Solidarischer Patriotismus vs. autoritärer Liberalismus

Anmerkungen zu zwei Neuerscheinungen auf dem rechten Büchermarkt Von Helmut Kellershohn 1. Die 2020 erschienenen Bücher von Markus Krall („Die bürgerliche Revolution. Wie wir unsere Freiheit und unsere Werte erhalten“, Verlag Langenmüller) und Benjamin Kaiser („Solidarischer Patriotismus. Die soziale Frage von rechts“, Verlag Antaios) bilden zwei markante Pole in der innerrechten Debatte um Fragen der Wirtschafts- und Sozialpolitik. Sie führen die Debatte fort, die zwischen Götz Kubitschek (Institut für Staatspolitik)1 und André F. Lichtschlag (Zeitschrift „eigentümlich frei“) bereits 2017 stattgefunden hat (vgl. Kellershohn 2019, 129-133). Der Sache nach erinnert die Auseinandersetzung an Herbert Marcuses Versuch von 1934 („Der Kampf gegen den Liberalismus in der totalitären Staatsauffassung“), die damaligen Repräsentanten des Neoliberalismus und der Konservativen Revolution resp. des NS („heroisch-völkischer Realismus“) gegenüber zu stellen und den dialektischen Zusammenhang dieser Positionen „auf dem Boden derselben…

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„Die Corona – Gesellschaft“

Eine Rezension ausgewählter Beiträge Von Wolfgang Kastrup Die Schnelligkeit erstaunt, da dieses Buch Die Corona-Gesellschaft mit dem Untertitel Analysen zur Lage und Perspektiven für die Zukunft mit 39 verschiedenen Beiträgen bereits im Juli dieses Jahrs im Transkript Verlag erschienen ist. Für die Herausgeber Michael Volkmer und Karin Werner ist dieses Buch ein „Experiment“, was die Wissenschaft, konkret „die Sozial- und Kulturwissenschaften, in der Aktualität dieser Pandemie-Krise, quasi in Echtzeit, leisten kann.“ (12) Das Buch steht mittlerweile auf der Sachbuchbestenliste September 2020. Wenn auch die Beiträge in der Regel recht knapp abgefasst sind, einer solchen Fülle von Texten kann man kaum im Rahmen einer Rezension gerecht werden. Deshalb beschränke ich mich auf einige wenige Artikel, um diese etwas intensiver zu besprechen. Solidarität in Zeiten der Pandemie? Der Beitrag von Stephan Lessenich, Professor für soziale…

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Zwischen Naturfetischismus und ökonomischem Konformismus

Die rechte Ökologie in der Zeitschrift „Die Kehre“ Von Tom Thümmler Gesellschaftliche Naturverhältnisse und rechte Ökologie Heutige Ökologie-Diskurse sind meist geprägt von der Idee, dass die Natur dem Menschen gegenüber steht und „der Mensch“ in seinem Handeln „das Natürliche“ verändert. Diesem Denken geht allerdings der Prozess der Entfremdung der Natur (vgl. Saitō 2016, 53) voraus. Mit der Konstitution der kapitalistischen Produktionsweise wandelt sich die vormals „abstrakte Identität des Menschen mit der Natur“, wie sie nach Marx in Agrargesellschaften noch vorherrschte, und die Natur wird „zu einem abstrakten, den Menschen äußerliches An-Sich“ (Schmidt 2016, 98 f.). Infolge dieses Prozesses wird die Natur nicht mehr als ein unabhängiges, über die Menschen herrschendes ‚Subjekt‘, sondern als ein grundsätzlich kontrollier- und nutzbares Objekt betrachtet. Praktisch nützlich gemacht wird die den Menschen äußerliche Natur ebenso wie die menschliche…

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Othering und weibliche Genitalverstümmelungen

am Beispiel der kenianischen Kolonialzeit Von Lea Kleinsorg Die Kolonialmacht Großbritannien nutzte die Verurteilung von weiblichen Genitalverstümmelungen in Kenia, um sich von der dortigen Bevölkerung abzugrenzen, sich selbst zugleich moralisch zu erhöhen und um u. a. dadurch ihre Kolonialherrschaft zu legitimieren. Kenianische Nationalist*innen dagegen verwendeten die Praktiken, um sich ihrerseits von der britischen Kolonialmacht zu distanzieren: Sie erhoben diese zum Symbol ihrer Kultur sowie zu einem wichtigen Aspekt kultureller Identität. Der Artikel untersucht, wie Gemeinschaften, die weibliche Genitalverstümmelungen im kolonialen Kenia praktizierten, durch das Othering der britischen Dominanz ihre Identität stärkten und daraus Kraft für ihren antikolonialen Widerstand schöpften. Im Folgenden wird zunächst das theoretische Konzept des Othering erörtert, auf dem dieser Artikel basiert. Anschließend wird kurz definiert, was unter weiblichen Genitalverstümmelungen zu verstehen ist und wie sich diese Praktiken in Kenia während der…

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Die Schaffung der türkischen Nation durch diskursive Exklusion und physische Vernichtung

Von Ismail Küpeli Die Etablierung eines türkischen Nationalstaats im 20. Jahrhundert, einschließlich der Schaffung einer türkischen Nation, ging einher mit der Vernichtung, Vertreibung und Marginalisierung von nicht-muslimischen und nicht-türkischen Bevölkerungsgruppen. Die Schaffung einer türkischen Nation wurde allerdings nicht nur durch Vernichtung und Exklusion vorangetrieben, sondern ebenfalls mit diskursiven Mitteln, nämlich mittels Narrativen und Leitbildern. Sie dienten dazu, staatliche Politiken zu legitimieren. So wurde etwa die ethnisch-religiöse Homogenisierungspolitik durch das Narrativ der fehlenden nationalen Einheit als Hindernis für eine erfolgreiche Modernisierung legitimiert. Die „ethnischen Säuberungen“, Massaker, Deportationen und Umsiedlungen sind Bestandteile dieser Strategien des türkischen Staates. Die Reduzierung von bestimmten Bevölkerungsgruppen zu „Minderheiten“ ist eine Folge dieser Gewaltpolitiken. In zahlreichen Regionen hatten nicht-türkische Bevölkerungsgruppen die Mehrheit gestellt, bis dies durch Massaker und Umsiedlungen geändert wurde. Die Kurd_innen waren als die letzte große nicht-türkische Gruppe in…

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Die Instrumentalisierung der COVID-19-Pandemie von rechts

Analyse der Berichterstattung über die COVID-19-Pandemie in der Wochenzeitung Junge Freiheit Von Rebekka Bonacker Rechtsextreme und rechtspopulistische Akteure nutzen die gegenwärtige COVID-19-Pandemie, um ihre (Um-)Deutungen, Narrative und Propaganda in sozialen Netzwerken und ihren Veröffentlichungen zu platzieren und in der sogenannten Mitte der Gesellschaft zu verbreiten (vgl. Sold/Süß 2020). Dabei lassen sich unterschiedliche und z.T. widersprüchliche Deutungszuschreibungen bzgl. der globalen Gesundheitskrise beobachten.1 Der folgende Beitrag untersucht, wie in der Wochenzeitung „Junge Freiheit“, die als zentrale Publikation der jungkonservativen Neuen Rechten in Deutschland gilt (vgl. Kellershohn 2013, 5f), die Pandemie als Möglichkeit genutzt wird, Mehrheiten für eine völkisch-nationalistische Ideologie zu mobilisieren. Seit Anfang März ist die Pandemie ein fester Bestandteil der Berichterstattung in der auf dem Zeitungsmarkt etablierten Wochenzeitung Junge Freiheit (JF). Unter dem „Deckmantel des Konservatismus“ bildet die JF ein „Scharnier zwischen Rechtsextremismus und…

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Verschwörungsmythen und Feindbilder im Compact Magazin während der Corona-Krise

Von Jasmin Farkasch Das Virus Covid- 19 hält seit Anfang des Jahres die ganze Welt in Atem und ist aus den Medien, Zeitschriften und Magazinen nicht mehr wegzudenken. Die Corona-Pandemie kommt jedoch besonders extremen Gruppen der Gesellschaft zugute, die in dieser Zeit von der allgemeinen Verunsicherung der Menschen profitieren wollen. Durch die Verbreitung von Verschwörungs- und Erwartungsmythen versuchen sie, eine bei manchen Bürgern vorhandene ablehnende oder gar feindselige Stimmung gegenüber staatlichen Maßnahmen zu verstärken, um damit zum gemeinsamen „Widerstand“ zu mobilisieren. Dies ist auch der Fall im Compact Magazin, dessen Argumentationsweise im Folgenden vorgestellt werden soll. Das Compact Magazin Das Compact Magazin, seit Oktober 2013 mit dem Zusatz „Magazin für Souveränität“, ist ein monatlich erscheinendes politisches Magazin in Deutschland. Es handelt sich hierbei um eine ,,Querfront“-Organ, womit ein politisches Konzept gemeint ist, das…

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Corona-Solutionismus

Teil II: CORONA-TESTVERFAHREN Von Guido Arnold Es ist derzeit unklar, wann und sogar ob es einen wirksamen Impfstoff gegen das sich verändernde Corona-Virus Sars-CoV-2 geben wird. Nach aktuellem Forschungsstand ist (abhängig von der Schwere des Verlaufs der Krankheit Covid-19) nicht einmal eine andauernde Immunität bereits Infizierter gegeben. Die Folgen der Krankheit für Herz, Lunge und Hirn können schwerwiegend sein - selbst bei vermeintlich leichter Erkrankung jüngerer „Nicht-Risiko-Patient*innen“. Weltweit wird „bis zur Verfügbarkeit eines Impfstoffes“ auf PCR- und (neuerdings) Antigen-Tests gesetzt, um akute Infektionen zu erkennen. Viele Länder wählen zusätzlich Smartphone-Apps zur Kontaktnachverfolgung, um ein individuelles Infektionsrisiko abzuschätzen und Infektionsketten nach Möglichkeit zu unterbrechen. Zusätzlich sollen Antikörpertests eine (zeitlich begrenzte) „Immunität“ als Unbedenklichkeitsnachweis bescheinigen. Dieser Text zeigt auf, wie (absehbar) wenig geeignet die derzeitige Nutzung dieser Techniken zur Bekämpfung der Pandemie ist. Ich sehe…

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Von der Diskurspiraterie zum ‚reaktionären Werkzeugkasten‘

Von Jobst Paul Der diesjährige DISS-Tag (4. Juli 2020 u.a. mit Beiträgen von Helmut Kellershohn und Guido Arnold) war der Frage gewidmet, wie insbesondere im Kontext der Corona-Debatte rechte populistische (Verschwörungs-)Kampagnen teilweise Erfolg darin haben konnten, eine differenzierte und wohlbegründete Kritik zu übertönen, zu blockieren oder zu vereinnahmen. Jobst Paul stellte dieses Phänomen in seinem Beitrag in den größeren Kontext der Frage, mit welchen gegnerischen Methoden emanzipatorische Kritik und emanzipatorische Projekte insgesamt zu rechnen haben. Er plädierte dabei dafür, diese Frage künftig als Forschungsfeld zu etablieren. Nachfolgend sein Beitrag im Wortlaut. Vor 10 Jahren gaben Helmut Kellershohn, Martin Dietzsch und Regina Wamper den Band Rechte Diskurspiraterien heraus. Der Untertitel lautete: Strategien der Aneignung linker Codes, Symbole und Aktionsformen. Im Begleittext hieß es: „In den letzten Jahren ist ein verstärktes Bemühen auf Seiten der…

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Gegen den Strich

Der Duisburger Diskursanalytiker Siegfried Jäger ist im Alter von 83 Jahren gestorben Von Regina Wamper, Sebastian Friedrich, Sara Madjlessi-Roudi und Jens Zimmermann Eigentlich wird im Besprechungsraum des Duisburger Instituts für Sprach- und Sozialforschung nicht geraucht. Doch das scherte Siegfried Jäger, den wir alle nur Sigi nannten, wenig. Auch ohne die Autorität des Institutsgründers hätte er sich während der Diskussion genüsslich eine Zigarette angezündet. Als er mal aufgefordert wurde, doch bitte die Kippe auszumachen, fluchte er, argumentierte eloquent mit Foucaults Bio-Politik und zog ein weiteres Mal demonstrativ an seiner Zigarette. Vom französischen Philosophen Michel Foucault, der Sigi wie kein zweiter geprägt hatte, gibt es eine interessante Passage zur Herrschaft im Kapitalismus: »Die Bourgeoisie ist intelligent, scharfsichtig und berechnend. Keine Herrschaftsform war jemals so fruchtbar und damit so gefährlich, so tief eingewurzelt wie die ihrige.…

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