Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946-1971

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Ein Untersuchungsbericht von Michael Lausberg, erschienen in DISS-Journal 22 (2011).

Nach der Befreiung vom Nationalsozialismus wurden in Nordrhein-Westfalen seit 1946 ((Der folgende Bericht beruht auf den Ergebnissen einer noch nicht veröffentlichten Dissertation des Autors mit dem Titel: Die extreme Rechte in Nordrhein-Westfalen 1946-1971. Der Untersuchungszeitraum beläuft sich auf die Zeit von der offiziellen Gründung Nordrhein-Westfalens am 23.08.1946 bis zur Gründung der Deutschen Volksunion (DVU) als einer rechten Sammlungsbewegung unter ihrem Vorsitzenden Gerhard Frey am 18.01.1971.)) erneut extrem rechte Organisationsstrukturen geschaffen, die in manchen Fällen noch bis heute fortbestehen und insofern eine Basis für die heutige extreme Rechte in NRW bilden. Ohne fundierte Kenntnisse über die Entwicklung der extremen Rechten nach dem Ende des Zweiten Weltkrieges bis in die siebziger Jahre sind die gegenwärtigen Erscheinungsformen der extremen Rechten kaum zu verstehen. Die Konzentration auf das 1946 neu gebildete Bundesland Nordrhein-Westfalen bietet sich deswegen an, weil dieses Land aufgrund seiner wirtschaftlichen Stärke und seiner hohen Bevölkerungszahl innerhalb der Bundesrepublik eine Schlüsselstellung einnahm. Wenn extrem rechte Parteien oder Organisationen bundesweit dauerhaft Erfolg haben wollten, war eine starke Verankerung in Nordrhein-Westfalen unumgänglich.

Der Untersuchung, aus der hier einige Aspekte vorgestellt werden, lagen folgende Leitfragen zugrunde: Wie und in welchem Ausmaß gelang es extrem rechten Formationen, sich nach dem Ende der nationalsozialistischen Herrschaft in Nordrhein-Westfalen auszubreiten und zu etablieren? Wer waren die entscheidenden Akteure oder Organisationen, die die Revitalisierung der extremen Rechten in die Wege leiteten?

Gescheiterte Entnazifizierung

Die wichtigsten extrem rechten Parteien im Untersuchungszeitraum waren die Deutsche Konservative Partei-Deutsche Rechtspartei (DKP-DRP), die Deutsche Partei (DP), die Sozialistische Reichspartei (C), der Bund der Heimatvertriebenen und Entrechteten (BHE), die Deutsche Reichspartei (DRP), die Deutsch-Soziale Union (DSU) unter Führung Otto Strassers, die „nationalrevolutionäre“ Unabhängige Arbeiterpartei (UAP) sowie die 1964 gegründete und bis heute bestehende Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD). Diese Parteien unterschieden sich im Hinblick auf ihre Zielsetzung, Programmatik, Existenzdauer, Wahlerfolge und Strukturen auf Landesebene erheblich voneinander. Lediglich die NPD, die DRP, die DP und der BHE schafften es, mit der Gründung von Bezirks- und Kreisverbänden flächendeckende Strukturen in Nordrhein-Westfalen zu schaffen.

In fast allen Parteien spielten ehemalige Nationalsozialisten bei der Gründung sowie der Benennung der jeweiligen politischen Ziele eine wesentliche Rolle. Dieser Tatbestand hängt zweifellos mit der in weiten Teilen gescheiterten Entnazifizierung zusammen. Die fehlende Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen führte dazu, dass ehemalige Nationalsozialisten führende Posten im postfaschistischen Deutschland und besonders im neu gegründeten Bundesland Nordrhein-Westfalen erhielten. Die fehlende Melde- und Entnazifizierungspflicht war dafür verantwortlich, dass lediglich 13% der erwachsenen Personen in Nordrhein-Westfalen erfasst wurden. Lange und komplizierte Verfahren sorgten auch dafür, dass die Entnazifizierung nicht zum gewünschten Ergebnis führte. Die wenigen verurteilten Täter kamen mit sehr milden Strafen davon.

Erfolglose Wahlkämpfe

Überblickt man den gesamten Zeitraum, muss man konstatieren, dass es den extrem rechten Parteien in Nordrhein-Westfalen nie gelungen ist, auf parlamentarischer Ebene Einfluss auf politische Entscheidungsprozesse zu bekommen und ihre Weltanschauung in der Landespolitik zur Geltung zu bringen. Keine Partei schaffte es, in den Landtag Nordrhein-Westfalens einzuziehen. Im Gegensatz zu anderen Bundesländern wie etwa Niedersachsen, Schleswig-Holstein, Bayern und Baden-Württemberg gelang es in Nordrhein-Westfalen extrem rechten Parteien nicht, erfolgreiche Wahlkämpfe zu führen und entsprechende Wahlergebnisse zu erzielen. Am besten schnitt der BHE bei der Landtagswahl 1954 ab, als er mit 4,6 % der Stimmen knapp den Einzug in den Landtag verpasste. Bei der Bundestagswahl 1969 in Nordrhein-Westfalen erreichte die NPD 3,1% der Stimmen. Die DKP-DRP bekam bei der Bundestagswahl 1949 1,8% und bei der nordrhein-westfälischen Landtagswahl 1950 1,7% der Stimmen. Es gab keine kontinuierlich bestehende Partei, die sich eventuell ein Stammwählerpotential oder eine eigene Anhängerschaft hätte aufbauen können. Stattdessen kam es zu ständigen Neugründungen und Zerfallsprozessen. Ein typisches Merkmal der extremen Rechten in Nordrhein-Westfalen von 1946 bis 1971 lag darin, dass sie sich in kleinen Parteien formierte, die auch miteinander konkurrierten und eine begrenzte Existenzdauer hatten. Die große Diskrepanz zwischen extrem rechten Einstellungen und tatsächlichen wahlpolitischen Erfolgen gehörte zu den zentralen Charakteristika der extremen Rechten in Nordrhein-Westfalen. Für dieses Spannungsverhältnis von Einstellungs- und Wählerpotential gibt es mehrere Gründe. Trotz verbreiteter Unzufriedenheit mit dem politischen System und der politischen Klasse verhinderten die fehlende Attraktivität einer fachlich kompetenten extrem rechten Partei, der Mangel an charismatischen Führerfiguren sowie die Polarisierung zwischen den Volksparteien CDU und SPD in den 1950er und 1960er Jahren die Ausschöpfung des Einstellungspotentials. Daran änderten auch neue, militante Aktionsformen zu Beginn der 70er Jahre nichts, als die Aktion Widerstand unter maßgeblicher Beteiligung von NPD-Mitgliedern gegen die Ostverträge mobilisierte.

Extrem rechte Netzwerke

Überhaupt bleibt festzuhalten, dass man die Bedeutung der Parteiorganisationen für die Etablierung von extrem rechten Strukturen in Nordrhein-Westfalen nicht überbewerten sollte. Vielmehr waren die Wiking-Jugend (WJ) und die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS e.V. (HIAG) für den Wiederaufbau und die Etablierung der extremen Rechten in Nordrhein-Westfalen relevanter. Diese beiden Organisationen waren die wichtigsten Netzwerke. Im Gegensatz zu den immer neuen Gründungen, Auflösungen oder Spaltungen der rechten Parteien betrieben die beiden Organisationen kontinuierliche Arbeit im Aufbau von rechten Strukturen und ideologischer Vermittlung von extrem rechter Ideologie.

Die Wiking Jugend war die größte neonazistische Jugendorganisation in der Bundesrepublik. Die WJ verfolgte das Ziel einer vollständigen nationalsozialistischen Sozialisation ihrer Mitglieder von der frühen Kindheit bis ins hohe Erwachsenenalter. Sie war nach dem Lebensbundprinzip organisiert, so dass auch im Erwachsenenalter eine enge Bindung an die Organisation bestand. Ihre besondere Bedeutung lag darin, dass sie sich zu einer ideologischen Ausbildungsorganisation und Charakterschulung für zukünftige rechte Aktivisten und Spitzenfunktionäre entwickelte.

Die Hilfsgemeinschaft auf Gegenseitigkeit der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS e.V. hatte bis zu 70.000 Mitglieder und war einer der führenden extrem rechten Organisationen in der Bundesrepublik. Die HIAG verstand sich als Sammlungsbewegung überzeugter Nationalsozialisten und anderer Personen der extremen Rechten. Das Hauptziel lag in der rechtlichen Gleichstellung der ehemaligen Angehörigen der Waffen-SS mit den Soldaten der Wehrmacht und der damit verbundenen Rehabilitierung der Waffen-SS.

Für die Revitalisierung der extremen Rechten in Nordrhein-Westfalen war die Gründung von Zeitungen und Zeitschriften, die einen völkischen Nationalismus propagierten, von großer Bedeutung. Vor allem die Monatsschrift Nation Europa, die sich zu einem intellektuellen Bindeglied verschiedener Richtungen des internationalen Faschismus in der Nachkriegszeit entwickelte, und die von Gerhard Frey autokratisch geführte Deutsche Nationalzeitung (DNZ) waren maßgeblich an der Verbreitung von antidemokratischen und völkischen Ideologemen beteiligt.

Eine zeitweilig große Bedeutung hatte der so genannte Naumann-Kreis in der FDP. Die nordrhein-westfälische FDP hatte sich seit Anfang der 1950er Jahre zu einer Rechtspartei entwickelt und diente ehemaligen Nationalsozialisten als Auffangbecken. Der Partei ging es um Klientelpolitik für leitende Beamte, frühere Wehrmachtssoldaten, Soldaten der Waffen-SS, „nominelle“ NSDAP-Mitglieder und „Heimatvertriebene“. Sie wetterte gegen die Entnazifizierung, beschwor einen Schlussstrich unter die NS-Vergangenheit und glorifizierte das deutsche Soldatentum. Werner Naumann, der letzte Staatssekretär von Goebbels, startete mit zahlreichen Gesinnungsgenossen den Versuch, den FDP-Landesverband Nordrhein-Westfalen und andere rechte Parteien und Organisationen unter seine Kontrolle zu bekommen, mit dem Fernziel, ein neues nationalsozialistisches Regime zu installieren. Erst nach der Verhaftung Werner Naumanns und einiger seiner Gesinnungsgenossen im Januar 1953 durch die britischen Behörden wurde diese Entwicklung gestoppt. Eine Bedrohung der demokratischen Ordnung war durch die Infiltration von Nationalsozialisten des Naumann-Kreises unter anderem in die nordrhein-westfälische FDP gegeben, was das von den britischen Behörden beschlagnahmte Quellenmaterial eindeutig belegte. Andere rechte Parteien, Gruppen oder Organisationen waren zu keinem Zeitpunkt in der Lage, den demokratischen Verfassungsstaat zu gefährden.

Autoritäre Einstellungsmuster

Die Erneuerung extrem rechter Strukturen in NRW, darauf sei abschließend hingewiesen, wäre nicht möglich gewesen ohne einen Resonanzboden im Bewusstsein der Bevölkerung. An allererster Stelle ist hier der Antisemitismus zu nennen. Er erlebte vor allem Ende der 1950er Jahre eine bemerkenswerte Renaissance, als zwei Mitglieder der Deutschen Reichspartei (DRP) in der Weihnachtsnacht 1959 die gerade wieder eingeweihte Kölner Synagoge mit antisemitischen Parolen schändeten. Die Schändung der Synagoge wurde zum Auslöser von antisemitisch motivierten Nachfolgetaten. Zwischen dem 25.12.1959 und dem 18.02.1960 wurden insgesamt 618 antisemitische und neonazistische Straftaten gemeldet, die meisten davon in Nordrhein-Westfalen. Es existierte eine Diskrepanz zwischen dem Anti-Antisemitismus der offiziellen Politik und dem Fortleben von Antisemitismus in Teilen der bundesrepublikanischen Nachkriegsgesellschaft. Zahlreiche Meinungsumfragen in der Bundesrepublik belegten, dass in Teilen der Bevölkerung antisemitische Mentalitätsbestände auch nach dem Ende der NS-Herrschaft weiter existierten.

Die Verdrängung und fehlende Aufarbeitung des Nationalsozialismus war für die Kontinuität nationalsozialistischer, rassistischer und autoritärer Einstellungsmuster in der Nachkriegsbevölkerung verantwortlich. Die neu gegründeten extrem rechten Parteien in der Bundesrepublik profitierten in starkem Maße von der Konservierung dieser Mentalitätsbestände. Meinungsumfragen über die NS-Zeit belegen eindrücklich die Kontinuität nationalsozialistischer Einstellungsmuster in der Nachkriegsbevölkerung. Das Ehepaar Mitscherlich stellte in seinem Buch „Die Unfähigkeit zu trauern“ fest, dass eine Verdrängung der NS-Vergangenheit und eine Schlussstrichmentalität vorherrschte, um die nationalsozialistische Vergangenheit aus der Erinnerung zu verbannen.