Vor 20 Jahren, Ende Mai 1993: Asylrechtsänderung und Morde in Solingen.
Eine Stellungnahme von Heiko Kauffmann, erschienen im DISS-Journal 25 (2013).
Wenige Ereignisse in der jüngeren Geschichte der Bundesrepublik Deutschland haben Gesellschaft und Politik so aufgewühlt und gespalten, wie die Debatte um und die Änderung des Asyl-Grundrecht- Artikels 16 Absatz 2, am 26. Mai 1993, und – 3 Tage später – der Mord- und Brandanschlag auf die Familie Genç in Solingen.
Wenn heute nach Erklärungen für das Versagen und die Versäumnisse der deutschen Behörden und der Politik im Zusammenhang mit dem NSU-Terror gesucht wird, müssen diese Daten, der 26. Mai 1993, die Zerstörung des Asyl–Grundrechts, und der 29. Mai 1993, die Toten und Verletzten des rassistischen Solinger Anschlags, wie auch das staatliche Wegsehen, Verdrängen und (Nicht-)Handeln – nach Rostock, Mölln, Hoyerswerda und vielen anderen Orten – in eine objektive ehrliche Analyse und Rückschau mit einbezogen werden.
Lange zuvor schon hatten die NGOs der Flüchtlings- und Menschenrechtorganisationen immer wieder vergeblich vor dem „Buhlen um rechts“ und vor der Gefahr gewarnt, die Zerstörung des Asylgrundrechts werde in der rechten Szene als „Signal für eine ethnische Säuberung Deutschlands“ begrüßt und verstanden. Längst hatte sich die Mehrheit der großen Volksparteien – spätestens nach dem fatalen „Asylkompromiss“ im Dezember 1992 – dem permanenten Trommelfeuer politischer und medialer Stimmungsmache gegen Flüchtlinge ergeben.
Kein Ereignis der jüngsten deutschen Geschichte beleuchtet den Zusammenhang zwischen Institutionellem Rassismus und individuellem Terror so deutlich wie der Mord- und Brandanschlag in Solingen; kein Ereignis zeigt auf, wie dünn der Firnis der Zivilisation, zwischen politischer (Rechts-) Kultur und Barbarei noch immer ist – wenn universell gültige Menschenrechte für eine bestimmte Gruppe von Menschen in der Gesellschaft verbogen, geschwächt oder außer Kraft gesetzt werden.
Kein Satz bringt diesen Zusammenhang klarer und unmittelbarer zum Ausdruck als die Worte, die ich am Pfingstmontag 1993 auf dem Weg zur Unteren Wernerstraße entlang einer Mauer geschrieben fand und die sich – mit dem Brandgeruch und der Ruine des Hauses der Familie Genç – für immer in meine Erinnerung eingebrannt haben:
„ERST STIRBT DAS RECHT – DANN STIRBT DER MENSCH“
Der Fluch dieser bösen Tat(en), die Folgen der Zerstörung des Asylgrundrechts und der Politik institutioneller Feindseligkeit und Ausgrenzung von Flüchtlingen, wirken bis heute nach; wir finden sie nicht nur in den verbrecherischen Morden der NSU, im Vertuschen und Versagen staatlicher Organe und nicht nur bei pseudowissenschaftlichen und populistischen Marktschreiern, die – wie Herr Sarrazin – rassistische Klischees bedienen und dabei noch medial und politisch hofiert werden.
Die Folgen dieser aktiv betriebenen und geduldeten Herabsetzung von Menschen sind die permanente „Auslagerung“ und „Abschiebung“ von Flüchtlingen und ihrer Probleme, das Wegsehen und Verdrängen und eine beschämende politische und gesellschaftliche Gleichgültigkeit gegenüber dem tausendfachen Sterben an den Außengrenzen Europas!
Auch dafür, für diese Schande Europas und für die zunehmende Frontex-Mentalität der Politik in Flüchtlings- und Menschenrechtsfragen, steht der Satz: „ERST STIRBT DAS RECHT – DANN STIRBT DER MENSCH“.
Wie lange noch lassen die Zivilgesellschaften Deutschlands und Europas dies noch zu?
Vor 20 Jahren, Ende Mai 1993: Asylrechtsänderung und Morde in Solingen
Eine Stellungnahme von Heiko Kauffmann