– vergeschlechtlichte Machtverhältnisse nach 9/11. Eine Rezension von Torsten Bewernitz. ((Torsten Bewernitz ist Politikwissenschaftler. Er promovierte über die Darstellung von Krieg und Geschlecht in den deutschen Printmedien während des Kosovo-Kriegs. Vgl. https://www.diss-duisburg.de/2012/09/konstruktionen-fur-den-krieg/)) Erschienen in DISS-Journal 24 (2012)
Geschlechterverhältnisse und Krieg – die Untersuchung der Überschneidungen dieser beiden Diskursstränge hat mittlerweile eine wissenschaftliche Tradition, die in den dynamischen Wechselwirkungen zwischen neuen sozialen Bewegungen – hier: Feminismus und Friedensbewegung – und kritischer Wissenschaft wurzelt. Die frühen Forschungen der 1970er und 1980er Jahre waren dabei oftmals noch von einem Standpunkt- oder Differenzfeminismus beeinflusst, der einseitige Bilder der friedfertigen Frau und des gewalttätigen Mannes wie auch ein geschlechtlich konnotiertes Täter-Opfer-Verhältnis reproduzierte. Der Einfluss poststrukturalistischer Theorien und Methoden, darunter auch der Diskursanalyse, hat dieses Manko tendenziell aufgelöst. Eines der jüngsten und erfrischensten Beispiele einer solchen Untersuchung ist die Studie von Andrea Nachtigall, die unter dem Titel „Gendering 9/11. Medien, Macht und Geschlecht im Kontext des ‚War on Terror‘“ im transcript-Verlag erschienen ist.
Einige der Ergebnisse ihrer Untersuchung sind kaum überraschend, sondern waren durchaus zu erwarten. Der diskursive Konflikt einer hypermaskulinisierten, militaristischen USA und eines weniger militärischen – nichtsdestotrotz nicht weniger männlichen – „alten Europa“ und insbesondere Deutschlands setzt sich wie schon im Kosovo-Konflikt fort (405-407). Die Männlichkeit des friedlich aber wehrhaft gedachten Europas (und insbesondere Deutschlands) kann sich in Abgrenzung zu einem feminisierten, vermeintlich irrationalen Pazifismus, erneut insbesondere personalisiert in der Partei-Basis der Grünen, entfalten und fröhliche Urstände feiern (181-11; 395). Die hegemonialen Männlichkeiten im Militär ändern sich zwar tendenziell, aber sie bleiben Männlichkeiten. Hier ist aber in der Tat ein Unterschied zu der Medienberichterstattung während des Kosovo-Krieges zu erkennen: War der ‚deutsche Soldat‘ hier noch allgemein sehr unmilitärisch und damit auch weniger vermännlicht dargestellt (in Figuren eines „großen Kumpel-Bruders“ oder eines „Zivildienstleistenden in Flecktarn“), differenziert sich diese Figur nun aus: Die Figur bleibt zwar erhalten, ein deutliches patriarchaleres und militaristisches Pendant wird ihm jedoch mit den „Profis“ des KSK (Kommando Spezialkräfte) zur Seite gestellt (211-234). Eine ähnliche Verschiebung lässt sich bzgl. der sich bereits während des Kosovo-Kriegs anbahnenden medialen Ablehnung eines „Multikulturalismus“ diagnostizieren: Wurde im Kosovo-Krieg noch argumentiert, das titoistische Jugoslawien sei ein „Völkergefängnis“ gewesen, dessen Auseinanderbrechen ein Beweis für die Unmöglichkeit des Multikulturalismus aufgrund einer vermeintlich menschlichen Natur sei – ein Argument, das dann auf die innenpolitische Problematik in Deutschland übertragen wurde – so ist nun der Begriff des Volkes oder auch verschiedener Völker vollkommen untergegangen im Konstrukt des Islamisten (311-333): Multikulturalismus ist nun nicht mehr nur nicht möglich, sondern ist zur Bedrohung geworden. Aus der vielzitierten „Ethnisierung des Sozialen“ ist nun eine (mediale) „Muslimifizierung“ (410) des Sozialen (oder auch des ‚Ethnischen‘) geworden.
Das bahnbrechend Neue in Nachtigalls Arbeit ist die Analyse des „Feindes“, der vermeintlichen „Terroristen“, meist als muslimische Fundamentalisten gekennzeichnet, in sich aber immer noch sehr unterschiedlich konnotiert: Während das Geschlechterensemble der Internationalen Beziehungen (Elshtain), an dem sich Nachtigalls Untersuchung orientiert, zwar mehr Abstufungen als lediglich eine zweigeschlechtliche Norm braucht (aber dennoch in dieser verhaftet bleibt), bricht ausgerechnet dieses Feindbild die Geschlechterdualität auf: “Feminisierung und (Hyper-)Maskulinisierung fallen zusammen“ (400).
Das ist fatal, denn das geschlechtlich und sexuell ‚Andere’ und Uneindeutige, das „Monströse“, wie Nachtigall in Anschluss an Jasbir K. Puar und Amit S. Rai formuliert, wird mit dem „Bösen“ schlechthin assoziiert. Obwohl sich die westliche Welt in ihren öffentlichen Darstellungen als offen und tolerant, nicht nur als geschlechtergerecht und emanzipiert, sondern auch als Homosexualität und Androgynität tolerierend (oder akzeptierend) präsentiert (411f.), sind diese androgynen und hybriden Eigenschaften das, was den Feind ausmacht, was ihn fremd und bedrohlich erscheinen lässt. Das offenbart eine diskursive Tiefenstruktur, die feststellen lässt, dass oberflächliche Verlautbarungen über die Toleranz bei weitem noch keine Gesellschaft diagnostizieren lassen, die über eine geschlechtliche Ungleichbehandlung hinweg wäre. Das geschlechtlich Uneindeutige ist das „ganz andere“, das ausschließlich bedrohlich wirkt. Wir finden hier ein tiefenpsychologisches Argument der Homophobie wieder: Der „Schwule“ ist deswegen für den heteronormativen Mann bedrohlich, weil er nach außen als Mann erscheint, aber eigentlich keiner sei. So ist der Schläfer von außen nicht vom Mitbürger zu unterscheiden und gerade seine Unscheinbarkeit, seine Angepasstheit, lässt ihn zur vermeintlichen Bedrohung werden (252-256).
Womit wir erneut das diskursive Element der Ablehnung eines „Multikulturalismus“ vor uns haben und, darüber hinaus einen weiteren wesentlichen Kern der Diskurse um 9/11 berühren: Das Sicherheitsdispositiv. Der gesamte vergeschlechtlichte Diskurs um 9/11 dreht sich um Unsicherheit und das Bedürfnis nach Sicherheit (412-420). Gerade dieser zentrale Aspekt macht deutlich, dass es sich bei einer Analyse der Gender-Ebene von 9/11 und dem „Krieg gegen den Terror“ eben nicht um eine weitere Analyse eines Details handelt, sondern dass die Darstellung von Geschlecht unmittelbar, sehr deutlich und zentral in das Geschehen eingeschrieben ist. Andrea Nachtigall kann dies hervorheben, indem sie die Verstrickungen mit dem Orientalismus und mit den Nationalismen, die den Diskurs ebenso prägen, nachweist. Damit ist ein zentrales Argument für die Notwendigkeit intersektionaler wissenschaftlicher Arbeit genannt: Rassismen, Sexismen, Nationalismen sind dermaßen miteinander verstrickt, dass die Analyse nur eines dieser Aspekte den Diskurs nur ungenügend abgebildet hätte. Während zahlreiche jüngere Arbeiten zu diesem Thema – manchmal auch dann, wenn sie sich als intersektional bezeichnen – lediglich diese Aspekte aneinanderreihen, weist Nachtigall die Zusammenhänge auf und kann so das Kuddelmuddel entwirren – ausgehend von Geschlechterverhältnissen, aber richtigerweise darüber weit hinausgehend. Insofern ist die Arbeit von Andrea Nachtigall nicht nur thematisch von großem Interesse, sondern auch methodisch zukunftsweisend.
Andrea Nachtigall
Gendering 9/11
Medien, Macht und Geschlecht im Kontext des „War on Terror“
2012: Bielefeld: transcript Verlag
474 S., 34,80 €