(ungehaltene) Rede zum Ostermarsch 2023

  • Lesedauer:7 min Lesezeit

Von Helmut Loeven

Die Friedensbewegung, deren jährliches Hochamt der Ostermarsch ist, ist in keiner guten Verfassung. Die Frage scheint berechtigt: Wird es diese Friedensbewegung, die in den 50er Jahren gegen die Wiederbewaffnung kämpfte und in den 80er Jahren gegen Raketenstationierung stritt, in 5 Jahren noch geben?

Ihr drohen Gefahren. Schlimme Gefahren sind solche, die man nicht bemerkt. Besonders schlimme Gefahren sind solche, die man nicht bemerken will.

Dabei liegt es doch auf der Hand: Die deutsche Friedensbewegung, die traditionell eine Domäne der Linken ist, wird massiv angegriffen von rechts. Namentlich Elsässers Massenmedium „Compact“ propagiert die „Querfront“. In der „Querfront“ sollen Linke und Rechte miteinander gemeinsame Sache machen. Gefolgsleute der Rechten mischen sich unter linke Demonstranten.

Wie reagiert die Linke darauf? Sie reagiert darauf so, als wäre sie nicht ganz bei Verstand. Entweder wird das Eindringen von rechts schlicht geleugnet, oder bagatellisiert – etwa nach dem Motto: Warum so viel Aufhebens, wenn unter die (angeblich) 50.000 gerade mal hundert Rechte gekommen sind?

Jedoch von einigen wird das Eindringen von Rechten als gewünscht dargestellt, als Erfolg ausgegeben. Motto: Endlich haben wir es geschafft, eine breite Front aufzubauen. Das kommt nicht von ungefähr. Seit je lebt die Linke in dem Glauben, mit vielen viel erreichen zu können, und breit aufgestellt würde man viele gewinnen. Statt nach Klarheit wird nach Mehrheit gesucht, und dabei ist man nicht wählerisch.

Mit ihrem Glauben an die breite Mehrheit kommt die Linke den Plänen der Rechten entgegen. Zudem hat die Ex-Linke Sahra Wagenknecht nach der Methode Biedermann und die Brandstifter mit ihrer Demagogie gegen Minderheiten und gegen emanzipatorische Identitätspolitik rechten Demagogen den Weg geebnet.

Es ist nicht etwa so, dass die Rechten den Linken einen „historischen Kompromiss“ anbieten wollen. Ihr Ziel ist, die Linke zu desorientieren, zu paralysieren, zu diskreditieren und zu enteignen. Dabei gehen sie zielstrebig und gekonnt vor, um ihre „Querfront“ im Wörterbuch der aktuellen Politik unterzubringen und einen „Nationalpazifismus“ zu propagieren. Realitätsverlust und Unwissenheit der Linken kommt den Rechten zugute.

Querfront bedeutet: Die Rechten wissen, was sie tun.
Die Linken wissen nicht, wie ihnen geschieht.

Kürzlich hörte ich jemanden sagen, Faschismus sei „die terroristische Diktatur der am meisten nationalistischen, am meisten chauvinistischen, am meisten reaktionären Kräfte des Finanzkapitals“. Das hat man oft gehört – die Dimitroff-Formel. Die Sache hat nur einen Haken: Das hat Dimitroff nie gesagt. Er hat gesagt, der Faschismus an der Macht sei die terroristische Diktatur … und so weiter.

Der Faschismus ist allgegenwärtig. Es gibt ihn in jedem Land, er existierte in Deutschland schon vor 1933 und er existiert hier auch nach 1945. Faschismus nur als bürgerliche Herrschaftsform darzustellen heißt, seine potentielle Gefahr zu ignorieren und sich davon zu dispensieren, dem alltäglichen Faschismus entgegenzutreten.

Ein weiterer Irrtum im linken Kreisen und fast noch verheerender ist die Auffassung, Faschismus sei so eine Art fehlgeleiteter sozialer Protest. Das ist der Irrglaube, jede Unzufriedenheit – wo und womit auch immer „in die richtigen Bahnen lenken“ zu können, und man dürfe die Unzufriedenen doch nicht „den Rechten überlassen“ – sagen die, die die gesamte Friedensbewegung den Rechten überlassen, die dann wiederum sagen, man dürfe den Frieden doch nicht den Linken überlassen.

Links“ heißt gewissermaßen: Appell an höhere Ideale. „Rechts“ heißt: Appell an niedere Instinkte. Das passt nicht zusammen.

In einer modernen und aufgeklärten Betrachtung des Faschismus muss der Begriff des autoritär fixierten Zwangscharakters eine Rolle spielen. Politische Ökonomie ist gut und richtig, aber Psychologie muss auch eine Rolle spielen. Dimitroff ist gut und wichtig. Aber man muss auch zu Adorno greifen.

Wird es diese Friedensbewegung in 5 Jahren noch geben?

Vielleicht gibt es sie jetzt schon nicht mehr. Vielleicht hat ihr vor 10 Jahren der rechte Angriff durch die „Friedensmahnwachen“ und den „Friedenswinter“ den Garaus gemacht, und sie hat es nur noch nicht gemerkt.

Helmut Loeven nimmt seit 1967 am Ostermarsch teil und hat diesen bis in die 1980er Jahre in Duisburg mitorgansiert. Er ist Buchautor und Herausgeber der satirischen Zeitung „Der Metzger“. Seine Bücher genauso wie die Edition DISS verkauft er in seinem Buchladen „Weltbühne“ in der Gneisenaustraße 226 in Duisburg.

Dieser Beitrag stammt aus dem DISS-Journal#45 (Juni 2023). Die vollständige Ausgabe als PDF finden Sie hier.