Eine neue Nahostpolitik der USA?

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Von Moshe Zuckermann. Erschienen in DISS-Journal 18 (2009)

Die Frage, ob es eine wirklich neue Nahostpolitik der USA gebe, kann vordergründig als trivial und unzulässig zugleich abgeschmettert werden. Trivial – weil nicht in Frage gestellt werden kann, daß das, was unter George W. Bush die Nahostregion (und nicht nur sie) acht Jahre lang gebeutelt hat, mit der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten an sein Ende gelangt ist. Obamas Weltsicht ist eine andere als die seines Vorgängers; daran kann nicht gezweifelt werden, mag man die Ausrichtung des neuen Präsidenten nun mögen oder nicht. Unzulässig – weil eine solche Frage, die ja eines der komplexesten, mithin am schwierigsten zu lösenden Konflikte der bestehenden Weltpolitik tangiert, nicht nach einem dreiviertel Jahr der Amtsperiode Obamas als USPr äsident gestellt werden kann. Obama hat zwar mit einiger Rasanz und erheblicher rhetorischer Verve die neuen Koordinaten seiner Ausrichtung auf die islamische Welt überhaupt und den Nahen Osten im besonderen verkündet, um aber recht bald feststellen zu müssen, daß zwischen der Proklamation seiner Maximen und ihrer praktischen Umsetzung realpolitisch eine nicht gar zu leicht zu überbrückende Diskrepanz besteht. Absichtserklärungen sind noch keine implementierte Politik; und wenn sie ernstgenommen werden wollen, muß man ihnen die Zeit zur Heranreifung der Bedingungen für ihre Verwirklichung lassen.

Und doch darf die Frage für legitim und relevant erachtet werden. Denn die Antwort auf sie betrifft etwas Grundsätzliches, das gemeinhin mit Vorbedacht außer Acht gelassen wird. Allzu leicht und gern wird nämlich die Politik der US-Einmischung in die Nahostregion (und nicht nur in diese) unter moralisierenden, zumeist emotional aufgeladenen Gesichtspunkten betrachtet und gewertet. Von fast familiär anmutenden Gesinnungsverwandtschaften ist da die Rede; eine Affinität zwischen Israel als „einziger Demokratie im Nahen Osten“ und der demokratischen Tradition der USA wird behauptet, die dann in Zeiten kriegerischer „Demokratisierung“ der arabischen Welt (wie etwa im Irakkrieg) höchste Lobpreisung erfährt. Man braucht aber nur andere Verbündete, die sich die USA über Dekaden militärisch wie finanziell warmgehalten hat, mithin auch am Sturz welcher Regimes sie tatkräftig beteiligt waren, anzusehen, um sich das Geschwätz von der Demokratie-Liebe der USA in der Weltpolitik als krude Ideologie abzugewöhnen (wenn man sich’s denn abgewöhnen möchte).

Die Politik der USA (und davon ist auch Barack Obama nicht ausgenommen) mußte schon immer unter dem Gesichtspunkt geopolitischer Interessen anvisiert werden, wenn man die reale Handlungslogik dieser Weltmacht ergr ünden wollte. Die Möglichkeit einer Splendid Isolation ist spätestens mit dem Ausgang des Zweiten Weltkriegs und der Etablierung des Blocksystems irrelevant geworden. In dieser Zeit des Kalten Krieges galt der Nahe Osten als Region, auf die es unbedingt Einfluß zu nehmen galt, und zwar nicht nur, weil man kommunistischer Einflußnahme Einhalt gebieten wollte, sondern weil es handfeste materielle Interessen wahrzunehmen und zu verteidigen gab, allen voran die, welche die Energiepotentiale der Region betrafen. Bei dieser Politik der Einflußnahme konnte man sich mit einem „demokratischen“ Israel, das für den Kampf gegen die UdSSR-abhängigen Staaten instrumentalisiert werden mochte, gleichmaßen verbünden wie mit dem nun ganz und gar nicht demokratisch regierten Saudiarabien. Die Verbündungsgesinnung war stets elastisch. Sie ist es auch geblieben.

Als aber dann der Sowjetkommunismus zusammenbrach, änderte sich die Situation dahingehend, als die Einflußnahme nicht mehr an ideologisch definierten Feinden, wie sie das Blocksystem noch geboten hatte, orientieren konnte, wofür freilich eine ominöse .Achse des Bösen. als Ersatz konstruiert wurde. Zu fragen ist gleichwohl, warum die USA heute, wo die Strukturvorgaben des Kalten Krieges evaporiert sind, keine rigorose Friedenspolitik im Nahen Osten angehen.

Die Antwort darauf ist einfach: Sie brauchen keine Friedenspolitik zu betreiben, solange der gegenwärtige Zustand ihre geopolitischen Interessen nicht bedroht. Der nahöstliche Frieden war schon zu Clintons Zeiten (und ist es unter Obama vorerst geblieben) ein Nice-to-have, kein strukturell aufgezwungenes Muß. Die USA könnten, wenn sie wollten, Israel in kürzester Zeit in einen realen Friedensprozeß hineinpeitschen. Sie müssen es aber auch wollen, und sie wollen es bislang nicht unbedingt, weil sie es nicht müssen. Sollte sich Israels Außenpolitik so auswirken, daß die geopolitischen Interessen der USA ernsthaft bedroht würden, dürfte das verbündete Israel wie eine heiße Kartoffel fallengelassen werden; die Interessen der USA hätten allemal Priorität – daran würde keine, wie immer geartete „Lobby“ oder moralisierende Larmoyanz ändern. So weit ist es noch lange nicht – Israelis und Palästinenser dürfen sich also vorerst weiterhin gegenseitig niedermetzeln.

Barack Obama könnte diese althergebrachte strukturelle Konstellation im Sinne einer veränderten Geopolitik neu auszurichten versuchen. Er hat auch bereits angekündigt, daß dies seine Intention sei. Ob er diese aber auch verwirklichen wird, muß vorerst abgewartet werden.