Antiziganismus in der „Mitte“ der Gesellschaft

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Das Beispiel Thilo Sarrazin

Von Michael Lausberg. Erschienen in DISS-Journal 28 (2014)

Zahlreiche regionale und überregionale Medien sowie Politiker_innen, vor allem aus den Reihen der beiden großen „Volksparteien“, beteiligen an der antiziganistischen Stigmatisierung der Einwander_innen aus Rumänien und Bulgarien. In diesem Chor darf Thilo Sarrazin nicht fehlen. Die in seinem Buch „Deutschland schafft sich ab“ ((Sarrazin, T.: Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen, München 2010)) aufgestellten rassistischen, wohlstandschauvinistischen und klassistischen Behauptungen ((Siehe dazu Friedrich, S. (Hg.): Rassismus in der Leistungsgesellschaft: Analysen und kritische Perspektiven zu den rassistischen Normalisierungsprozessen der „Sarrazindebatte“, Münster 2011.)) bilden auch die Grundlage für seine Hetze gegen Einwander_innen aus Bulgarien und Rumänien.

In einem Gastbeitrag für das Magazin „Focus“ warnte Sarrazin im Dezember 2013 mit Blick auf die 2014 einsetzende Arbeitnehmer_innenfreizügigkeit vor einer „steigenden Armutseinwanderung“ in die BRD- nicht nur aus der EU. ((www.focus.de/magazin/archiv/ein-kommentar-von-thilo-sarrazin-hartz-iv-fuer-die-welt_id_3465297.html (25.9.2014) Alle weiteren Zitate sind diesem Kommentar entnommen.)) Die Überschrift „Hartz IV für die Welt?“ spielt auf die rassistische Parole „Deutschland ist nicht das Sozialamt der Welt“ an, die bereits Anfang der 1990er Jahre in Deutschland und auch jüngst beim Europa- und Kommunalwahlkampf 2014 Hochkonjunktur hatte. Das „Argument“ der „Einwanderung in die Sozialsysteme“ auf dem Rücken deutscher Beitragszahler_innen zieht sich durch seine Beweisführung. Sarrazin prognostizierte, dass 2013 „unter den Zuwanderern auf jeden qualifizierten Ingenieur aus Spanien wohl 100 Armutseinwanderer aus Rumänien und Bulgarien kommen.“ Daher sei „Freizügigkeit für EU-Bürger und Anspruch auf Sozialleistungen im frei gewählten Aufenthaltsland“ nicht miteinander vereinbar. Diese „Armutseinwanderer“ kämen zudem auch nicht alleine, sondern würden ihre „ganze Großfamilie“ mitbringen. Dabei schürt er auch Ängste vor einer massenhaften Einwanderung von den „circa acht Millionen Roma auf dem Balkan“ und der Menschen in Afrika, „deren Zahl alle drei Jahre so stark zunimmt wie die Bundesrepublik Einwohner hat“:

„Wenn gar nichts mehr geht, wird ihnen der deutsche Sozialstaat helfen. Sie müssen es nur irgendwie über die deutsche Grenze schaffen, und ihnen ist (zur Not ganz ohne Arbeit) ein Lebensstandard sicher, der in ihren Heimatländern traumhaft wäre.“ (ebd.)

Die „Armutseinwanderung“ gehe zu Lasten „deutscher Steuerzahler“ und träfe auch die „wachsende Zahl deutscher Rentner“, die „dafür kürzertreten“ müssten. Hier werden Deutsche und Migrant_innen gegeneinander ausgespielt, wobei die Migrant_innen  angeblich bevorzugt  zum Schaden der Deutschen behandelt werden. Doch damit nicht genug: In Sarrazins Augen kommen auch die „falschen“ Zuwander_innen:

„Die Hoffnung auf deutsche Sozialleistungen lockt nicht jene positive Auslese (sic) jener qualifizierten und leistungsstarken Einwanderer an, die das alternde und geburtenarme Deutschland braucht, sondern das Gegenteil davon“. (ebd.)

Und er weiß auch die Verursacher dieser Situation auszumachen: Der „herrschende Denkstil“ sei geprägt von einer „von der Wirklichkeit abgewandte(n) Weltsicht“, die die „Folgen des eigenen Handelns nicht überschaut“ und „unbeirrt in die falsche Richtung“ gehe. In dieser so konstruierten Situation sucht Sarrazin nach einem/einer Retter(in) und stellt die rhetorische Frage: „Wer aber rettet Deutschland – zunächst vor Illusionen und Selbstbetrug und später vor deren Folgen?“ (ebd.) Als „Gegensteuerung“ plädierte er für eine „Reform der Hartz-IV-Gesetze für Ausländer“. Diese sollten in den ersten zehn Jahren ihres Aufenthalts in Deutschland lediglich das erhalten, was ihnen in ihren Heimatländern zustehe. Die weitere Abschottung der BRD steht ebenfalls auf der Agenda; die BRD benötige ein „wirksames Grenzregime, das illegale Zuwanderung verhindert.“

Fazit: Sarrazin stellt die Einwanderung aus Bulgarien und Rumänien in einer Semantik der Gefahren dar und schreibt den Migrant_innen vorwiegend deviante Eigenschaften zu. Der Diskurs um die Zuwanderung wird in einen antiegalitären und völkisch-nationalistischen Deutungsrahmen überführt, wo eine unüberwindbare Bipolarität zwischen Migrat_innen und Deutschen suggeriert wird. Sarrazin huldigt anthropologisch einem radikalen Utilitarismus; die Sortierung von Zuwander_innen in „nützlich“ und „unnütz“ für die bundesrepublikanische Gesellschaft ist ein Fingerzeig für sein zweckrationales menschenverachtendes Weltbild.

Dabei nutzt er immer wieder die Kon-struktion der „Armutsmigration“ aus Rumänien und Bulgarien, obwohl Zahlen und Fakten zeigen, dass eine Mehrheit der Zuwander_innen ökonomisch und sozial gut integriert ist. ((www.migazin.de/2014/01/21/iw-studie-einwanderung-bulgarien)) Der Migrationsforscher Klaus J. Bade bezeichnet den Terminus „Armutsmigration“ deshalb zu Recht als ein „semantisches Schandmal“ und „die damit verbundene gruppenfeindliche Agitation gegen Bulgaren und Rumänen und insbesondere die Roma unter ihnen (…) als eines der beschämendsten Kapitel in der Geschichte der deutschen und europäischen Ausländerdiskussionen“. ((Zitiert aus www.jungewelt.de/2014/04-23/007.php.))

 

P.S. Zum Thema Antiziganismus in Duisburg sind auf der Website des DISS mehrere Online-Broschüren kostenlos abrufbar:

AK Antiziganismus im DISS (HG.): Stimmungsmache. Extreme Rechte und antiziganistische Stimmungsmache. Analyse und Gefahreneinschätzung am Beispiel Duisburg. Veröffentlicht als kostenlose Online-Broschüre im März 2015.

Martin Dietzsch, Bente Giesselmann und Iris Tonks: Spurensuche zur Verfolgungsgeschichte der Sinti und Roma in Duisburg. Eine Handreichung für die politische Bildung. Veröffentlicht als kostenlose Online-Broschüre im Juni 2014.

Bente Gießelmann: Differenzproduktion und Rassismus. Diskursive Muster und narrative Strategien in Alltagsdiskursen um Zuwanderung am Beispiel Duisburg-Hochfeld. Bachelorarbeit, veröffentlicht im August 2013.