den ideologischen Rändern zur Vorhut des Konservatismus des 21. Jahrhunderts aufgestiegen.

Der Milliardär nutzte die Gelegenheit, seine Ansichten auf der National Conservatism Conference im Juli 2019 in Washington in einem vierstündigen Vortrag zu unterbreiten. In seiner Rede war wenig von der Überlegenheit freier Märkte zu hören. Er sprach vielmehr darüber, dass öffentliche politische Entscheidungen darauf beruhen sollten, nicht das Leben des Einzelnen, sondern ein kollektives Amerika zu verbessern und gleichzeitig seine Feinde zu »vernichten«. Als Feinde Amerikas nannte er Google, China und das US-Hochschulsystem.

Die Universitäten, so Thiel, seien Unorte politischer Korrektheit und verbreiteten den Virus des »kulturellen Marxismus«. Überdies begingen sie Betrug, indem sie den Studenten Schulden aufbürdeten, die diese Institutionen selbst zurückzahlen müssten. Gegen China befürwortet Thiel »(zumindest) einen Handelskrieg«. Und das als eher progressiv-liberale geltende Silicon Valley, allen voran Google versuche, einem unwilligen Amerika eine Monokultur der Identitätspolitik aufzuzwingen.viii Googles Zusammenarbeit mit China im Bereich der künstlichen Intelligenz zugunsten einer »chinesischen kommunistischen KI« bezeichnete Thiel nicht nur als »unpatriotisch« er forderte zudem sie solle von der CIA und dem FBI unter die Lupe genommen werden.ix Die Weigerung Googles an einem US-Rüstungsprogramm bewaffneter Kampfdrohnen mitzuarbeiten geißelte Thiel als »verräterisches« Verhalten. An dem Tag, an dem Thiel diese Rede hielt (16. Juli 2019) twitterte Trump in Bezug auf Googles angeblichen Verrat: »Die Trump-Administration wird sich das ansehen!«

Thiel hält einen nationalistisch agierenden Staat für deutlich überlegen gegenüber einem, der von »politisch korrekten Globalisten« geführt wird. Seine Vorstandsfunktion bei Palantir entspricht dieser politischen Vorstellung: Das Unternehmen wurde von einem Ableger der CIA mitfinanziert und setzt die Möglichkeiten von Big Data und künstlicher Intelligenz im Sinne einer umfänglichen Versicherheitlichung ein, ausschließlich im Auftrag ausländischer und inländischer Strafverfolgungsbehörden und Geheimdienste.

Nachdem 200 Palantir-Mitarbeiter einen Brief geschrieben hatten, in dem sie ihre Besorgnis über die Zusammenarbeit des Unternehmens mit der US-Einwanderungsbehörde (ICE) zum Ausdruck brachten, wischte Palantirs CEO jegliche Bedenken mit dem Verweis auf ein notwendiges Verteidigungsbedürfnis Amerikas beiseite. Thiels Investment in das umstrittene Start-Up Clearview AI, das nachweislich von einer Programmiererriege der extremen Rechten entwickelt wurdex, um per künstlich intelligenter Gesichtserkennung die behördliche Abwehr illegaler Migration zu effektivieren, folgt passgenau dieser Logik.

Thiel, der vernichtende Kulturkämpfer

Die einst libertäre Fassade von Thiel und seinen Mitstreitern bröckelt noch weiter: Im Dezember 2019 schlug eine Gruppe von Denkern von The American Mind, The American Conservative, American Renewal, Human Events und First Things gemeinsam einen »Tech New Deal« vor, um im Namen der »amerikanischen Größe« eine stärkere staatliche Aufsicht und Verwaltung für US-Technologieunternehmen einzuführen.

»Wir müssen die Sicherheitsvorkehrungen gegen die Nutzung der technischen Möglichkeiten verstärken, um eine radikale säkulare Religion in den öffentlichen Einrichtungen Amerikas zu etablieren«, so die Verfasser, die eine Bestrafung privater sozialer Medienunternehmen fordern, die konservative oder traditionalistische Standpunkte zensieren. Die Verfasser versuchen eine rechte, antiaufklärerische und neonationalistische Neubestimmung der öffentlich Debatte über Rasse, Einwanderung und Geschlecht zu lancieren: »So wichtig es auch ist, die schlimmsten moralischen Degenerierten zu entplattformen, so sehr hängt unsere freie Demokratie doch davon ab, dass die Amerikaner offen über grundlegende Fragen diskutieren können, von der Bedeutung der Staatsbürgerschaft bis hin zur Biologie sexueller Unterschiede.«

Die Zuspitzung eines umfassenden Kulturkampfes beschwört der Präsident des Claremont Institute, Ryan P. Williams, in dem er 2019 fabuliert, dass die Amerikaner in einem »kalten Bürgerkrieg« feststecken, in dem die eine oder die andere Seite »einen entscheidenden und endgültigen politischen Sieg« erringen muss.xi

Williams darf zurecht als Mitglied der Thielosphäre bezeichnet werden, die sich als rhetorische Kriegsgemeinschaft an eben dieser Front dieses kalten Bürgerkriegs begreift. Claremonts Web-Journal The American Mind wurde 2018 mit der Agenda ins Leben gerufen, »das ideologische Gerüst der amerikanischen Rechten neu zu überdenken«.xii Der Gründungsredakteur Matthew Peterson sieht eine lebendige neokonservative Bewegung, die »unter der Oberfläche brodelt und sogar online überall zu finden ist«. Für diese Bewegung gelten libertäre Kräfte als politisch zu »schwächlich« und unbestimmt. Mehr noch – die nationalistischen Konservativen sehen in den Libertären diejenigen, die mit dem linken Feind kooperieren.

»Der Höhepunkt der Politik sind die Momente, in denen der Feind in konkreter Klarheit als Feind erkannt wird«, schrieb Thiel bereits 2007 in seinem Essay »The Straussian Moment«xiii und zitierte damit Carl Schmitt, der bis weit in die 1940er Jahre hinein die Idee der Diktatur gegenüber dem schlaffen bürokratischen Staat verteidigte.

Die US-Amerikanische intellektuelle Rechte strebte ursprünglich danach, den Staat einzuschränken und den freien Markt zu entfesseln. Jetzt strebt sie – mit Unterstützung von Thiel – zunehmend danach, den Staat zu entfesseln und den Markt neu auszurichten. Sie nimmt dabei staatliches Eingreifen nicht nur in Kauf sondern (politisch) in Dienst. Statt sich damit zu begnügen, über die visionäre Erprobung einer (konkurrent) reduzierten Staatlichkeit kulturelle Veränderung herbeizuführen (Schwimmende Mikrostaaten bzw. Private Städte), versucht ein Großteil des neuen nationalistischen Konservatismus nunmehr den Staat auf alles zu hetzen, was sich in der Wirtschaft und der Kultur aus ihrer Sicht falsch anfühlt.

Thiel hat Trumps Wahlkampf 2016 nicht nur finanziell unterstützt, er drängte mit seinem Einfluss als Startinvestor von Facebook Bestrebungen zurück, die politische Werbung auf der Plattform zu beschränken. Politische Bezahl-Werbung bei Facebook erzielt eine deutlich höhere und zielgenauere Reichweite und ist anders als unbezahlte Beiträge nahezu unzensiert. Dies war mitentscheidend für den Erfolg von Trumps Wahlkampagne 2016. Thiel avanciert zu Trumps Tech-Berater und nahm darüber Einfluss auf die Besetzung wichtiger politischer Positionen der Trump-Administration.

Mit dem Ausstieg aus dem Verwaltungsrat von Facebook 2022 wendet sich Thiel (noch) stärker der Politik zu und versucht sie als Geld- und Ideengeber zugunsten eines neuen Nationalismus umzukrempeln. Er bereitet die midterm-Wahlen im November 2022 vor und unterstützt erneut (finanzstark) vielversprechende Kandidaten aus dem Trumplager.

Konklusion

Das Selbstverständnis vieler Unternehmerinnen der Tech-Branche fußt auf einem ausgeprägten meritokratischen Ideal, bei dem individuelle Verdienste über den gesellschaftlichen Entscheidungs- und Gestaltungsspielraum bestimmen. Nicht selten verschmelzen Expertokratie, Meritokratie und ein ausgeprägtes Selbstbewusstsein in der IT-Welt zu einer technokratisch- paternalistischen Weltsicht, durch die eine lenkende Rolle der fähigsten Problemlöserinnen gegenüber einer überfordertenDurchschnittsbevölkerung legitimiert wird.

Ein solcher technologischer Paternalismus, der ideologisch zunächst unvoreingenommen daher kommt, kann von libertärer oder autoritärer Ausprägung sein. Am Beispiel Peter Thiel ist zu beobachten wie anschlussfähig eine libertäre Meritokratie an eine nationalistische und antidemokratische Extreme Rechte ist. Thiel dokumentiert schillernd, dass die oftmals naiv als links-liberal imaginierte Tech-Welt des Silicon Valley keineswegs unvereinbar ist mit einer neoreaktionären Bewegung. Und er verkörpert einen politischen Gestaltungsanspruch weit über die unmittelbar finanziell begründete Macht hinaus. Thiel ruft offen zum Kampf gegen eine progressive Linke auf – und wird weiter hofiert.

Weitere Lektüre zu Privaten Städten

Joe Quirk/Patri Friedman, Seasteading. How Floating Nations Will Restore the Environment, Enrich the Poor, Cure the Sick, and Liberate Humanity from Politicians, New York 2016.

https://www.bloomberg.com/news/articles/2021-03-27/prospera-in-honduras-a-private-tech-city-now-open-for-business.

https://www.fr.de/politik/private-staedte-exklusiv-und-antidemokratisch-91274549.html.

https://nacla.org/news/2021/02/12/private-government-honduras-zede-prospera.

https://lateinamerika-nachrichten.de/artikel/privates-paradies/.

Dieser Beitrag erschien zuerst in der zeitschrift kulturrevolution kRR#82 (Mai2022).

Anmerkungen

i Patri Friedman/Brad Taylor, Seasteading: Competitive Governments on the Ocean, in: Kyklos 2/2012, S. 218–235.

ii Mathias Döpfner, Warum wir Google fürchten, www.faz.net/-12897463.html.

iii https://www.podcast.de/episode/474766098/freie-privatstaedte-eine-echt-alternative-titus-gebel-644.

iv Titus Gebel, Interview 14.10.2019 https://www.misesde.org/2019/10/in-der-politik-findet-man-heute-eher-blender-als-echte-problemloeser/.

v Im US-amerikanischen Sprachraum werden Liberale oft als »libertarians« bezeichnet, weil »liberals« linkspolitisch konnotiert ist.

vi Siladitya Ray: ›Poster Boy of The Radical Right‹, https://www.forbes.com/sites/siladityaray/2021/01/08/poster-boy-of-the-radical-right-missouris-two-biggest-newspapers-call-for-sen-josh-hawleys-resignation/.

vii Das Nachrichten-Portal TechCrunch hat Moldbug 2013 als Yarvin geoutet. In der Trump-Ära erschien es Yarvin (selbst-)sicher genug, öffentlich er selbst zu sein.

viii Thiel, hat seine Geschäfte 2019 von der Bay Area nach Los Angeles verlegt, um -wie er mitteilt- der ideologischen Konformität des Silicon Valley zu entkommen.

ix https://www.nytimes.com/2019/08/01/opinion/peter-thiel-google.html.

x siehe dazu den Artikel von Guido Arnold im Diss-Journal #43, Mai 2022, https://www.diss-duisburg.de/online-bibliothek/alle-ausgaben/.

xi https://www.heritage.org/conservatism/event/americas-cold-civil-war.

xii https://www.claremont.org/press_releases/claremont-institute-welcomes-james-poulos-as-executive-editor-of-the-american-mind/.

xiii Peter Thiel, The Straussian Moment in Politics and Apocalypse (S.189-218), Robert Hamerton-Kelly, Michigan State University Press (2007).