Ein Artikel von Isolde Aigner, erschienen im DISS-Journal 25 (2013). Isolde Aigner promoviert zu Antifeminismus. Sie ist Redakteurin der feministischen Zeitschrift Wir Frauen und Mitglied der Diskurswerkstatt im DISS.
Ende Januar 2013 setzte in Deutschland mit der „Sexismusdebatte“ eine massenmediale und längst überfällige Auseinandersetzung mit Alltagssexismus ein. ((Sexismus ist die Diskriminierung von Menschen aufgrund ihres Geschlechts oder ihrer sexuellen Zugehörigkeit [vgl. FAU-Mat (Hg.) (2006): Gender und Arbeit. Hamburg]. Er steht in Zusammenhang mit sich gegenseitig bedingenden Geschlechternormen und Strukturen, die Machtverhältnisse hervorbringen. Sexuelle Belästigung verstehe ich deshalb als eine Form von Sexismus.)) Sie wurde ausgelöst durch ein Brüderle-Portrait der Journalistin Laura Himmelreich im STERN und einen etwa zur gleichen Zeit initiierten #Aufschrei (als Online-Austausch über Sexismus), der zum Twitter-Rekord wurde. Die „Debatte“ ermöglichte einen offeneren Umgang mit eigenen Diskriminierungserfahrungen wie der signifikante Anstieg an Meldungen von sexueller Belästigung bei der Antidiskriminierungsstelle des Bundes zeigt ((Stand: Juni 2013)) . Deshalb wertet sie #Aufschrei als „unglaublichen Erfolg“.
Festzustellen ist allerdings, dass von Anfang an ein heteronormatives ((Heteronormativität bezeichnet das Vorherrschen des Heterosexuellen in einer Gesellschaft und ist an die Vorstellung gekoppelt, dass es nur zwei Geschlechter gibt.)) Sexismusverständnis dominierte, das Sexismus auf sexuelle Belästigung (von Frauen durch Männer) reduzierte: „Männer, es reicht! Kleine Übergriffe, heftige Grapschereien, dumme Sprüche: Frauen werden in vielen Formen belästigt“ – so etwa die Berliner Zeitung vom 25.1.2013. Das wirkte sich nicht nur auf den Verlauf der „Debatte“ aus, es erschwerte auch die Auseinandersetzung mit Sexismus als alle Geschlechter auf unterschiedliche Weise diskriminierendes Machtsystem. Eine so geführte „Debatte“ evozierte nahezu Gegenstimmen, die den Spieß umdrehten und den Frauen unterstellten, zu übertreiben oder Belästigungen zu provozieren. Bundespräsident Gauck sprach gar vom „Tugendfuror“.
Statt einer Auseinandersetzung mit dem eigenen Verhalten gab es eine reflexhafte Solidarität unter Männern, die einander rieten, Begegnungen mit einzelnen Frauen zu meiden. Es bildeten sich „Geschlechterfronten“ mit gegenseitigen Schuldzuweisungen ((Symbolisch dafür war die nach Geschlechtern getrennte Sitzordnung bei der Sendung „Menschen bei Maischberger“ mit dem Thema: Die Sexismusdebatte: Was hat sie gebracht vom 16.04.2013.)) , von denen auch Antifeminist_innen profitierten: Antifeministische Strategien wie z.B. die Relativierung der Diskriminierung (und sexuellen Belästigung) von Frauen wurden in der „Debatte“ rezipiert und trugen so zu ihrer medialen Verbreitung bei und die Antifeministin Monika Ebeling erhielt bei „Anne Will“ eine Plattform, um Sexismus gegen Frauen zu relativieren und der Frauenbewegung ihre Erfolge abzuerkennen.
Im Resultat etablierte sich eine „Ratgeberkultur“ zum richtigen Umgang mit sexueller Belästigung (und ihrer ‚Vorbeugung’). Ein „Büro-Knigge für Frauen“ riet „wenig Parfum, keine Highheels, ein Rock eine handbreit über dem Knie zu tragen“ und einen Absacker an der Bar auf der Geschäftsreise zu vermeiden, denn „die meisten Männer reagieren in alkoholisiertem Zustand beherzt, wenn sie meinen eindeutige Signale zu empfangen“ (Focus 4.2.2013). Geschlechterstereotype wurden so reproduziert statt hinterfragt: Die Frau als Sexobjekt, der triebgesteuerte Mann, der darauf reagiert – teilweise entsprechend bebildert mit einer Männerhand an einem weiblichen Po im Rock. Vor allem aber führte die weitgehend heteronormativ und einseitig geführte „Debatte“ dazu, dass viele Perspektiven wie z.B. die Diskriminierung von trans- und intersexuellen Menschen, Migrantinnen, schwangeren Jugendlichen, nahezu unsichtbar blieben.
Was bleibt ist eine abflachende „Sexismusdebatte“, die zum zahnlosen Tiger zu werden droht, wenn sie nicht genutzt wird, um eine grundlegendere Kritik an der vorherrschenden Geschlechterkultur zu entwickeln.
Doch noch ist das Gelegenheitsfenster für eine wirkliche Debatte aus meiner Sicht offen. D.h. es können und sollten kritische Diskussionen und Stimmen eingebracht werden, die sich mit Sexismus, Geschlechternormen und den damit verbunden Strukturen und Machtverhältnissen auseinandersetzen, die Menschen auf unterschiedliche Weise in ihrer Selbstbestimmung einschränken. Dabei kann es um Fragen gehen, wie strukturelle Aspekte, z.B. Ehegattensplitting, vorhandene Geschlechternormen fördern und umgekehrt. Oder: Wie soll männliches Dominanzverhalten aufgebrochen werden, wenn Männer sich mit „Weicheidebatten“ ((2012 kam ein medialer Diskurs über die ‚Verweichlichung’ von Männern auf.)) konfrontiert sehen? Und schließlich: wo verschränkt sich Sexismus mit anderen Diskriminierungsmerkmalen wie Alter, Gesundheit, Herkunft? So könnte ein (neuer) Aufbruch Richtung Sexismusdebatte gelingen.
* Die Anführungszeichen sollen deutlich machen dass es aus meiner Sicht bisher keine Debatte gab.