Auf dem rechten Weg

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Der Landesverband NRW der Alternative für Deutschland

Von Clemens Schaar, erschienen in DISS-Journal 30 (2015)

Auf ihrem Landesparteitag Ende August 2015 unterstrich die nordrhein-westfälische AfD noch einmal deutlich, dass der eingeschlagene Rechtskurs auch zukünftig weiterverfolgt werden soll. Der bisherige Landessprecher Marcus Pretzell wurde im Amt bestätigt und hat nun mit Martin Renner als gleichberechtigtem Landessprecher einen Gleichgesinnten zur Seite. Die beiden Politiker eint ihre ablehnende Haltung zum Islam und zur Zuwanderung sowie ihre Sympathien für die britischen Rechtspopulisten von UKIP. ((Für Renner bedeutet die Wahl zum Landessprecher ein Comeback, nachdem er Ende 2013 nach dem Zerwürfnis mit dem damaligen, eher liberalen Landessprecher Alexander Dilger als dessen Stellvertreter abgewählt worden war. In der Zwischenzeit trat Renner als Unterzeichner der „Erfurter Resolution“ des Thüringer AfD-Chefs Björn Höcke in Erscheinung, die das ideologische Gegenstück zu Bernd Luckes „Weckruf 2015“ darstellt.)) Ob es dem ansonsten nahezu gleichgebliebenen Vorstand unter seiner neuen Doppelspitze gelingen wird, den bisweilen desorganisierten und zerstrittenen Landesverband zu disziplinieren, wird sich zeigen müssen. In der Vergangenheit hatte die AfD in NRW einen chaotischen Eindruck hinterlassen, wofür nicht zuletzt Landessprecher Pretzell verantwortlich war. Unter anderem kam es zur Absage eines geplanten Bundesparteitags, weil bei der Auswahl der nordrhein-westfälischen Delegierten Unregelmäßigkeiten bemängelt worden waren. Ebenfalls für Aufsehen sorgte eine zwischenzeitliche Sperrung des Parteikontos der NRW-AfD aufgrund privater Schulden Marcus Pretzells.

Bei den Wahlen zum europäischen Parlament 2014 konnte die AfD in NRW mit 5,4 % noch einigermaßen erfolgreich abschneiden und ihren Spitzenkandidaten Pretzell als Abgeordneten nach Brüssel schicken. Der Erfolg relativiert sich jedoch im Vergleich mit dem Abschneiden in den anderen Bundesländern, in denen bis auf Niedersachsen bessere Ergebnisse erzielt wurden. Noch schlechter schnitt die NRW-AfD bei der gleichzeitig stattfindenden Kommunalwahl ab, was einerseits der geringen kommunalpolitischen Profilierung und Verankerung der Kandidaten sowie andererseits den auch für Außenstehende ersichtlichen, chaotischen und von persönlichen Streitigkeiten geprägten Zuständen im Landesverband geschuldet war. Landesweit kam die AfD so auf gerade einmal 2,6 Prozent, insgesamt konnten 89 Vertreter in die verschiedenen Stadt- und Gemeinderäte entsendet werden, darunter alle wichtigen größeren Städte im Rheinland und Ruhrgebiet. Das beste Ergebnis bei den kreisfreien Städten wurde in Mülheim a. d. Ruhr erzielt, dort erhielten die AfD-Kandidaten 5,2 Prozent und konnten in Fraktionsstärke in den Rat einziehen. Eine weitere AfD-Hochburg ist Mettmann mit einem Stimmenanteil von 7,9Prozent.

Im Juli 2014 berichtete die Süddeutsche Zeitung von Kooperationen zwischen AfD-Vertretern und Mandatsträgern der radikal rechten Parteien NPD und Pro NRW in Duisburg, Bochum und Gelsenkirchen.  ((Haimerl, Kathrin, sueddeutsche.de (29.07.2014): http://www.sueddeutsche.de/politik/nordrhein-westfalen-afd-soll-mit-rechtsextremen-paktieren-1.2059356 (Abruf: 03.08.2015) )) Dies trug zur weiteren Verschärfung der auch auf kommunaler Ebene geführten Richtungskämpfe bei und wirkte sich negativ auf die politische Arbeit und Handlungsfähigkeit der AfD-Funktionäre aus, wie die weitere Entwicklung zeigt.

Bereits im Frühjahr 2015 verlor die AfD ihren Fraktionsstatus in Mülheim durch den Austritt ihres Fraktionsvorsitzenden. In Mettmann kam es durch einen Parteiaustritt ebenfalls zum Verlust der Fraktionsstärke. In Essen sind mittlerweile alle drei AfD-Ratsmitglieder aus der Partei ausgetreten. Insgesamt werden für NRW nach der Abspaltung des Lucke-Flügels rund 400 Parteiaustritte verzeichnet, während die bundesweite Austrittsquote bei zirka 20 Prozent liegt.

Beim Streit um die inhaltliche Ausrichtung der AfD, der letztlich zur Spaltung führte, spielten neben den exponierten Funktionären der Parteispitze vor allem die Landesverbände Thüringen, Sachsen, Brandenburg und Nordrhein-Westfalen eine bedeutende Rolle. In NRW ist die AfD zahlenmäßig am stärksten aufgestellt und wird mit Landesvorstandssprecher Marcus Pretzell von einem erklärten Gegner des gemäßigteren AfD-Flügels angeführt, der schon frühzeitig die Konfrontation mit Bernd Lucke und dessen Bemühungen, die Rechtsaußen-Fraktion seiner Partei zu disziplinieren, suchte. So beteiligte sich dieser noch zu seiner Zeit als Mitglied im Bundesvorstand demonstrativ an einer Diskussionsveranstaltung der Jungen Alternative NRW mit UKIP-Chef Nigel Farage. Da eine Zusammenarbeit mit UKIP im Vorfeld offiziell ausgeschlossen worden war, führte dieser gezielte Affront zu einer Rüge für Marcus Pretzell durch den übrigen Vorstand. Nachdem Pretzell bei der Europawahl im Mai 2014 als NRW-Spitzenkandidat ins Parlament einziehen konnte und auf dem Landesparteitag im Juni 2014 zum Landessprecher gewählt wurde, trat er im Oktober 2014 von seinem Posten im Bundesvorstand zurück. Als Begründung gab er an, sich auf die beiden anderen Aufgaben konzentrieren zu wollen, wobei sein Rückzug gleichzeitig als taktisches Manöver im innerparteilichen Machtkampf verstanden werden kann, um im Falle einer Durchsetzung der Lucke-Linie weniger angreifbar zu sein. Stattdessen unterstützte Pretzell vor allem Frauke Petry in ihrer zunehmenden Konfrontation mit Bernd Lucke und dessen Anhängern, während er ansonsten in die Defensive geriet. Trotz der dominanten Rolle Marcus Pretzells für die Entwicklung des Landesverbandes ist er jedoch nicht allein verantwortlich für den Rechtstrend der NRW-AfD.

Neben dem nun in die Landesspitze zurückgekehrten Martin Renner hat sich Hermann Behrendt als inhaltlicher Impulsgeber hervorgetan. Unter dem Titel “Mandative Demokratie” hatte Behrendt 2011 eine sogenannte “Realutopie” veröffentlicht, die er als Gegenentwurf zur parlamentarischen Demokratie skizzierte. Parlamentarische Kontrolle der Regierung wird darin als störendes Hindernis bei der Durchsetzung unliebsamer Maßnahmen zum Sozialabbau dargestellt, weshalb die Abschaffung des Parlaments und die Direktwahl von Bundesregierung und Bundeskanzler gefordert wird. Außerdem sollen Kündigungsschutz und gewerkschaftliche Mitbestimmungsmöglichkeiten aufgehoben werden, um auf der anderen Seite Arbeitszwang und die Rente mit 70 einzuführen. Weiter beinhaltet das Werk abwertende Äußerungen über Hartz-4-Empfänger und  Zuwanderer. ((Vgl: Kemper, Andreas, 29.03.2014 https://andreaskemper.wordpress.com/2014/03/29/afd-nrw-vorstandssprecher-abschaffung-der-parlamentarischen-demokratie/ (Abruf: 10.08.2015) )) Trotz anderslautender Beteuerungen Behrendts stellt das Werk eine der Grundlagen für dessen politische Arbeit dar. So ist in der Pressemitteilung zur Kandidatenvorstellung von Hermann Behrendt zur Bundestagswahl  mit der Direktwahl des Bundeskanzlers bzw. der Bundesregierung ein zentrales Element des ‘Mandative Demokratie’-Konzepts enthalten. ((Alternative für Deutschland – NRW, August 2013 http://www.nrw-alternativefuer.de/wp-content/uploads/2013/08/AfD_PM_Direktkandidat_Behrendt.pdf  (Abruf: 10.08.2015) )) Dies entspricht dem im Buch beschriebenen Vorgehen, die für die Umsetzung des Konzepts notwendigen Verfassungsänderungen und Reformen sukzessive umzusetzen. (( Kemper, Andreas, Antifaschistische Nachrichten (08-2014)
http://www.antifaschistische-nachrichten.de/fileadmin/users/antifana/pdf/2014/an_08_2014.pdf (Abruf: 11.08.2015) )) Da Behrendt sich dem “Weckruf 2015” angeschlossen hat, besteht nun die Möglichkeit, derartige Inhalte auch in die neue Partei “ALFA” einzubringen.

Eine weitere wichtige Personalie in der NRW-AfD stellt der Düsseldorfer Rechtsanwalt Alexander Heumann dar, der immer wieder durch zuwanderungs- und islamfeindliche Äußerungen provoziert und sich aktiv an der Formierung des innerparteilichen Rechtsaußen-Flügels beteiligt hat. So gründete Heumann den NRW-Ableger der Patriotischen Plattform (PP), als deren Sprecher er fungierte. ((Lotta Magazin #57 (Herbst 2014) „‘Patriotische Plattform‘ in der AfD gegründet“ (43.) ))

Allgemein ist Heumanns persönlicher Blog sehr aufschlussreich, was seine politischen Ansichten betrifft. So finden sich dort neben Kommentaren zu Entwicklungen in der AfD Einträge zu “Ausländerkriminalität” ((Heumann, Alexander, 11.07.2015 „Ausländerkriminalität“ http://www.heumanns-brille.de/auslaenderkriminalitaet/ (Abruf: 07.08.2015) )) und sogar ein holocaustrelativierender Artikel über den Genozid an den Armeniern, in dem dieser als “Blaupause” für die Shoa bezeichnet wird. ((Heumann, Alexander, 19.04.2015: „Völkermord“ http://www.heumanns-brille.de/voelkermord/  (Abruf: 03.08.2015))

Dass sich Heumanns Agitation nicht nur auf das Internet beschränkt, zeigt seine Beteiligung an einer Demonstration der “Hooligans gegen Salafisten” (HoGeSa) sowie der Aufbau des Düsseldorfer Ablegers der islamfeindlichen PEGIDA-Demonstrationen. Außerdem ist Heumann Vorstandsmitglied der rechten ‘Bürgerbewegung Pax Europa’. Mit derartigen Standpunkten und Aktivitäten stellt er ein extremes Beispiel für die rechten Umtriebe in der AfD dar; bezeichnenderweise kam es jedoch zu keinerlei Distanzierungen oder Disziplinierungen seitens der Partei, vielmehr wurde Heumann auf dem Bundesparteitag im Juli 2015 ins Bundesschiedsgericht der AfD berufen. Aktuell wird Heumann jedoch auf der AfD-Internetseite nicht mehr bei den Mitgliedern des Schiedsgericht geführt, Informationen zu einem möglichen Ausscheiden Heumanns sind derzeit nicht offiziell bestätigt.

Ebenfalls in Düsseldorf ansässig ist Ulrich Wlecke, der Anfang der 1990er Jahre Schatzmeister der extrem rechten ‘Republikaner’ war, bevor er zur CDU wechselte. Dass sich der Unternehmer von den Inhalten der Republikaner abgewendet hat, ist nicht zu erkennen. So unterstützte Wlecke den FPÖ-Chef Jörg Haider und gilt als Vertrauter von PRO-NRW-Vorsitzender Markus Beisicht, mit dem er gemeinsam den “Ring freiheitlicher Studenten” in NRW aufgebaut hatte, dem “neofaschistische Tendenzen” attestiert wurden. ((Neuerer, Dietmar, Handelsblatt online (28.06.2013): „Konservativ, liberal, rechts – Wohin steuert die AfD?“ http://www.handelsblatt.com/politik/deutschland/bundestagswahl-2013/euro-kritiker-fruehere-republikaner-sorgen-im-nrw-verband-fuer-streit/8419392-3.html (Abruf: 05.08.2015) )) Wleckes rechter Hintergrund scheint indes kein Ausschlusskriterium für die Ausübung verantwortungsvoller Parteiämter zu sein, da er zum einen Vorsitzender des einflussreichen AfD-internen Mittelstandsforums und andererseits Leiter des Landesfachausschusses “Wirtschaft und Energie” ist, also an der Gestaltung grundsätzlicher politischer Leitlinien der AfD beteiligt ist. Außerdem ist er Mitglied im Düsseldorfer Stadtrat und dort im Haupt- und Finanzausschuss sowie im Rechnungsprüfungsausschuss aktiv.

Schließlich bleibt noch Markus Wagner zu erwähnen, ehemals Bundesvorsitzender der als ‘Schill-Partei’ bekannten Partei Rechtsstaatlicher Offensive, der als kooptiertes Vorstandsmitglied ausgerechnet für Mitgliederangelegenheiten zuständig ist.

Auch gegenüber verschwörungstheoretischen Inhalten scheint die NRW-AfD aufgeschlossen zu sein, wie der im März 2015 durchgeführte “1. Alternative Wissenskongress” zeigt, der von einzelnen AfD-Funktionären angemeldet wurde, nachdem die Bezirksverbände nach öffentlicher Kritik auf Abstand gingen. Vor allem die Auftritte des selbsternannten “Nationalbolschewisten” und Querfront-Ideologen Jürgen Elsässer sowie des Chefs der pseudowissenschaftlichen “Wissensmanufaktur”, Andreas Popp, zeigen die Anschlussfähigkeit mancher Teile der Partei selbst an krudeste Ideologien.

Angesichts der vielfältigen Aktivitäten von Personen mit rechtem Hintergrund, die mitunter gewichtige Parteiämter innehaben, bleibt festzuhalten, dass die Nähe zum rechten Spektrum ein kontinuierliches Phänomen im Landesverband NRW darstellt. Bedenklich ist hierbei die Tatsache, dass Ausfälle nach rechts nur äußerst selten Konsequenzen nach sich zogen und personelle Veränderungen eher aus den innerparteilichen Machtkämpfen und persönlichen Streitereien resultierten. Die Entscheidung im Richtungsstreit in der Bundespartei hatte bislang vergleichsweise geringe Auswirkungen auf den Landesverband. ((Vgl hierzu: http://www.report-k.de/Politik/Koelnpolitik/AfD-meldet-30-Austritte-in-Koeln-47189))

Angeführt von seinem Vorstandssprecher Marcus Pretzell nahm der Landesverband NRW eine bedeutende Rolle ein bei der Durchsetzung des nationalkonservativen Flügels im Richtungsstreit in der Bundespartei. Nun wird sich zeigen, ob es den verbliebenen Parteispitzen und wichtigen Funktionären wie Pretzell gelingt, die Handlungsfähigkeit der AfD zu gewährleisten und zu verhindern, dass die Partei durch die chaotischen internen Verhältnisse und den Verlust des Lucke-Flügels in der politischen Bedeutungslosigkeit versinkt. Bei einer erfolgreichen Konsolidierung stellt sich dann die Frage, ob durch die weitere Öffnung der AfD nach rechts Bündnisse mit anderen Organisationen der populistischen bis radikalen Rechten ermöglicht werden und ob die Partei weiteren Mitgliederzulauf aus diesem Spektrum verzeichnen wird. Anhand der bisherigen Entwicklungen in NRW ist dieses Szenario zumindest denkbar.

Clemens Schaar studiert Politikwissenschaft an der Universität Duisburg-Essen. Der Artikel entstand im Rahmen seines Praktikums im DISS.