Das Geschlechterregime

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Eine Rezension von Gabriel Kuhn.

Stefan Paulus
Das Geschlechterregime
Eine intersektionale Dispositivanalyse von Work-Life-Balance-Maßnahmen

Bielefeld 2012: transcript
469 Seiten, 36,80 €

In der Gender-Studies-Reihe des trancript-Verlages liegt nun die Dissertation des Soziologen Stefan Paulus vor. Das beinahe 500-Seiten schwere Werk mit dem Titel Das Geschlechterregime. Eine intersektionale Dispositivanalyse von Work-Life-Balance-Maßnahmen ist im Rahmen der Arbeitsgruppe „Arbeit-Gender-Technik“ an der Technischen Universität Hamburg-Harburg entstanden.

Paulus verortet die Geschlechterregimeforschung in der „Auseinandersetzung um eine Verschränkung verschiedener geschlechterzentrierter Analysedimensionen“, die sich „in unterschiedlichen wissenschaftlichen Disziplinen wie der vergleichenden Wohlfahrtsstaatenforschung, der feministischen Politikwissenschaft sowie in poststrukturalistischen oder postmarxistischen Geisteswissenschaften“ bewegt (25). Selbst bezieht er den Begriff unter anderem auf „den Prozess der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung innerhalb der kapitalistischen Gesellschaftsformation“, auf „Ideologien und Diskurse über die soziale Positionierung von Geschlechtern“ sowie „auf die geschlechtsspezifischen Subjektivierungsweisen und selbstregulativen Praxen und Handlungsmöglichkeiten der Geschlechter“. (46)

Zur Untersuchung des Geschlechterregimes stützt sich Paulus vor allem auf eine Dispositivanalyse, die sich an den von Siegfried Jäger in dem Aufsatz „Diskurs und Wissen. Theoretische und methodische Aspekte einer kritischen Diskurs- und Dispositivanalyse“ entwickelten Ansätzen orientiert. Auf das Geschlechterregime angewandt, bedeutet dies für den Autor: „Auf der Strukturebene wird die Rekonstruktion von historisch-spezifischen Machtformationen und deren Elementen und Maßnahmen dargestellt, welche wiederum zu einem historisch-spezifischen Geschlechterregime führen. Auf der Symbolebene werden Diskurse analysiert, welche ein historisch-konkretes Geschlechterregime formieren. Auf der Subjektebene wird die Artikulation von Subjektivierungsweisen herausgestellt, welche zu den Materialisierungen des historisch-konkreten Geschlechterregimes beitragen.“ (177)

Der womöglich stärkste Aspekt von Paulus‘ Arbeit liegt in der Verbindung der theoretischen Reflexionen mit einer empirischen Analyse sogenannter Work-Life-Balance-Konzepte, die seit einigen Jahren für den Versuch stehen, Arbeit und Privatleben in Harmonie zu bringen. Paulus unterzieht dabei nicht nur wirtschaftspolitische Dokumente einer kritischen Lektüre, sondern bedient sich auch einer Reihe problemzentrierter Interviews. Work-Life-Balance-Konzepte sieht er vor allem als „Teil des Netzwerkes des historisch-konkreten Geschlechterregimes“ (174), dessen wesentliche Bedeutung im Versprechen einer „Homöostase der Produktion und Reproduktion“ (178) im Zeitalter des Postfordismus liegt.

Der symbolischen Dimension der Work-Life-Balance-Konzepte nähert sich Paulus mithilfe der Kritischen Diskursanalyse, wobei er zu dem Schluss gelangt, dass sich der „Work-Life-Balance-Diskurs“ als „Seelen-“ bzw. „Menschenführungskunst“ verstehen lässt bzw. als „Mittel, die Meinungen anderer Menschen in die vermeintlich richtige Richtung zu führen“ (305). Die vom Bundesministerium für Familie, Senioren, Frauen und Jugend im Jahr 2005 herausgegebene Broschüre „Work-Life-Balance. Motor für wirtschaftliches Wachstum und gesellschaftliche Stabilität“ begreift Paulus „eher als Teil einer inhaltlich-ideologischen Darstellung der politischen Ökonomie in Deutschland denn als unabhängige wissenschaftliche Forschung“; die Broschüre habe das Ziel, die „Work-Life-Balance-Maßnahmen so darzustellen, dass von dem Nutzen der Work-Life-Balance-Konzepte überzeugt wird“ (306).

Paulus‘ Arbeit unterstreicht die Nützlichkeit von Diskurs- und Dispositivanalysen im Entlarven und Verstehen und damit auch Hinterfragen und Herausfordern von Herrschaftsstrukturen. Sie ist ein gelungenes Beispiel für engagierte sozialwissenschaftliche Forschung und allen an der Thematik Interessierten zu empfehlen.