Hütchenspiele der AfD im NRW-Landtag

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Eine DISS-Arbeitsgruppe untersucht rhetorische Strategien von AfD-RednerInnen.

Von Jobst Paul. Erschienen in DISS-Journal 36 (2018)

Schon 2013 beschrieb der Bonner Politikwissenschaftler Frank Decker die Strategie der AfD als Versuch, ihre Politik und ihre Rhetorik der Un­gleichheit in ein bürgerliches Image zu verpacken. Der weitere Erfolg der Par­tei hänge dann, so die These von Jan Ackermann im Anschluss an Decker, davon ab, ob sie weiterhin der Öffent­lichkeit ein bürgerlich-liberales Bild präsentieren könne, „während gleich­zeitig andere Parteimitglieder rechts­populistische Positionen und Rhetori­ken bedienen“. ((Jan Ackermann: Der (Rechts-)Populismus und die AfD. Zum extremismustheoretischen Verständnis des (Rechts-)Populismus bei Franz Decker, in: DISS-Journal 29/2015, 9; Frank Decker: Das Parteiensystem vor und nach der Bundestagswahl 2013, in: Zeit­schrift für Staats- und Europawissenschaften 3, 323-342. ))

In einer vorläufigen Sondierung hat nun eine Arbeitsgruppe am DISS (Janina Rott, Jobst Paul) den Versuch unternommen, auffällige inhaltliche und rhetorische Muster in parlamentarischen AfD-Ar­gumentationen zu ermitteln. Unter­suchungsgegenstand waren sechs, im Landtag von NRW zwischen 2017 und 2018 gehaltene Reden von vier AfD-Ab­geordneten (nachfolgend V., B., S., WD.) , alle mit einer akademischen Ausbildung. Dabei wurde die eine Hälfte der Reden per Zufall ermittelt, die andere Hälfte wurde danach betreffend der Themati­ken, der RednerInnen und der Anlässe gezielt ausgewählt.

Die Sondierung diente der Vorbereitung einer systematischeren Untersuchung, die dann das Ziel der ‚Vollständigkeit‘ der Befunde anstreben wird. Dennoch er­brachte bereits die vorbereitende Unter­suchung interessante Ergebnisse, die Deckers Diagnose aus dem Jahr 2013 zu bestätigen scheinen.

So versuchen drei RednerInnen (V., S., WD.) ((Plenarreden im NRW-Landtag der AfD-Landtagsabgeordneten Roger Beckamp (B.); Herbert Strotebeck (S.); Gabriele Walger-De­molsky (WD.); Martin Vincentz (V.) vom 12.7.2017, 29.11.2017 und vom 16.5.2018.)), über (medizinische, rechtliche) Fachdiskurse nachzuweisen, dass sie für Sachlichkeit stehen, dass sie das gelten­de Recht als Grundlage anerkennen und dass sie einer verantwortlichen bürger­lichen Mitte angehören. In einem Fall (WD.) misslingt dieser Versuch allerdings, indem sich hier der ‚Sachdiskurs‘ als feh­lerhaft und manipulativ erweist.

Noch auffälliger sind Versuche (insbe­sondere V.), sich als Anhänger linker, grü­ner, ökologischer oder auch liberaler Posi­tionen zu inszenieren, sich für Frauen und für Minderheiten einzusetzen, bzw. das Recht auf körperliche Selbstbestimmung zu verteidigen und die Grundsätze der umgekehrten Diskriminierung zu teilen. Hinzu kommen Versuche, über vermeint­lich ‚private‘ Hinweise Glaubwürdigkeit und Authentizität zu erreichen (V.).

Die RednerInnen verfügen aber über ein noch effektiveres Mittel, um dieses Ziel zu erreichen, nämlich durch das An­prangern tatsächlich bestehender ge­sellschaftlicher und politischer Defizite (V., S.). Sieht man zunächst davon ab, dass dazu überwiegend (d.h. bis auf eine Ausnahme) keine sachlichen Lösungs­vorschläge gegeben werden, man also vom instrumentellen Charakter dieses Anprangerns ausgehen muss, ergibt sich eine respektable Liste: So wird sogar (siehe oben!) die Diskriminierung von Minderheiten auf dem Arbeitsmarkt kri­tisiert (V.), ebenso aber auch eine wenig vorausschauende Politik hinsichtlich des technologischen Wandels, der Globalisie­rung und weltweiter Konkurrenz, ebenso wie der Widerspruch zwischen erhöhtem Bedarf an Sozialhilfen und einem investi­tionsfeindlichem Klima. In Frage gestellt wird zudem die künftige Finanzierbarkeit der Beamtenpensionen (S.).

Der instrumentelle Charakter des ‚An­prangerns‘ tritt insbesondere dort hervor, wo die RednerInnen letztlich alle ange­führten Missstände auf fehlende Finanzen schieben und den Geldmangel wiederum auf den immer gleichen Grund, nämlich auf die Finanzierung von Geflüchteten, Migranten, Muslimen (V., S.) zurückfüh­ren. Über dieses Nadelöhr der Argumen­tation kommen die RednerInnen in einem diametralen Schwenk dann schließlich auf ihre eigentlich anvisierten Aussagen und auf ihr ‚eigentliches‘, anti-migranti­sches Thema zu sprechen.

Allerdings nicht ohne eine letzte Fin­te, die noch einmal als bürgerliches ‚Mit­te‘-Signal zu verstehen ist: Dabei unter­streichen die RednerInnen (V., B.), dass in Deutschland die Grundsätze der frei­heitlich-demokratischen Grundordnung, insbesondere die Gleichberechtigung der Frau und die Gleichberechtigung Homosexueller, bereits verwirklicht sind, was es den RednerInnen erspart, diese Rechte einfordern und sich als ihre Vor­kämpfer inszenieren zu müssen. Das wür­de angesichts des Familienbilds der AfD auch schwer fallen. Stattdessen schanzen die RednerInnen die Rolle der alleinigen GG-Feinde Geflüchteten, Migranten, Mus­limen zu.

Dieser Finte kommt erhebliche Be­deutung zu, denn sie dient offenbar dazu, vom zentralen rhetorischen Ziel aller vier RednerInnen abzulenken – nämlich von der teilweise abenteuerlichen Umdeutung von Gleichheitstheoremen in Ungleich­heitstheoreme, d.h. von einer gegen Recht und GG gerichteten Polemik.

So führt ein Redner (V.) vor, wie diskri­minierend der Grundsatz der Nicht-Diskri­minierung ist, während erst die Diskrimi­nierung (Unterscheidung) von Menschen zu Gleichheit führe. Ein anderer Redner (B.) versucht nachzuweisen, dass die Be­griffe Heimat und Zugehörigkeit erst Sinn machen, wenn sie als Ausschluss und Ausgrenzung praktiziert werden. Zwei RednerInnen (S., WD.) wiederum füh­ren vor, dass der Begriff der Geduldeten eigentlich meint, die Betroffenen sofort abzuschieben. Und schließlich löst ein Abgeordneter (V.) vor unseren Augen die ökologische Krise, indem er ein „Gesund­schrumpfen“ der Weltbevölkerung, aber eine massive Vermehrung der Deutschen empfiehlt.

Einen quantitativ großen Teil der Ar­gumentation nehmen Herabsetzungen und polemische Beleidigungen ein. So verwendet ein Redner (B.) das massiv he­rabsetzende Fäkal-Motiv (mit den Asso­ziationsinhalten Gestank, Geruch, Abfall), um damit – in Anlehnung an eine ähnliche Metaphorik Alexander Gaulands – die Zu­gehörigkeit von Menschen ‚zu einer an­deren Kultur‘ zu signalisieren. Ein Redner (V.) charakterisiert ‚Armutsmigranten‘ hauptsächlich über das Erzählmotiv der Dummheit und des Fress-Motivs (des Ausplünderns der Sozialkassen, bzw. des Kriminalitäts-Stereotyps) (S., WD.).

Darüber hinaus werden ‚Armutsmi­granten‘ mit einem ‚warmen Milieu‘ in Verbindung gebracht (V.), das Faulheit signalisieren kann, aber auch einen Ort, an dem Bakterien und Erreger wachsen können. Eine Rednerin (WD.) errichtet eine Drohkulisse, indem sie eine ‚Zählung‘ bestimmter Migranten fordert. Sie knüpft damit nicht nur an einen rechtspopulis­tischen italienischen Diskurs (zur ‚Zäh­lung von Sinti und Roma‘) an, sondern in Deutschland selbstverständlich auch an die ‚Judenzählung‘ im NS-Staat.

Insgesamt verweisen diese Beispiele darauf, dass die RednerInnen von einer einfach herabsetzenden, z.B. rassisti­schen oder sexistischen Rhetorik zu einer eher totalitär gerichteten Vertreibungs­metaphorik übergegangen sind, in der potenziell das Vernichtungskalkül inbe­griffen ist. Gefordert wird ‚die Tat‘ („Ord­nung“, S.) über geltendes Recht hinweg, was freilich eine Führer- und Führungs­ebene voraussetzt, die keiner demokra­tischen Kontrolle unterliegt. Damit wird aber auch der außerordentlich reduzier­te Status des „Volks“ offenbar, das die AfD-Rednerinnen zu vertreten vorgeben.

Tatsächlich spielen in ihrer – ohnehin nur schemenhaften – politischen Agenda die Förderung von Bildung und Kultur ‚des Volkes‘ keine Rolle. Vielmehr definieren die RednerInnen ihr Interesse am ‚Volk‘ weitgehend über die Finanzen, denen so­wohl die Familien- und Reproduktionspoli­tik untergeordnet ist. Diese programmati­sche Position kommt vor allem im Bild des hart arbeitenden ‚deutschen Michel‘ (V.) auf den Punkt, der keine Fragen stellt und in der Rolle des Arbeitstiers und im Sta­tus der ‚Dummheit‘ verharrt. Zwar wird beklagt, dass ‚das Volk‘ nicht erkennt, dass es von einer ‚Verräter-Gruppe‘ (die Parteien, Regierungen, Parlamente) aus­gebeutet wird, doch ist die Emanzipation des ‚deutschen Michel‘ für den Redner nicht die Option: Es geht ihm offenbar nur darum, als Macht an die Stelle der ‚Ver­räter-Gruppe‘ zu treten.

Der ‚Verräter-Gruppe‘ widmen die RednerInnen daher weitere Herabsetzun­gen. Sie ist faul, egoistisch, verschlagen und genusssüchtig (V.) und erliegt daher dem Charme der migrantischen, über­wiegend muslimischen Eindringlinge (S., WD.).

Es bleibt einer erheblich umfassende­ren Untersuchung vorbehalten, einerseits die jetzigen Befunde abzusichern, durch weitere Facetten der AfD-Rhetorik im NRW-Landtag zu ergänzen und insgesamt eine vertiefte Kontextualisierung der un­tersuchten Reden vorzunehmen. Die Aus­sagen- und Argumentationsanalyse der jetzt abgeschlossenen Sondierung wurde erstmals mit Hilfe des Leitfadens zur Ana­lyse herabsetzender Texte und Aussagen (Binarismusanalyse) durchgeführt, der soeben im Wochenschau-Verlag erschie­nen ist. ((Jobst Paul: Der Binäre Code. Leitfaden zur Analyse herabsetzender Texte und Aussagen, 2018))