Ethnisierung von Straftaten

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Diskursanalytische Betrachtung der Berichterstattung über Angriffe auf Synagogen

Von Melanie Wieschalla, erschienen in DISS-Journal 30 (2015)

Wie Zeit Online am 5.5.2015 vermeldete, ist 2014 die Zahl antisemitischer Straftaten mit 1.596 Fällen um 25 Prozent zum Vorjahr gestiegen. Dabei richteten sich die Angriffe gezielt auf jüdische Gemeinden, darunter auch auf Synagogen (BMI 2015). Vor dem Hintergrund der deutschen Geschichte und der Shoah stellt sich die Frage, ob und wie der Mediendiskurs auf diese Zunahme reagiert, wie die Täterinnen und Täter innerhalb der deutschen Gesellschaft positioniert werden und welche weiteren Diskurse in diesem Zusammenhang virulent sind. Dies waren einige Fragestellungen, denen in einer Diskursanalyse von Online-Medienportalen nachgegangen wurde und deren (Teil-)Ergebnisse im Folgenden dargestellt werden. ((Die Analyse umfasste insgesamt 114 Artikel, die im Zeitraum April 2013 bis März 2015 in folgenden Online-Portalen erschienen sind: BILD; Der Spiegel; Der Tagesspiegel; Der Westen; Die Welt; Die Zeit; Focus; Frankfurter Rundschau; Jüdische Allgemeine; Katholische Nachrichten; Kreiszeitung; Lokalanzeiger; Recklinghäuser Zeitung; RP Online; Ruhr Nachrichten; Sächsische Zeitung; Stern; Süddeutsche Zeitung; taz; Wetterauer-Zeitung.))

Um welche Straftaten geht es?

In der Zeitspanne vom April 2013 bis zum März 2015 wurden nur sehr wenige antisemitische Anschläge von den Medien behandelt. Im Einzelnen ging es um folgende Straftatbestände:

  • Die größte Aufmerksamkeit galt (mit 71 Artikeln) dem Fall zweier junger Männer und eines Jugendlichen, die im Juli 2014 Molotowcocktails auf den Eingangsbereich der Wuppertaler Synagoge geworfen haben, wobei kein Sach- oder Personenschaden entstand. Dabei wurden die Straftat, die Spuren- und Tätersuche und der anschließende Prozess behandelt.
  • Des Weiteren wurde im Februar 2015 von einer Terrorwarnung von Salafisten in Bremen berichtet, bei der auch die Synagoge als mögliches Anschlagsziel genannt wurde.
  • Über die Ankündigung eines Angriffs auf die Alte Synagoge in Essen über Facebook, die eine vorläufige Festnahme von vier Männern zur Folge hatte, wurde gleichfalls berichtet.
  • Schließlich wurde die vorläufige Festnahme von 14 Menschen im Vorfeld einer Demonstration gegen den Gaza-Konflikt gemeldet, die deshalb vorgenommen wurde, da ein Angriff auf die Alte Synagoge in Essen vermutet wurde.

Weitere Fälle wurden in geringerem Maße behandelt, wobei Straftaten mit vermutetem rechtsextremem Hintergrund weit weniger erwähnt worden sind als solche, die von Tätern mit Migrationshintergrund begangen wurden. ((Weitere Fälle waren: die Beschädigung der Eingangstür der Pinneberger Synagoge am Jahrestag der Reichspogromnacht (November 2013), ein vergessener Koffer vor der Synagoge in Bad Nauheim (März 2015), das Werfen eines Gullydeckels in ein Fenster der Gelsenkirchener Synagoge (Juni 2014), Schmierereien an  der Dresdner Synagoge „Stop Killing People“ (Juli 2014), ein Vorfall mit einer Spielzeugpistole vor einer Berliner Synagoge (April 2013) und das Anschrauben eines Schweineohrs an der Tür der Synagoge in Eisleben (Februar 2015). All diese Vorkommnisse wurden jedoch weitaus weniger häufig erwähnt.))

Darstellung der Täter und Verdächtigen

Die Täter und Verdächtigen werden in der Regel durch Alter, Herkunft und Migrationsstatus beschrieben. Auffallend ist die dabei vorgenommene Ethnisierung. Dies führt zur Förderung von Ressentiments gegen die jeweilige Gruppe, der sie zugerechnet werden.

Im Fall der Vorkommnisse um die Alte Synagoge in Essen werden vor allem die Kundgebungen zum Gaza-Konflikt in den Mittelpunkt gestellt. Die Demonstranten  werden als „arabischstämmig“ bezeichnet. Diejenigen, die verdächtigt werden, einen Angriff auf die Alte Synagoge zu planen, werden als „arabisch“, „libanesisch“ oder zuweilen auch als dem „anti-israelischen/arabischstämmigen Umfeld“ zugehörig beschrieben (WAZ 18.07.2014; WAZ 27.08.2014). In einem Artikel über vier vorläufig festgenommene Personen wird von Männern mit „Migrationshintergrund“ gesprochen (25.07.2014 Ruhr Nachrichten). Stets wird ein Zusammenhang der Täter mit den Demonstranten hergestellt. Im Kontext des Nahost-Konflikts wird durch die Bezeichnung „Migrationshintergrund“ oder „Arabisch“  die Religionszugehörigkeit zum Islam insinuiert. Auch im Falle der Bremer Anschlagsgefahr werden die vorübergehend festgenommenen Personen als „libanesisch“ bzw. „Libanesen“ bezeichnet (06.03.2015 RP-Online; 06.03.2015 Kreiszeitung). Im Falle des Brandanschlags auf die Synagoge in Wuppertal wird gleichfalls auf die Herkunft der Täter und zunächst Verdächtigen hingewiesen. Fast alle Verdächtigen und Täter werden durch ihre Herkunft oder ihren Aufenthaltsstatus beschrieben, z.B. als „Palästinenser“, als „Syrer“ oder auch als „staatenlos“ (06.02.2015 taz; 30.07.2014 Welt; 30.07.2014 WAZ; 15.01.2015 Welt). Es findet sich nur ein Artikel, in dem die Täter als „Deutschpalästinenser“ bezeichnet werden (18.02.2015 taz).

Eine solche Berichterstattung legt nahe, dass allein nicht-deutsche Personen diese Taten verüben und auch, dass dies für ihr Tun relevant sei. Die ethnische Zugehörigkeit wird zum Kausalzusammenhang. Dabei geht es nicht nur um potentielle Kriminalität, sondern im Zusammenhang mit den spezifischen Taten eben auch um eine diskursive Verschränkung dieser Kriminalität mit antisemitischen Motiven und Terrorismus, was bereits durch die Charakterisierung der Taten als „Anschlag“ angespielt wird. Den Angriffen oder Angriffsplänen wird eine bestimmte Gruppenzugehörigkeit zugeschrieben und macht Personen mit Migrationshintergrund, insbesondere Moslems zu potentiellen antisemitischen Tätern.

Eine solche Perspektive blendet individuelle Motive oder Ursachen weitgehend aus: Im „Wuppertaler Fall“ wurden die Täter auch vereinzelt als unpolitisch und stark alkoholisiert geschildert, die – motiviert durch die Gewalt zwischen Israel und Palästinensern – ein „Signal“ setzen wollten (14.01.2015 taz; 14.01.2015 Ruhr Nachrichten). Auch durch die Wiedergabe ihrer Geständnisse wurden solche individuellen Motive und Problemlagen perspektiviert. (05.02.2015 Welt). Doch auch hier wird letztlich die Zugehörigkeit zu einer bestimmen „Ethnie“ (Palästinenser) als Erklärung für die individuellen Motive herangezogen und gleichzeitig eine bestimmte politische oder ideologische Haltung unterstellt (Parteinahme im Nahost-Konflikt für die Palästinenser und ein damit verbundener Antisemitismus).

Adressaten

Die Frage ist, wie die Verdächtigen zur Gesellschaft positioniert werden und welche Anforderungen an die Vertreter der Zivilgesellschaft und Politik formuliert werden. Hier ist festzustellen, dass eine Abgrenzung der Täter und Verdächtigen von einem imaginierten „Wir“ vorgenommen wird. Allerdings scheint es durchaus verschiedene „Wir“ zu geben.

  1. Das eine „Wir“ umfasst die Gesellschaft in Deutschland, wenn es z.B. mit „unser Land“ verbunden wird (29.07.2014 Stern), oder auch die Bürger einer Stadt (29.07.2014 Ruhr Nachrichten). Dabei geht es um den Appell, keine Angriffe gegenüber jüdischen Mitbürgern zuzulassen und in Solidarität zu stehen.
  2. Ein weiteres „Wir“ begreift Deutschland oder die Deutschen (03.03.2015 Welt; 29.07.2014 Spiegel) als territorialer und historischer Kontext. In diesem Fall geht es zumeist um den Appell, die Sicherheit für die jüdischen Mitbürger in Deutschland zu gewährleisten bzw. möglichen Schaden nicht zuzulassen und nicht zu akzeptieren.
  3. Schließlich wird Gesellschaft allgemein als „Wir“ begriffen, dem die Täter gegenübergestellt werden (29.07.2015 Stern; 08.08.2014 Süddeutsche). Oft geht es um „Teile“ der Gesellschaft oder um die „Mitte“, die sich gegen Antisemitismus und für die jüdische Gemeinde aussprechen und nicht schweigen sollte. Antisemitismus als Problem der Gesellschaft, sollte von dieser angegangen werden. Es wird an die „aufgeklärte und kritische“ Gesellschaft appelliert und an das Selbstverständnis einer abendländischen Gesellschaft (12.08.2014 focus).

Fazit

Bei der Berichterstattung über Anschläge auf Synagogen werden Täter und Verdächtige ethnisiert dargestellt, denen, durch die Aussagen von Vertretern der Politik und Gemeinden, ein „Wir“ gegenübergestellt wird. Bezieht sich dieses nur auf Deutschland oder die Gesellschaft, besteht die Tendenz die Täter und Verdächtigen aus diesem „Wir“ auszuschließen oder ihnen zumindest einen erklärenden Kontext zu verwehren. Abgegrenzt wird hierdurch eine deutsche Identität (das „Wir“ oder die „Deutschen“) von einer Fremden (Jäger & Jäger 2004). Das „Wir“ bezieht sich auf eine nationale Identität, die auf einer gemeinsamen Abstammung und kulturellen Gemeinsamkeiten beruht (Weller 2004). Durch die Ethnisierung der Täter oder Verdächtigen wird eine Unterscheidung zwischen Tätern und gesellschaftlichen Gruppen, zu denen sie gezählt werden oder angehören, aufgehoben; so dass Ressentiments auf die gesamte ethnische Gruppe projiziert werden (Ködel 2007). Die Ethnisierung zeigt sich auch durch eine synonyme Verwendung der Bezeichnungen „Türke“, „Araber“, „Migrant“ und „Muslim“.  Es wird eine Nicht-Deutsche homogene Gruppe mit kollektiven Zuschreibungen religiöser und ethnischer Art konstruiert (Shooman 2012). Eine solche Berichterstattung birgt nicht zuletzt auch die Gefahr der einseitigen Zuschreibung von Antisemitismus in Deutschland auf „Muslime“ in sich und marginalisiert die zahlreicheren antisemitischen Übergriffe von Seiten des rechtsextremen Spektrums (Wetzel 2012). Letztlich führt das Zusammenbringen von muslimischen Migranten und „Anschlägen auf Synagogen“ zur diskursiven Verschränkung mit dem Thema Terror, welcher somit von „außen“ kommt und nicht hausgemacht ist. Erklärungen aufgrund von Strukturen, Systemen, gesellschaftlichen Institutionen; bzw. struktureller Benachteiligung bleiben leider unerwähnt (Jäger & Wamper 2012).

Literatur

BMI: Bundesministerium des Innern (2015): Polizeiliche Kriminalstatistik und Politisch Motivierte Kriminalität. http://www.bmi.bund.de/SharedDocs/Pressemitteilungen/DE/2015/05/pks-und-pmk-2014.html [Zugriff: 18.09.2015].
Jäger, S.; Jäger, M. (2004): Die Nahost-Berichterstattung zur Zweiten Intifada in den deutschen Printmendien; In: Jäger, S.; Januschek, F. (Hg.): Gefühlte Geschichte und Kämpfe um Identität: 147-168.
Jäger, M.; Wamper, R. 2012: Die Anschläge in Norwegen in deutschsprachigen Medien. Zur Verknüpfung von Terror und Islam sowie Rechtsextremismus und Krankheit; In: Jäger, M.; Kauffmann, H. : Skandal und doch normal: 126-144.
Ködel, C. (2007): „Unheimliche Gäste. Die Gegenwelt der Muslime in Deutschland“, In: Jäger, S.; Halm, D. (Hg.): Mediale Barrieren. Rassismus als Integrationshindernis: 201-228.
Shooman, Y. 2012: Vom äußeren Feind zum Anderen im Inneren; In: Jäger, M.; Kauffmann, H. : Skandal und doch normal: 305-320.
Weller, C. 2004: Die Aktualisierung kollektiver Identitäten bei der Deutung der Terroranschläge am 11. September 2001, In: Jäger, S.; Januschek, F. (Hg.): Gefühlte Geschichte und Kämpfe um Identität: 221-237.
Wetzel, J. (2012): Moderner Antisemitismus unter Muslimen in Deutschland. In: Schneiders, T. G. (Hg.): Verhärtete Fronte. Der schwere Weg zu einer vernünftigen Islamkritik: 243-256.
ZEIT ONLINE (05.05.2015): Zahl antisemitischer Straftaten deutlich gestiegen. http://www.zeit.de/gesellschaft/zeitgeschehen/2015-05/kriminalitaetsstatistik-antisemitismus [Zugriff: 18.09.2015].

Melanie Wieschalla studiert an der Ruhr-Universität Bochum. Der Artikel entstand im Rahmen ihres Praktikums im DISS.