Der Reset der Großen Transformation

Von Andrea Becker „Das Ziel der Bundesregierung, die CO2 -Emissionen faktisch auf null zu senken, führt zu einem radikalen Umbau von Industrie und Gesellschaft („Die Große Transformation“/ „The Great Reset“) und bedroht unsere Freiheit in einem immer beängstigenderen Ausmaß“ (AfD-Alternative für Deutschland 2021, S. 172). Große Transformation und Reset, die beiden Wendungen in der eingeschobenen Klammer des obigen Zitates sind nicht zufällig im AfD-Wahlprogramm gelandet, sie markieren jeweils für sich die Rezeption einer Verschwörungserzählung und deren zeitgeistige Aktualisierung. Bei der AfD taucht sie 2016 im Grundsatzprogramm zum ersten Mal auf, die „Große Transformation“ als feststehender Ausdruck mit großem „G“: die deutsche Regierung „missbraucht die steigende CO2-Konzentration zur ‚Großen Transformation‘ der Gesellschaft“ ist dort zu lesen (GP, 79). Damit wolle man Schluss machen. Die Wendung nimmt einen Diskurs auf, der sich in Deutschland auf…

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Ökotechnokratie

›Smarte Ökologie‹ Von Guido Arnold So wie es (geplant) ist, kann es nicht bleiben. Die weltweit ergriffenen und angestrebten Maßnahmen zur Bekämpfung des Klimawandels reichen schlicht nicht aus. Die Energiewende verläuft nach Einschätzung der Internationalen Energieagentur (IEA) weltweit viel zu langsam. Mit den derzeitigen Plänen zur Reduktion der Treibhausgasemissionen gelänge der Weltgemeinschaft bis zum Jahr 2050 gerade einmal eine Verringerung von 40 Prozent (statt der im Pariser Abkommen von 2015 geplanten 100%). Dies würde den globalen Temperaturanstieg bis Ende des Jahrhunderts im günstigen Szenario auf 2,1 Grad begrenzen. Im ungünstigen Fall berechnen die Wissenschaftler*innen eine Erwärmung um 2,6 Grad im Vergleich zu vorindustrieller Zeit, mit womöglich katastrophalen Folgen.1 Um das eigentlich angestrebte 1,5-Grad-Ziel noch halten zu können, müsste die Welt die jährlichen Treibhausgas-Emissionen in den nächsten acht Jahren halbieren. Noch nie seit Beginn…

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Vorwort zum DISS-Journal 42

Der 9. November ist sicherlich ein schwieriger Tag der Erinnerung an die deutsche Geschichte. Anton Maegerle schreibt in einem aktuellen Beitrag für den DISSkursiv-Blog http://www.disskursiv.de, der 9. November markiere „den Beginn der ersten deutschen Republik [1918], den Versuch eines rechtsextremen Umsturzes [1923], das Pogrom gegen die jüdische Bevölkerung [1938] und den Fall der Berliner Mauer [1989]“. Und: „Weitgehend in Vergessenheit ist geraten, dass – auch an einem 9. November – ein Vorkämpfer der Demokratie ermordet wurde: Robert Blum.“ Es wäre absolut unangemessen, diese Erinnerungsdaten miteinander zu verrechnen, eine Art Plus-Minus-Rechnung aufzumachen. Etwas anderes gilt: Die Verhinderung (1848) bzw. die Zerstörung der Weimarer Demokratie waren die Voraussetzung für die Etablierung einer halbabsolutistischen Monarchie in der zweiten Hälfte des 19. und das Vernichtungswerk des Faschismus in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts. 1918 und 1989…

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Neue alte falsche Propheten

Leo Löwenthal: Falsche Propheten. Studien zur faschistischen Agitation, Berlin: Suhrkamp 2021, 253 Seiten, 15,00 Euro. ISBN: 978-3-518-58762-1 Rezension von Stefan Vennmann ‚Juden, Kommunisten, Ausländer, Gewerkschaften, Moskau, Washington, Verschwörung, letztlich Satan, Sintflut, Apokalypse‘ – Das sind die zentralen Feindbilder, die Leo Löwenthal in seiner Studie über die amerikanischen faschistischen Agitatoren erkennt. Was Löwenthal an der faschistischen Agitation zu zeigen hofft, ist nicht nur die potenzielle Gefahr einer politischen Bewegung. Die Studie versucht darüber hinaus ein theoretisches Problem zu explizieren, das auch die heutige Autoritarismus-Forschung begleitet. 1949 als Teil der Studies in Prejudice, der bekannten Schriftenreihe des ins Exil gezwungenen Frankfurter Instituts für Sozialforschung, erschienen, erarbeitet Löwenthal aus den Reden und Pamphleten der US-faschistischen Agitatoren eine Fibel gängiger Verschwörungsmythen. Die dargestellten Stereotype vom „Flüchtling“ (88) über den „jüdische[n] Einfluss“ (131) bis hin zu vermeintlichen ‚Volksverrätern‘,…

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Politische Bewegungsbilder im Social Web

Jens Eder, Britta Hartmann & Chris Tedjasukmana: Bewegungsbilder. Politische Videos in Sozialen Medien, Berlin: Bertz+Fischer 2020, 128 S., 10,00 Euro. ISBN: 978-3-86505-750-1 Rezension von Dirk Dieluweit Internetvideos sind inzwischen ein bedeutendes Mittel der politischen Kommunikation. Bürger, NGOs und soziale Bewegungen produzieren Videos, um auf Probleme aufmerksam zu machen oder zum Handeln zu motivieren. Deshalb wollen die AutorInnen zeigen, auf welche ästhetischen Formen und medialen Strukturen Aktivisten zurückgreifen, wenn Sie ihre Anliegen in Videoformaten präsentieren. Obwohl sich die öffentliche Aufmerksamkeit bisher auf Videos von Islamisten oder Neonazis richtete, soll der Schwerpunkt dieses Buches auf den Videos zivilgesellschaftlicher Aktivisten liegen, die sich unabhängig von Regierungsinstitutionen oder Großkonzernen für gesellschaftlichen Wandel engagieren. Im zweiten Kapitel beschreiben die AutorInnen Politik als Streit um gesellschaftliche Entscheidungen, der Kommunikation voraussetzt. Aufgrund ihres Realitätsdrucks und ihrer symbolischen Dichte können Videos…

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Brexitannia – a podcast and more …

Vorwärts in die Vergangenheit oder Rückwärts in die Zukunft Dabei kostet der Impstoff AstraZeneca nur 4 Euro pro Dosis, Pfizer/Biontech hingegen sechs mal soviel. Aber das Paul-Ehrlich-Institut, eine der Bundesregierung unterstellte Agentur, widersprach und die Regierung setzte den Einsatz des Impfstoffs der britisch-schwedischen Firma AstraZeneca aus. Unter dem Druck der oben genannten internationalen Fachleute ließ die Bundesregierung ihn dann doch wieder zu. Und die absolute Frechheit? „Unseren deutschen“ Impfstoff Pfizer/Biontech hatte – wie gesagt – Johnson uns und der schlafenden EU-Kommission auch noch vor Monaten unter der Nase weggeschnappt! Es drängt sich sogar langsam aber sicher die Frage auf: Haben Johnson sowie die Brexiterinnen und Brexiter mit ihrem Brexit den Weg für die „Britische Mutante“ geebnet? War nicht ihre heimtückische Strategie von vornherein, Europa durch eine Mutante der Pandemie in die Knie zu…

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Carola Rackete und das Leid der Geflüchteten

Der deutsche Mediendiskurs im Juni & Juli 2019 Von Anna-Maria Mayer, Judith Friede, Fabian Marx, Benno Nothardt, Milan Slat, Christian Sydow “Everyone has the right to freedom of movement and residence within the borders of each state.” (United Nations 1948) Plakat auf einer Demonstration am 06.07.2020 in Duisburg Obwohl Freizügigkeit und Niederlassungsfreiheit in der UN-Menschenrechtscharta festgehalten sind, scheint es einstweilen so, als ob dies Staaten nicht immer bewusst sei. Europäische Staaten, darunter auch Deutschland, nehmen häufig eine abwehrende Haltung gegenüber Flucht und Migration ein. Diese gipfelt mitunter in Diskussionen um die Aussetzung des Menschenrechts auf Asyl1 oder um die Frage, ob Seenotrettung stattfinden sollte oder nicht2. Die lebendige Humanität im Sommer 2015 währte nur kurz. Es ließ sich eine Verschiebung von einer „Willkommenskultur zur Notstandsstimmung“ (Jäger & Wamper 2017) feststellen. In dieser rückten…

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Extremismus und Popkultur

Eine kritische Analyse der popkulturellen Virulenz der Extremismustheorie am Beispiel des Tatorts Dortmund „Heile Welt“ vom 21. Februar 2021 von Lisa Wessel „Tatort“ erfreut sich als älteste deutsche kontinuierlich ausgestrahlte Kriminalserie mit einem durchschnittlichen Marktanteil der sonntäglichen Erstausstrahlungen von 24,4 % (Media Perspektiven 2020) auch aktuell ungebrochener Beliebtheit. In der Produktion geht es auch immer wieder darum, gesellschaftlich brisante Themen aufzugreifen und im Rahmen einer Krimihandlung zu verarbeiten. Der Dortmunder Tatort „Heile Welt“, der am Sonntag, den 21.02.2021 um 20.15 Uhr ausgestrahlt wurde, versucht, sich Diskursen um rassistische Polizeigewalt, Extremismus und ‚cancel culture‘ anzunähern. Im Folgenden soll die Darstellung der verschiedenen Akteur*innen, sowohl kollektiv als auch individuell, kritisch betrachtet werden. Es steht zunächst ein Mordfall im Vordergrund: Im Keller eines Hochhauskomplexes wird die Leiche einer jungen, weißen Frau, Anna Slomka, gefunden. Im Verlauf…

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Das Verhältnis von Staat und gesellschaftlichen Klassen in der Theorie von Nicos Poulantzas

von Wolfgang Kastrup In der letzten Ausgabe des DISS-Journals, Nr. 40 vom November 2020, habe ich in dem Artikel „Klasse und Klassenkampf – längst überholte Begriffe?“ Bezug genommen auf die aktuelle Diskussion über dieses Thema und damit auch auf die Frage, ob der Klassenbegriff in der Marxschen Tradition überhaupt noch Gültigkeit hat. In dieser Debatte ergibt sich auch die Problematik, wie das Verhältnis von Staat und gesellschaftlichen Klassen begriffen werden muss. Karl Marx selbst hat bekanntermaßen keine Staatstheorie vorgelegt. Bevor ich diesbezüglich auf die besondere Bedeutung der Theorie des griechisch-französischen Wissenschaftlers Nicos Poulantzas (1936-1979) eingehe, möchte ich Bezug nehmen auf die hierzu grundlegende Fragestellung, die der sowjetische Rechtstheoretiker Eugen Paschukanis (1891-1937) aufwarf: „[…] warum bleibt die Klassenherrschaft nicht das, was sie ist, das heißt die faktische Unterwerfung eines Teils der Bevölkerung unter die…

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Standortnationalismus – Völkischer Nationalismus – Autoritärer Staat

Anmerkungen zum neuen Wahlprogramm der AfD Von Helmut Kellershohn   Einleitung Die AfD ist in ihrem neuen Wahlprogramm, das in seiner Endfassung noch nicht vorliegt,1 durchdrungen von der Idee, Deutschland bzw. die deutsche Wirtschaft auf einen „normalen Entwicklungspfad zurück[zu]führen“. Renormalisierung bedeutet für die AfD zum einen Renationalisierung, d.h. 1. mittelfristig die Rückentwicklung der Europäischen Union von einem „EU-Zentralstaat“ oder „Bundesstaat“ zu einem „Staatenbund souveräner Nationalstaaten“ (18) bzw. zu einem „Europa der Vaterländer“2 und 2. die Aufkündigung des „untergehenden Euro-Systems“ durch die „Wiedereinführung“ (18) nationaler Währungen („ggf. unter paralleler Beibehaltung des Euro oder einer ECU-ähnlichen flexibleren Verrechnungseinheit“).3 Renormalisierung bedeutet zum anderen 3. auf nationaler Ebene eine „marktwirtschaftliche Wirtschaftspolitik“ (16) durchzusetzen, die auf folgenden Grundsätzen beruht: „Schutz des Eigentums, Vertragsfreiheit, die Einheit von Handeln und Haftung, Berufsfreiheit, eine wettbewerbliche Wirtschaftsordnung“ (16). Unverkennbar handelt es sich…

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