Zwischen Militanz und Bürgerlichkeit

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Selbstverständnis und Praxis der extremen Rechten. Eine Rezension von Volker Weiß. Erschienen in DISS-Journal 18 (2009)

 „Zwischen Militanz und Bürgerlichkeit“ ist die äußerst lesenswerte Auswertung einer zweijährigen Feldforschung, mit der der Rostocker Soziologe Andreas Klärner das „nationale“ Milieu einer als „A-Stadt“ bezeichneten mittelgroßen ostdeutschen Stadt erkundet hat. Der dortigen Szene, die von Klärner als „jung und agil“ beschrieben wird, nähert er sich mit dem analytischen Instrumentarium der „Bewegungssoziologie“. Er wertet sie also grundsätzlich als soziale Bewegung und klassifiziert ihre Akteure im Laufe der Studie entsprechend in „Bewegungselite“, „Basisaktivisten“ sowie schließlich das weitere „Umfeld“. Zwangsläufig rückt dabei das Verhältnis frei agierender Kräfte zur NPD in den Mittelpunkt, da schnell klar wird, dass die NPD als treibende und vor allem strukturierende Kraft weit über ihre Mitglieder hinaus Wirkung entfaltet. Auch dem Autor öffnet sich die Szene erst durch Vermittlung eines führenden NPD-Kaders, der als „Türöffner“ die Interviews ermöglichte, die der Arbeit das empirische Fundament liefern. Neben diesem unter hohem persönlichem Einsatz erhobenen Material und der gängigen Forschungsliteratur basiert die Studie auf der Auswertung interner Quellen und Debatten der Rechten. Das Ergebnis ist ein detailliertes Portrait einer lokal aktiven rechten Szene, ihrer Geschichte, sozialen Struktur und – oftmals fragmentarischen und eklektizistischen – Ideologie.

Im besonderen Fall der ostdeutschen Stadt existierte der Kern der Szene bereits zu DDR-Zeiten, konnte aber aufgrund staatlicher Repression erst nach 1989 offen agieren. Auf einige Jahre unorganisierter Gewalt folgte ab Mitte der 90er das Konzept der „Freien Kameradschaften“, das auch rechtsterroristische Aktivitäten einschließt. Ein nächster Schritt bestand im Zusammengehen mit der aus dem Westen importierten NPD. Diese strategische Umorientierung von der reinen Ausübung des Terrors gegen den Gegner auf die politische Bühne beschreibt Klärner auch als einen Lernprozess infolge der zunehmenden gesellschaftlichen Ächtung rassistischer Gewalt. Mit zunehmender Einbindung in organisierte Strukturen, so eine wichtige Beobachtung, ließ die diffuse Straßengewalt zunächst nach. Die Szene begann, Wert auf ein zivileres Erscheinungsbild zu legen und versuchte, sich in kommunalpolitischen Fragen zu profilieren. Damit beschreibt die Studie präzise die Strategie der Normalisierung, also den Versuch, nationalsozialistischen Inhalten durch ein bürgerlichen Vorstellungen eher gemäßes Auftreten zur politischen Mehrheit zu verhelfen. Vor allem hier übten parteipolitisch organisierte Kader ihren Einfluss aus. Aus dem brutalisierten Jugendmilieu wurde durch Verzahnung mit der NPD eine ideologisch und organisatorisch gefestigte Naziszene. Da mit diesem Prozess eine Disziplinierung der Aktivisten einherging, die mit einer vorläufigen Beruhigung der Situation zusammengeht, wird er meist als Endradikalisierung missverstanden. Dabei kündigt die relative Ruhe, wie Klärners Arbeit zu entnehmen ist, nur den nächsten Schritt an: den Aufbruch zum Marsch durch die bürgerlichen Wohnstuben in die Kommunal- und Landesparlamente. Unter Vermeidung negativer Schlagzeilen sehen sich ehemalige rechte Schläger auf dem Weg zum Vollstrecker des Mehrheitswillens „ihre Volkes“. Klärner sieht hier ein offensichtliches Paradox: die Randgruppe, die sich auf eine schweigende Mehrheit zu stützen glaubt. Die Reihe der vorbestraften Kandidaten auf den NPD-Wahllisten gibt diesem Befund deutlich recht, wie auch Aussteiger aus der rechten Szene von einer stärkeren taktischen Reflexion der Gewaltanwendung berichten.

Klärners Arbeit verdeutlicht, dass die Grenzen innerhalb des rechten Milieus lange nicht so klar verlaufen, wie es eine totalitarismustheoretisch orientierte Politikwissenschaft oftmals glauben machen will. Gerade durch seine netzwerkhafte Struktur sind die Grenzen zwischen unterschiedlich radikalen Strömungen fließend. So treffen sich in der NPD und ihrem Umfeld ebenso Burschenschafter wie Angehörige von Jugendsubkulturen oder dem militanten „Nationalen Widerstand“. Bemerkenswert an den Interviews ist auch, dass sich die einstmals heroische nazistische Identität in ein recht klägliches Selbstbild als Opfer von „Globalisierung und überstaatlichen Mächten“ gewandelt hat. Trotz dieses Selbstmitleids besteht aber kein Zweifel daran, dass sich die Protagonisten dieser Bewegung in einer neuen nationalsozialistischen „Kampfzeit“ wähnen. Immerhin: die gute Nachricht angesichts der Ergebnisse der Bundestagswahl ist also, dass der NPD der letzte Schritt „in die Parlamente“ bislang nicht weiter gelungen ist. Die breite Ächtung rechter Gewalt im öffentlichen Diskurs trägt hier deutliche Früchte. Doch zeugt Klärners Studie von einer sozialen Verwurzelung der Rechten in manchen Regionen, so dass sich dies in wenigen Jahren wieder ändern könnte und für Entwarnungen kein Anlass besteht.

Andreas Klärner
Zwischen Militanz und Bürgerlichkeit
Selbstverständnis und Praxis der extremen Rechten
2008 Hamburg: Hamburger Edition
ISBN 978-3-936096-93-4
346 S., 25 €