Anmerkungen zur Kulturpolitik der AfD

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Von Sandra Schaffarczik. Erschienen in DISS-Journal 36 (2018)

Das Grundsatzprogramm der AfD sowie die Wahlprogramme aus NRW und Sachsen beinhalten kulturpolitische Absichten, die große negative Folgen für das deutsche Bildungssystem sowie den Bereich der Kunst haben könnten. Eine Analyse der Wahl­programme soll diese Absichten offenlegen und veranschau­lichen, was uns mit der AfD erwartet. Zuerst erscheint es aber unabdingbar, Begriffe wie „Kultur“ und „deutsche Leitkultur“ knapp zu umreißen, um diesbezügliche Einstellungen besser reflektieren zu können.

Was bedeutet „Kultur“? Bis zum 18. Jahrhundert wurde der Begriff der Kul­tur noch nah am lateinischen Wort „cultura“ definiert, das die Pflege des Ackerbaus bezeichnet. Erst ab dem 18. Jahrhundert bezieht sich Kultur auf die Bildung des Menschen. Diese Defini­tion weitet sich dann ab dem 19. Jahr­hundert allmählich aus: Kultur wird zur geistigen Gesinnung und bezieht sich auf das Niveau der intellektuellen Ent­wicklung einer Gesellschaft, Kunst und Lebensform. „Unter Kultur versteht man heute im weitesten Sinne oft das, was Menschen tun, um sich in natürlichen oder künstlichen Umwelten zu behaup­ten“ (Dieter Haller). Allerdings entste­hen auch problematische Konnotatio­nen des Begriffs, wie sie die AfD heute benutzt. Der Begriff wird hier an ein Territorium gebunden und hierarchisch nach besseren und schlechteren Kultu­ren sortiert. Die rationale sowie emotio­nale Identifikation der Individuen erfolgt dann über die ‚eigene‘ Kultur und grenzt sich von dem Anderen, dem ‚Fremden‘ ab. Dadurch, dass das Negative dem Anderen zugeschrieben wird, wird die eigene Wir-Gruppe aufgewertet, Ge­meinsamkeiten werden ausgeblendet und das Fremde wird noch fremder.

Deutsche Leitkultur

Das Kulturverständnis der AfD orien­tiert sich laut ihres nordrhein-west­fälischen Wahlprogramms an „huma­nistisch-abendländischen Werten und Normen“ (Wahlprogramm AfD NRW 2017, 13). Diese Werte bilden die „Deutsche Leitkultur“, die sich, so das Grundsatzprogramm, aus drei Quellen zusammensetzt. Die erste Quelle bilde die Überlieferung des Christentums, die zweite die wissenschaftlich-huma­nistische Tradition und die dritte das römische Recht (Grundsatzprogramm AfD 2016, 47). Zudem betont die AfD, dass die deutsche Sprache das Zent­rum der Identität bilde. Es geht ihr um eine kulturelle Einheit, die sich über die Sprache und gemeinsame Werte defi­niert. Diese Werte sollen dann vor allem im Bildungswesen Einzug halten und für die Bildung einer neuen Elite, bestehend aus einer homogenen Gruppe „Biodeut­scher“ mit eben diesen nationalen Wer­ten, förderlich sein. Die „deutsche Leit­kultur“ soll dem „Multikulturalismus“ Einhalt gebieten, denn laut AfD gefährde er alle „kulturellen Errungenschaften“ (Bundestagswahlprogramm AfD 2017, 45). Diese „deutschen“ kulturellen Er­rungenschaften sollen zukünftig im Vor­dergrund stehen und nicht etwa durch den kulturellen Eigensinn von Muslimen behindert werden. Folglich heißt es im Wahlprogramm: „Integration heißt, dass die Muslime sich Deutschland anpassen“ (ebd.). Anpassung bedeu­tet dann, dass Muslime die deutsche Kultur weitgehend übernehmen, „jeder Einwanderer [habe] eine unabdingba­re Bringschuld“ (Grundsatzprogramm AfD, 63). Andererseits zweifelt die AfD an der Integrationsfähigkeit von Musli­men: „Eine fortgesetzte Zuwanderung von Menschen mit denkbar schlechten Integrationsaussichten verschärft die bestehenden Probleme“ (ebd.). Die Aus­wirkungen dieser Probleme sieht die AfD nicht zuletzt im Bildungsbereich und fordert z.B. die Abschaffung von „Sonderrechte[n] für muslimische Schü­ler“ (vgl. Grundsatzprogramm AfD, 55).

Autoritäres Bildungssystem

„Eine Ökonomisierung und Globali­sierung des deutschen Bildungswe­sens wird es bei uns nicht geben“, so heißt es im Bundestagswahlprogramm (2017, 43). Doch immer wieder lassen programmatische Aussagen finden, an denen deutlich ablesbar ist, dass nicht die Persönlichkeitsentwicklung des Individuums im Vordergrund steht, sondern „Leistungshomogenität“ (Wahl­programm AfD NRW 2017, 13) und die „Konkurrenzfähigkeit unserer Wirt­schaft“ (Bundestagswahlprogramm 2017, 43). Individuelle Förderung, bei der verstärkt auf einzelne Schwächen von Schülern eingegangen wird, soll durch Lernen im traditionellen Grup­penverband ersetzt werden. Das ganze Schulsystem müsse nach dem „jeweils höchsten Niveau in Deutschland“ (ebd.) ausgerichtet werden.

Plenumsunterricht – dieser Begriff hat den aufgeladenen Begriff des Fron­talunterrichts abgelöst, in dem Leh­rer_innen die wesentliche Steuerungs­funktion übernehmen –, Ausbau der Förderschulen anstelle von Inklusion, dreigliedriges Schulsystem, das Abitur wieder als „Ausweis der Studierfähig­keit“ (ebd.), all diese Forderungen sig­nalisieren den Anspruch, eine nationale Elite zu fördern und alles auf leistungs­starke Schüler_innen auszurichten. Da­bei ist bekannt, dass Schüler_innen aus sozioökonomisch ‚schwachen‘ Verhält­nissen deutlich seltener das Gymnasi­um besuchen; geht es nach der AfD, soll das zukünftig auch so bleiben. Schü­ler_innen mit Defiziten aufgrund unglei­cher Ausgangsvoraussetzungen werden dann auf Förderschulen verbannt, aus­geschlossen und ausgegrenzt.

Die AfD kritisiert nicht nur das der­zeitige Schulsystem und die sogenann­te „neue Lernkultur“, die „zu massivem Leistungsabbau bei den Schülern ge­führt“ (ebd.) habe, sondern auch die für Aufmerksamkeit sorgende PISA-Stu­dien, insofern sich die „Schulaufsicht zu Handlangern der Testindustrie [habe] machen“ (ebd.) lassen. PISA (Program­me for International Student Assess­ment) ist ein Forschungsprogramm zum internationalen Vergleich von Schüler­leistungen, an dem sich weltweit 32 Länder beteiligen. Am Ende der obli­gatorischen Schulzeit, in der Regel mit 15 Jahren bzw. in der 9. Klasse, werden Leseverständnis, mathematische und naturwissenschaftliche Fähigkeiten untersucht. Die PISA-Studie wird aller­dings auch von Bildungsforschern seit Jahren stark kritisiert. Die AfD scheint diese Kritik für sich nutzen zu wollen und spricht sich gegen ein kompetenz­orientiertes Lernen aus. Denn PISA misst eben die „Basiskompetenzen“ von Schülerinnen und Schülern im inter­nationalen Vergleich. „Von Bildung ist also gar nicht die Rede“, betont Jochen Krautz, Professor für Kunstpädagogik an der Bergischen Universität Wupper­tal. Bildung könne mit quantitativen Methoden gar nicht gemessen werden, PISA ziele auf „rein zweckorientiertes Denken und ökonomische Verwertbar­keit von funktionalem Wissen“ (Krautz 2012). Ebenso entsprächen die Refor­men der letzten Jahre gerade nicht der eigentlichen Aufgabe von Bildung, son­dern seien Ausdruck einer „neolibera­le[n] inspirierte[n] Bildungsökonomie“ (ebd.). Bildungsökonomische Analysen verzerrten die Wirklichkeit und verfehl­ten somit die Komplexität von Bildungs­prozessen. Prominente Autoren könn­ten selbst nichts darüber aussagen, wie die derzeitigen Bildungsdefizite zu beseitigen seien. Kritik dieser Art greift die AfD dankbar auf und macht deutlich, dass es ihr um traditionelle Lösungen für Bildungsdefizite und um die Etablie­rung ihres eigenen autoritären und eli­tären Bildungsverständnisses geht.

Dies setzt sich in der Hochschulpoli­tik fort: „Deutschland muss ein Land der Spitzenforschung bleiben“ – dazu sollen sich deutsche Hochschulen per Aufnahmeprüfungen zukünftig ihre Stu­dent_innen selbst aussuchen dürfen, ein weiterer Nährboden für Diskriminie­rung und Ausgrenzung entsteht. Zwar existiert bereits durch den Numerus Clausus ein strenges Auswahlsystem, dieses ist aber nur abhängig von zuvor erzielten Noten. Eigene Auswahlverfah­ren der einzelnen Hochschulen könnten den Prozess intransparenter machen, wie ausgewählt wird, und welche Fak­toren bei der Auswahl berücksichtigt werden, bleibt offen. Zu befürchten ist dann allerdings, dass noch mehr als bis­her schon soziale Faktoren eine Rolle spielen könnten. Der Konkurrenzkampf, der bereits in der Schule beginnt, spitzt sich dann zu, wenn es darum geht einen Studienplatz zu ergattern. Alles wird auf das „Leistungsprinzip“ hin ausgelegt (vgl. Grundsatzprogramm AfD, 53).

Progressiver vs. regressiver Neoliberalismus

Die derzeitigen Mängel unseres Bil­dungssystems nutzt die AfD gezielt, um das Ende des progressiven Neoliberalis­mus einzuläuten. Der Begriff des pro­gressiven Neoliberalismus, geprägt von der US-amerikanischen Feministin Nan­cy Fraser, beschreibt ein Bündnis „zwi­schen tonangebenden Strömungen der neuen sozialen Bewegungen (Feminis­mus, Antirassismus, Multikulturalismus […]) und andererseits kommerziellen, oft dienstleistungsbasierten Sektoren von hohem Symbolgehalt […]“ (Fraser 2017). Gegenüber der Verbindung von Markt- und Reformorientierung, die sich um Begriffe wie „Vielfalt“ und „Toleranz“ rankt, steht der regressive Neoliberalis­mus, der sich an traditionellen Werten und Regulationsweisen orientiert und wieder Bezug auf die Nation nimmt. Diese Vorstellungen durchziehen die Programmatik der AfD und beeinflus­sen so auch alle kulturpolitischen Ent­scheidungen. Der Bezug auf ein ‚Volk‘, das sich durch ethnische Homogenität auszeichnet, ergänzt hier die Idee des Marktprinzips, für die jede Variante des Neoliberalismus steht.

Die ökonomische Vernunft in der Kunst

Nicht nur im Bildungsbereich korres­pondieren neoliberale und nationale Ge­danken miteinander. Die AfD will auch Kunst und Kultur „an fachlichen Quali­tätskriterien und ökonomischer Ver­nunft anstatt an politischen Opportuni­täten ausrichten“ (Grundsatzprogramm AfD, 48). Doch wer entscheidet über fachliche Qualitätskriterien? Die „öko­nomische Vernunft“ bedeutet aus der Sicht der AfD zuallererst, Entscheidun­gen so zu treffen, dass das Wachstum der Wirtschaft gesteigert wird. Auf dem Feld der Kunst kann dies nur durch eine Bevorzugung kommerzieller Kunstpro­jekte erreicht werden. Da Kulturförde­rung also zukünftig vom Erfolg abhängig gemacht werden soll, werden es kleine­re Kunstprojekte wohl schwer haben, wenn die AfD den Vorsitz des deutschen Kulturausschusses erhalten sollte.

Gemeinnützige private Kulturstiftun­gen und bürgerliche Kulturinitiativen sollen gestärkt werden, doch gerade private Stifter_innen beeinflussen die Auswahl der Projekte durch selbst de­finierte Kriterien, sodass es ihren Vor­stellungen entspricht. So erläutert die Bundeszentrale für politische Bildung auf ihrer Homepage: „Kulturstiftungen arbeiten – wie andere Stiftungen auch – fördernd, d.h., sie nehmen Anträge ent­gegen, und/oder operativ, d.h. in Eigen­vorhaben“ (bpb 2004). Das Vermögen dieser Stiftungen sei zudem sehr be­grenzt: „Die Mittel, die sie für die Kultur zur Verfügung stellen, betragen rund ein Prozent der Ausgaben für Kultur insge­samt“. Letztendlich müssten dann also erhebliche Investitionen folgen, um die Stiftungen zu stärken. Der Einfluss der Politik würde durch private Anliegen er­setzt werden und projektbezogene För­derung an Stelle einer kontinuierlichen staatlichen Förderung treten. Die AfD strebt damit eine Entpolitisierung und Neutralisierung des Kunst- und Kultur­betriebs an und hofft damit, den Weg für eine Konzentration des Kunst- und Kulturschaffens auf das nationale „Kul­turerbe“ frei zu machen.

Fazit

Die Kulturpolitik der AfD fußt auf einem national verengten Kulturverständnis. Mit der Etablierung einer „deutschen Leitkultur“ sollen völkisch-nationalisti­sche Vorstellungen in das Bildungswe­sen, in die Medien und in die Kunst in­tegriert werden. Dabei erläutert die AfD nicht, was genau die „deutsche Leit­kultur“ eigentlich sein soll, die Formu­lierungen aus den Programmen decken freilich die dahinter stehende Ideologie auf. Dabei wird klar, dass man versucht eine nationale Identität durchzusetzen, die sich gegen Vielfalt richtet. Obwohl sich die AfD gegen die Ökonomisierung der Bildung ausspricht, folgen die ge­nannten Ziele gerade diesem Dogma und orientieren auf ein autoritäres und elitäres Bildungssystem, in dem Chan­cengerechtigkeit anstelle von Chancen­gleichheit propagiert wird. Hochschul­bildung soll vor allem leistungsstarken ‚biodeutschen‘ Schüler_innen zuteilwer­den, Kunst und Kultur werden anhand „ökonomischer Vernunft“ und „fach­licher Qualitätsmerkmale“ gemessen und verlieren somit die Freiheit, die sie ausmachen.

Die kulturpolitischen Absichten der AfD widersprechen ganz klar den Vor­stellungen einer humanistischer Bil­dung und jener Kunstfreiheit, wie sie im deutschen Grundgesetz verankert ist, denn eigentlich verfolgt die AfD nur ein Ziel, nämlich die eigene nationalistische Ideologie durchzusetzen.

Literatur

bpb 2004: Bundeszentrale für poli­tische Bildung: Kulturstiftungen in Deutschland. Online unter www.bpb.de/ apuz/27926/kulturstiftungen-in-deutsch­land?p=1

Fraser, Nancy 2017: Für eine neue Linke: Das Ende des progressiven Neo­liberalismus. Online unter www.blaetter. de/archiv/jahrgaenge/2017/februar/fu­er-eine-neue-linke-oder-das-ende-des-pro­gressiven-neoliberalismus

Krautz, Jochen 2012: Bildungsre­form und Propaganda. Strategien der Durchsetzung eines ökonomistischen Menschenbildes in Bildung und Bil­dungswesen. Online unter www.g9-jetzt-nrw.de/images/pdf/krautz/bildungsre­form-und-propaganda.pdf