Eine Rezension von Helmut Kellershohn, erschienen in DISS-Journal 22 (2011).
Es bedarf keiner hellseherischen Fähigkeiten, um zu dem Urteil zu gelangen, dass der Fall Sarrazin keineswegs abgeschlossen ist. Der nächste „Sarrazin“ kommt bestimmt. Darauf hoffen natürlich auch die jungkonservativen Fahnenträger um die Junge Freiheit (JF) und das Institut für Staatspolitik. Lasst zwei, drei, vier Sarrazins reüssieren und die geistige Verfassung der Bundesrepublik wird aus den Angeln gehoben werden, so ihre selbstgewisse Botschaft in mittlerweile drei Broschüren, die dem vermeintlich heroischen ‚Tabubrecher’ Sarrazin gewidmet sind.
Es ist das Verdienst von Volker Weiß, in seinem Buch Deutschlands Neue Rechte (2011) die gemeinsamen Traditionslinien der jungkonservativen Neuen Rechten mit Sarrazins Untergangsvisionen freigelegt zu haben. Prompt reagierte Karlheinz Weißmann, seines Zeichens ‚Vordenker’ der Neuen Rechten, mit einem unwirschen Kommentar: „Was Weiß schreibt, entbehrt jeder Originalität und findet auch nur mäßiges Interesse.“ (Sezession 44/2011, 1)
Letzteres mag sein, wenn man die BILD-Zeitung als Zeugen bemühen will, die bekanntlich die Thesen Sarrazins fleißig kolportierte und ihnen damit, zusammen mit anderen Medien, den entsprechenden Resonanzboden verschaffte.
Aber mangelnde Originalität? Das verwundert, stemmt sich doch die Neue Rechte vehement gegen die Geschichtsvergessenheit der Deutschen, die sie immer wieder aufs Neue moniert. Nur in ihrem eigenen Fall möchte sie nicht allzu oft an den Anteil der Weimarer jungkonservativen Eliten am Durchbruch des Nationalsozialismus erinnert werden. Solche Art von Kritik ist dann wenig originell. Überhaupt seien die politischen Konzepte der Konservativen Revolution heute nicht mehr brauchbar, versichert Weißmann treuherzig, nur ihr Dauerthema, die Dekadenz, sei wieder aktuell und angesichts der derzeitigen Krisenlage würde es „über kurz oder lang zu Einschätzungen kommen, die denen der KR entsprechen.“ Das ist nett formuliert, bedeutet aber doch wohl, dass die Zeiten sich zwar ändern, die grundlegenden Probleme aber dieselben geblieben sind und die Lösungen dem Denkstil verpflichtet sind, der bereits in der KR gepflegt wurde. Nicht umsonst zitiert die JF als ihr Leitbild Albrecht Erich Günthers Losung, konservativ sei „nicht […] ein Hängen an dem, was gestern war, sondern […] ein Leben aus dem, was immer gilt“ – laut Weißmann die „gültige Formulierung des Hauptanliegens der Jungkonservativen“, ja der Konservativen Revolution überhaupt.
Genau an diesem Denkstil, der sich auf das „überzeitlich Gültige“ (Armin Mohler) richtet, um es gegen „Dekadenz und Verfall“ zur Geltung zu bringen, setzt Volker Weiß an. Seine Ausgangshypothese zu Sarrazin und anderen ‚Tabubrechern’ wie Botho Strauss oder Peter Sloterdijk lautet: „Der politische Diskurs, der sich im Schatten Sarrazins formiert hat, greift […] nur begrenzt neue Themen auf. Bei genauer Betrachtung entpuppen sich zentrale Elemente dieses Diskurses als feste Bestandteile klassischer politischer Ideologie. Auf die Spur dieser Denktradition, ihrer Referenzen und Brüche soll sich hier begeben werden.“ Die Spurensuche führt Weiß zu den „Protagonisten deutscher Untergangsliteratur“ in den zwanziger Jahren des vorigen Jahrhunderts (Oswald Spengler, Edgar Julius Jung), dann zu den ideologischen ‚Brückenbauern’ in der Nachkriegszeit wie Friedrich Sieburg, Arnold Gehlen und – als nichtdeutsches Beispiel – Ortega y Gasset, schließlich zu den neueren Propheten des Untergangs. Motive und Argumentationsmuster ähneln sich über diesen langen Zeitraum, das machen die lesenswerten Ausführungen des Autors überaus deutlich. Ewig droht der Untergang, apokalyptische Szenarien meist in Verbindung mit demographischen Spekulationen („Volkstod“) untermauern den Verfall und als Lösung wird im Rückgriff auf das „überzeitlich Gültige“ – gewissermaßen als deus ex machina – eine national gesonnene Elite propagiert, die den orientierungslosen Massen den Weg aus der Unheilssituation weist.
Volker Weiß
Deutschlands Neue Rechte. Angriff der Eliten – Von Spengler bis Sarrazin
2011 Paderborn: Ferdinand Schöningh
ISBN 978-3-506-77111-7
141 S., 16,90 €