Zur Debatte um Frank Schirrmachers Buch »Ego«.
Einr Rezension von Sebastian Friedrich, erschienen im DISS-Journal 25 (2013).
Bereits im Sommer 2011 fiel der Feuilletonchef der Frankfurter Allgemeinen Zeitung (FAZ), Frank Schirrmacher, durch einen vermeintlichen Linksschwenk auf. Damals erklärte er, er beginne zu glauben, dass die Linke recht habe (vgl. DISS-Journal Nr. 23). Alsdann feierte er das Schuldenbuch von David Graeber als »Befreiung« und ließ bis heute Linke wie Sahra Wagenknecht im FAZ-Feuilleton zu Wort kommen. Im Februar dieses Jahres erschien sein Buch »Ego – Das Spiel des Lebens«, das es auf Anhieb auf den 1. Platz der Bestsellerlisten schaffte und eine kurze, aber heftige Debatte auslöste.
In seinem Buch beschreibt Schirrmacher ermüdend ausladend und quälend fahrig, dass der aktuelle Kapitalismus ein »Informationskapitalismus« sei, der sich durch sämtliche Bereiche des Lebens ziehe und einen radikalisierten »homo oeconomicus« schüfe. Dabei liegt er gar nicht so daneben, wenn er etwa bei Foucault spickt. Dennoch springt er meilenweit zu kurz, wenn es um die Gründe für diese Entwicklung geht. So führt er die Ökonomisierung des Alltags insbesondere auf US-amerikanische PhysikerInnen zurück, die den Finanzkapitalismus mittels mathematischer Spieltheorien unter ihre Kontrolle gebracht hätten, kurz nachdem sie 1989 ob mangelnder Aufgaben in militärischen Diensten arbeitslos geworden und massenhaft in die Wirtschaft gezogen seien. Insofern kann das Buch getrost beiseitegelegt und durch unzählige bessere Bücher ersetzt werden, die sich mit den Wirkweisen der neoliberalen Regierung des Selbst befassen. Viel interessanter als das Buch ist aber die Debatte, die es ausgelöst hat.
Von konservativ-liberaler Seite gab es scharfe Kritik. Nur wenige sahen wie Thorsten Giersch im Handelsblatt (18.2.2013) im Buch einen »sehr wichtigen Beitrag für die notwendige Diskussion«. Das Magazin Focus machte bereits vor dem offiziellen Erscheinungstermin eine kleine Umfrage unter bekannten Intellektuellen, in der etwa der Philosoph und Talkmaster Richard David Precht und der Schriftsteller und Philosoph Rüdiger Safranski Schirrmacher vorsichtig zustimmten, die Philosophen, Wissenschaftler und Publizisten Peter Sloterdijk, Paul Nolte, Henryk M. Broder, Hugo Müller-Vogg und Co. seine Thesen aber zum Teil harsch ablehnten. In der Tageszeitung Die Welt erschienen innerhalb weniger Tage fast ein halbes Dutzend Rezensionen, deren AutorInnen ebenfalls mehrheitlich hart mit ihrem Kollegen ins Gericht gingen. Alexander Grau urteilte im Cicero (18.2.2013), das Buch zeige einen autoritären Paternalismus, »wie er für linke und konservative Intellektuelle schon immer charakteristisch war«. Das von Schirrmacher beschriebene Ego sei Zeichen »einer humanen, aufgeklärten Gesellschaft«, die sich emanzipiert habe vom Kollektivismus. Doch all die zum Teil heftigen Kritiken verblassten angesichts der Rezension Bettina Röhls in der Wirtschaftswoche. Der Inhalt sei »wirr« und »über weite Strecken wahnbehaftet«, das Buch nicht mehr als »lächerliches Rundumgemotze«, gigantischer »Blödsinn« oder »gequirlter Unsinn«. Röhl schaffte es, in ihrer Rezension den Wettbewerb mit Schirrmacher um die meisten Redundanzen aufzunehmen und ihn erstaunlich gehaltlos der Substanzlosigkeit anzuklagen. Warum Schirrmacher so denke, wusste Röhl selbstverständlich ganz genau: Schirrmacher sei Kind seiner Zeit, denn er wuchs in Zeiten »linker, antikapitalistischer Weltverschwörungsphantastereien« auf.
Der kleine Abstecher durch konservativ-liberale Rezensionen zeigt, dass Schirrmacher zwar nicht unbedingt alleine mit seiner konservativen Kapitalismuskritik dasteht, ihm aber doch ein überraschend rauer Wind entgegen weht. Dennoch bleibt zu konstatieren, dass seine Interventionen Zeugnis von einer zunehmenden Verunsicherung des konservativen Bürgertums ablegen.
Dieser Umstand bedeutet allerdings nicht, dass Schirrmacher nun ein Linker sei, wie etwa Jakob Augstein in seiner Spiegel-Online-Kolumne (11.2.2013) behauptete. In eine ähnliche Kerbe stieß auch Jens Berger auf den hochfrequentierten Nachdenkseiten.de (19.2.2013): »Die Kritik an den Auswüchsen des modernen Kapitalismus, dem Dogma effizienter Märkte und der Prämisse, Egoismus sei die maßgebliche Triebfeder menschlichen Handelns, ist sowohl links als auch konservativ.« Mehr noch: Eigentlich müssten Linke wie Konservative auf die Frage, »ob Algorithmen oder gewählte Politiker über uns unsere Zukunft entscheiden sollen« die gleiche Antwort haben.
Hier wird es eng. Auch wenn es ein Gemeinplatz ist, dass der Kapitalismus mehr und mehr die sozialen Beziehungen durchdringt, und Schirrmachers Buch dazu geeignet ist, diese eher in theoretischen linken Diskussionen rezipierte These zu popularisieren – seine Problemdeutung hat herzlich wenig mit linker Politik zu tun. Wie schon während der Debatte 2011 geht es ihm darum, eine konservative Krisenlösung zu etablieren. Während Marktradikale die aktuelle Krise auf »zu viel Staat« zurückführen und als Lösung »weniger Staat« fordern, will Schirrmacher eine Zähmung des aktuellen Kapitalismus. Laut Thomas Wagner (junge Welt, 12.3.2013) lenkt Schirrmacher davon ab, »dass das Fundament jener Widersprüche, die er analysiert, schon im ganz normalen Funktionieren der sogenannten Marktwirtschaft angelegt ist. Das ›Ego-Modell‹ der privaten Nutzenmaximierung ist unverzichtbarer Bestandteil der Warenproduktion in der kapitalistischen Klassengesellschaft.«
Eins ist sicher, eine Linkswende Schirrmachers ist weiterhin nicht auszumachen. Unklar bleibt allerdings, wie sich die Linke zu dem immer offensichtlicheren Bruch zwischen Marktliberalen und Konservativen verhalten soll.
Frank Schirrmacher
Ego. Das Spiel des Lebens
München 213: Karl Blessing Verlag
352 Seiten, 19,99 €