Darf man das? Seit der britische Verleger Peter McGee unter dem Titel “Zeitungszeugen” in Deutschland Reprints von Zeitungen aus der Zeit des Nationalsozialismus verkauft, ist eine neue Debatte über den Umgang mit NS-Quellen entbrannt. Nach einem knappen Jahr voller Auseinandersetzungen, mehreren Gerichtsprozessen, und über 40 veröffentlichten Ausgaben ist es Zeit für ein erstes Fazit. Der Dortmunder Medienwissenschaftler Prof. Dr. Horst Pöttker ist wissenschaftlicher Berater des Zeitungszeugen-Projekts. Im DISS-Journal spricht er über publizistische Verantwortung, über das Verhältnis von Wissenschaftlichkeit und Kommerz und über die Frage, ob man NS-Geschichte „erlebbar“ machen sollte. Erschienen im DISS-Journal Nr. 18 (2009). Das Interview führte Rolf van Raden. Herr Pöttker, Anfang Oktober hat das Oberlandesgericht München in zweiter Instanz entschieden: Die Zeitungszeugen dürfen weiter erscheinen. Der Freistaat Bayern hatte keinen Erfolg mit dem Versuch, die Herausgabe von Nazi-Faksimiles zu verbieten.…
Anmerkungen zu Jürgen Links Roman „Bangemachen gilt nicht auf der Suche nach der Roten Ruhr-Armee. Eine Vorerinnerung“ Von Marianne Schuller. Erschienen in DISS-Journal 18 (2009) In einem wahrscheinlich 1928 geschriebenen Essay hat Ernst Bloch die alltägliche, gleichwohl rätselhafte Figur des ‚Déjà-vu’ in den Horizont seines Denkens der Utopie gerückt ((Ernst Bloch, .Bilder des déjà-vu.., in: Gesamtausgabe in 16 Bdn. Bd. 9, 232-242.)). Im Déjà-vu sieht Bloch nicht die Wiederkehr von etwas Gewesenem, sondern ganz im Gegenteil: die ‚Begegnung’ mit etwas Nicht-Gewordenem: als Figurierung ungewordener Erlebnisse. Es sind „solche zwischen Lippe und Kelchesrand“. Nach diesem ebenso fragilen wie haarscharfen Bild eines Zwischen – zwischen Lippe und Kelchesrand, zwischen eben noch und noch nicht – erscheint das Déjà-vu als Gegenwärtigkeit eines Ungewordenen, als Erfahrung eines nie Erfahrenen ((Während das „uneigentliche des Déjà-vu allemal selber halb…
Von Moshe Zuckermann. Erschienen in DISS-Journal 18 (2009) Die Frage, ob es eine wirklich neue Nahostpolitik der USA gebe, kann vordergründig als trivial und unzulässig zugleich abgeschmettert werden. Trivial – weil nicht in Frage gestellt werden kann, daß das, was unter George W. Bush die Nahostregion (und nicht nur sie) acht Jahre lang gebeutelt hat, mit der Wahl Barack Obamas zum US-Präsidenten an sein Ende gelangt ist. Obamas Weltsicht ist eine andere als die seines Vorgängers; daran kann nicht gezweifelt werden, mag man die Ausrichtung des neuen Präsidenten nun mögen oder nicht. Unzulässig – weil eine solche Frage, die ja eines der komplexesten, mithin am schwierigsten zu lösenden Konflikte der bestehenden Weltpolitik tangiert, nicht nach einem dreiviertel Jahr der Amtsperiode Obamas als USPr äsident gestellt werden kann. Obama hat zwar mit einiger Rasanz…
Kampagnen gegen Islam und Moscheebau und kommunale Gegenstrategien. Rezension von Michael Lausberg. Erschienen in DISS-Journal 18 (2009) Im Gegensatz zu alteingesessenen Parteien wie die NPD, DVU oder „Die Republikaner“ gelang der rechten „Bürgerbewegung Pro Köln“ bei den Kommunalwahlen 2004 in Köln ein unerwarteter Wahlerfolg von 4,7 % der Stimmen. Ein groß angekündigter „Anti-Islamisierungskongress“ auf dem Kölner Heumarkt im September 2008 entwickelte sich dank eines breiten antifaschistischen Engagements zu einer politischen Farce. Bei den Kommunalwahlen in Nordrhein-Westfalen am 30. August 2009 feierte Pro Köln mit 5,36 % der Stimmen einen Achtungserfolg. Mit einem anti-islamistischen Rechtspopulismus feierte die „Bürgerbewegung Pro Köln“ mit lokalen Kampagnen gegen einen geplanten Moscheebau in Köln-Ehrenfeld erste kommunalpolitische Erfolge. Dieses Modell soll nun sowohl landesweit („Bürgerbewegung Pro NRW“) als auch bundesweit („Bürgerbewegung Pro Deutschland“) ausgebaut werden. Die „Bürgerbewegung Pro NRW“ erreichte…
Selbstverständnis und Praxis der extremen Rechten. Eine Rezension von Volker Weiß. Erschienen in DISS-Journal 18 (2009) „Zwischen Militanz und Bürgerlichkeit“ ist die äußerst lesenswerte Auswertung einer zweijährigen Feldforschung, mit der der Rostocker Soziologe Andreas Klärner das „nationale“ Milieu einer als „A-Stadt“ bezeichneten mittelgroßen ostdeutschen Stadt erkundet hat. Der dortigen Szene, die von Klärner als „jung und agil“ beschrieben wird, nähert er sich mit dem analytischen Instrumentarium der „Bewegungssoziologie“. Er wertet sie also grundsätzlich als soziale Bewegung und klassifiziert ihre Akteure im Laufe der Studie entsprechend in „Bewegungselite“, „Basisaktivisten“ sowie schließlich das weitere „Umfeld“. Zwangsläufig rückt dabei das Verhältnis frei agierender Kräfte zur NPD in den Mittelpunkt, da schnell klar wird, dass die NPD als treibende und vor allem strukturierende Kraft weit über ihre Mitglieder hinaus Wirkung entfaltet. Auch dem Autor öffnet sich die…
Von Jobst Paul. Erschienen in DISS-Journal 18 (2009) Google reagiert bei Ferdinand von Bismarck, dem 79-jährigen Urenkel des Eisernen Kanzlers und heutigen Chef des Fürstenhauses, etwas ratlos und verweist auf ein SPIEGEL-Dossier. Dort haben sich in der Tat insgesamt drei Meldungen angehäuft: 1996 bekämpften Bismarcks Erben den Ausbau der ICTrasse durch den Sachsenwald, ein Jahr später er- öffnete Ferdinand im kleinen Kreis seine rechtslastige Bismarck-Stiftung. Da der SPIEGEL den vor allem von der WELT reportierten Drogentod des Sohns, des 44-jährigen Gottfried Graf von Bismarck in London (2007), übergeht, bleibt dem SPIEGEL-Archiv aus dem Leben des Bismarck-Urenkels nur noch zu berichten, dass dieser seit Juni 2008 unter dem Motto Deutschland driftet nach links! mit Briefkopf und Photo bundesweit um die Rettung Deutschlands vor der sozialistischen Machtübernahme, d.h. vor .Krieg, Stacheldraht und Diktatur. bittet, hauptsächlich…
Ein subjektiver Tagungsbericht von Martin Dietzsch. Erschienen in DISS-Journal 18 (2009) Vom 8. bis 10. Juli 2009 fand in Greifswald eine interdisziplinäre Fachtagung statt zum Thema „Europas radikale Rechte und der Zweite Weltkrieg“. Als Referenten konnten von der Tagungsleitung wichtige Vertreter der Faschismusforschung gewonnen werden, unter ihnen Zeev Sternhell aus Jerusalem und Roger Griffin aus Oxford. ((Ich möchte hier nur einige subjektive Eindrücke wiedergeben. Für eine inhaltliche Zusammenfassung verweise ich auf die Rezensionen von Stefan Vogt auf H-Soz-u-Kult (http://hsozkult.geschichte.hu-berlin.de/tagungsberichte/ id=2727&count=399&recno=12&sort=datum&order=down&geschichte=108) und von Frank Schubert in der jungle world 31- 2009 (http://jungle-world.com/artikel/2009/31/36481.html).)) Die Referate wissenschaftlicher Tagungen kann man in der Regel auch später nachlesen. Die Strapazen der Anreise und der Teilnahme lohnen sich aber dennoch, wenn man einen unmittelbaren Eindruck von den Referenten, vom Publikum und von der Stimmung gewinnen will. Das könnte auch…
Sammelband zum Zustand der Universität. Eine Rezension von Rolf van Raden. Erschienen in DISS-Journal 18 (2009) Im Oktober 2009 kündigte die Kultusministerkonferenz (KMK) an, man wolle nach Protesten von Studierenden und Lehrenden das umstrittene Bachelor/Master-System reformieren. Schnell stellte sich heraus: Die zentralen Paradigmen der Reform, die während des Bildungsstreiks im Sommer massiv in Frage gestellt worden waren, werden von der KMK weiter verteidigt. Wie gut, dass zumindest an anderer Stelle kontrovers und kritisch über den Zustand der Hochschulen debattiert wird. Einen solch kenntnisreichen Blick auf die „ruinierte Institution“ Universität wirft ein kleiner Sammelband, den die Theaterwissenschaftlerinnen Ulrike Haß (Bochum) und Nikolaus Müller- Schöll (Hamburg) herausgegeben haben. Was ist aus der modernen Universität geworden, die – zumindest ihrem humboldtschen Gründungsmythos nach – nur der Erkenntnis und der Wahrheit verpflichtet sein sollte? Von was spricht…
Wie Studenten in Spanien die Reform verhindern wollen. Von Alexander Wolf. Erschienen in DISS-Journal 18 (2009) Jeden Morgen nach dem Aufstehen wird Luis daran erinnert, wofür er kämpft. Der Betonklotz, in dessen Innern er sein Zelt aufgeschlagen hat, ist die Fakultät für Journalistik der öffentlichen Universität Complutense, der größten Uni Madrids. Fast jeder Zentimeter in dem gewaltigen Gebäude strotzt vor revolutionären Sprüchen. „Gegen die Privatisierung der Universitäten!“ heißt es da in blutroten Lettern, oder „Bologna ist der Tod der freien Bildung“. In einem Seminarraum neben dem kleinen Protestcamp im Foyer der Fakultät widmen sich einige Studierende gerade den Grundlagen des europäischen Mediensystems. Als zwei Protestler mit Schlabberhosen eintreten, um noch einmal an den großen Streik in der nächsten Woche zu erinnern, sagt die Professorin: „Hört gut zu, das hier ist wichtig! Vielleicht nicht…
Kritische Diskursanalyse in Polen. Von Lukasz Kumiega (Warszawa/Düsseldorf). Erschienen in DISS-Journal 18 (2009) Auch in Polen wird Diskursanalyse seit einigen Jahren als ein Forschungsprogramm verstanden, das zur Untersuchung und Kritik diverser gesellschaftlicher Phänomene genutzt wird und sich explizit auf eine Theorietradition bezieht. Aus dem ganzen Ensemble diskurstheoretischer Erwägungen dominiert hier vor allem die Rezeption anglos ächsischer Theorien. Disziplinen, die sich einer solchen Perspektive geöffnet haben, sind vor allem Linguistik und Soziologie. Als ein gewisser Vorreiter der kritischen Studien gilt im polnischen Sprachraum der Literaturwissenschaftler Michal Glowinski und seine Arbeiten zum kommunistischen „Newspeak“ (vgl. Glowinski 1990). Ohne jetzt auf Details eingehen zu können, möchte ich hier einige (!) gegenwärtige Tendenzen aufzeigen, die im Umfeld der breit angelegten Diskursforschung in Polen (in ihrer kritischen Version) zu verorten sind. Eine von wenigen Linguistinnen, die sich in…