Dobrindt, die Achtundsechziger

  • Lesedauer:13 min Lesezeit

…. und die neue „konservative Revolution“
Von Helmut Kellershohn, erschienen in DISS-Journal 35/2018

Einen „kühlen Haudrauf“ nennt die FAZ den Landesgruppenchef der CSU im Bundestag Alexander Dobrindt. Der Seehofer-Vertraute wurde Anfang Juni vorgeschickt, um als Erster von „Zurückweisungen“ an der Grenze zu sprechen. Die Regierungskrise, die er damit einleitete, wurde aber schon Anfang des Jahres durch einen Zeitungsartikel Dobrindts in der Welt intoniert. Dieser Beitrag schaut sich den Artikel etwas näher an.

Als 1994 Wolfgang Schäubles Und der Zukunft zugewandt erschien, schrieb der Publizist Warnfried Dettling eine bemerkenswerte Würdigung des Buches: Schäuble „will so etwas wie eine neue
konservative Revolution in Deutschland. Mit alten Werten in eine moderne Zukunft. Diesen konservativen Anspruch hat es in Deutschland nach dem Zweiten Weltkrieg nicht mehr gegeben. Politisch, publizistisch und philosophisch hat er sich, von […] Ausnahmen abgesehen, an die Ränder
oder in die Krähwinkel zurückgezogen. Schäuble holt sie zurück zu seiner, wie er es wohl versteht, neuen Mehrheit rechts von der Mitte.“ (Dettling 1994, 154f.) In der Tat profilierte sich Schäuble damals als der neue Vordenker der Unionsparteien. Es war auch notwendig, wollte er doch langfristig Helmut Kohl als Kanzler beerben. Und dazu musste er sich ‚hellsichtig’ auf die Probleme und Tendenzen der Zeit beziehen. Es galt die Anforderungen der ‚Wiedervereinigung’ konzeptionell aufzuarbeiten, daher das Zitat aus der Staatshymne der ehemaligen DDR im Titel seines Buches; und es galt, die damalige ideologische Offensive der Neuen Rechten aufzufangen und die Renaissance nationalistischer Denkfiguren zu reintegrieren, um den Führungsanspruch der Unionsparteien zu untermauern. Denn
seit Beginn des Jahres 1994 war das Zentralorgan der jungkonservativen Neuen Rechten, die Junge Freiheit, als Wochenblatt auf dem Markt; und ebenfalls 1994 erschien im Ullstein-Verlag, damals unter
der Verantwortung des nationalliberalen Rainer Zitelmann, der programmatische Band Die selbstbewusste Nation, herausgegeben von Heimo Schwilk und Ulrich Schacht. Also Grund genug für eine eigene Programmschrift aus dem Hause Schäuble. Es verwundert nicht, darauf spielte Dettling mit seiner Bemerkung an, dass Schäuble (bzw. seine Ghostwriter) sich ausgiebig der Schriften besonders der
jüngeren Generation der Konservativen Revolution bediente, die seit den Gründungstagen der Bundesrepublik versucht hatten, das politische Klima der Republik mitzubestimmen. Ernst Forsthoff und Arnold Gehlen waren hauptsächlich die Ideenspender für Schäubles Ausführungen.

Abrechnung mit ’68

Vierundzwanzig Jahre später, im Januar 2018, greift Alexander Dobrindt zur Feder und veröffentlicht in der Welt einen Essay Für eine bürgerliche Wende. Ein seltsamer Titel, heißt es doch direkt zu
Beginn: „Deutschland ist ein bürgerliches Land. Die Mehrheit der Menschen in unserem Land lebt und denkt bürgerlich.“ Warum also eine Wende, wenn es nur eine Minderheit gibt, die nicht bürgerlich denkt? Und sind die damit gemeinten Menschen keine Bürger? Gibt es Bürger, die nicht bürgerlich denken? Was meint Dobrindt überhaupt mit „bürgerlich“? Die LeserInnen werden zu solch kleinlichen
Fragen im Unklaren gelassen. Aber man ahnt, worauf Dobrindt hinauswill. „Der Ursprung [aller Probleme; d.Vf.] liegt vor genau 50 Jahren im Jahr 1968.“ Denn: „Damals haben linke Aktivisten und Denker den Marsch durch die Institutionen ausgerufen und sich schon bald Schlüsselpositionen
gesichert in Kunst, Kultur,Medien und Politik.“ Seitdem, so Dobrindt,„dominiert in vielen Debatten eine
linke Meinungsvorherrschaft eine dieses Schauspiel ertragende bürgerliche Mehrheit.“ Merkwürdig! Seit 50 Jahren lässt sich eine „bürgerliche Mehrheit“ in einem bürgerlichen Land von einer linken, nichtbürgerlichen Minderheit, von den Erben einer damals linken „Elitenbewegung“ bevormunden! So als ob es niemals sechzehn Jahre Helmut Kohl und niemals eine Bundeskanzlerin Angela Merkel gegeben hätte. Wie kann dies sein angesichts einer „linken Revolution der (sic!) Eliten“, die 1968 angeblich stattgefunden haben soll? Ist Dobrindt ein vir obscurus?

Leider nicht. Derartige logische Widersprüche und sachliche Ungereimtheiten sind vielmehr unumgänglich, will man, wie Dobrindt, eine spezielle Botschaft an das Publikum übermitteln, die mit ihrer populistischen ‚Verpackung‘ an das Vorbild der AfD anschließt und nach folgendem Muster aufgebaut ist:

(1.) Delegitimierung: Die 68er waren keine Repräsentanten des von Populisten so hochgeschätzten Volkes. Sie waren „Meinungsverkünder“, „selbst ernannte Volkserzieher“, aber keine „Bürger-,
Arbeiter- und Volksbewegung“. Sie waren Intellektuelle aus „Hörsälen und Redaktionsräumen“, kamen nicht aus „Reihenhäusern und Fabriken“, sie waren zwar „nahe (!) an der Macht, aber sie blieben weit weg von den Menschen“, gewissermaßen eine abgehobene Kaste. Helmut Schelsky sprach 1975 von der
Priesterherrschaft der Intellektuellen, die die Arbeit anderen überließen. Unlängst mokierte sich Welt-Chefredakteur Ulf Poschardt schadenfroh über die „linke Bourgeoisie“ (Die Welt v. 30.05.18), die die
Arbeiter verloren hätten.

(2.) Feinderklärung: Die 68er waren aber nicht nur nicht das, wofür sie sich ausgaben, sondern sie (und ihre Erben im Geiste) verfolgten bzw. verfolgen ihre Ziele in einem quasi-totalitären Modus. Getragen von einem „unverrückbaren Glauben an die eigene moralische Überlegenheit“ haben sie einen „ideologische[n] Feldzug gegen das Bürgertum“ gestartet, „mit dem Ziel der Umerziehung der bürgerlichen Mitte“. Ihr Kampf um „Gleichberechtigung, Meinungsfreiheit und Toleranz“, so der „Eindruck“ (!) vieler Menschen, war bzw. ist nur vorgeschoben, in Wirklichkeit ging und geht es ihnen
nur darum, dass „nur eine Meinung“ obsiegt, nämlich „ihre eigene“.

(3) Alternative: Gegen diese Anmaßung gibt es nur eine Alternative, nicht die AfD, sondern: die CSU! Für Dobrindt war und ist sie – von Beginn an – ein „kraftvolles Bindeglied aller gesellschaftlichen Gruppen“, „die erste Volkspartei der jungen Bundesrepublik“ und heute noch „die erkennbare Volkspartei Deutschlands“ mit dem Anspruch der alleinigen Repräsentanz des „demokratischen Spektrums Mitte-rechts“.

Damit schließt sich der Kreis der populistischen Argumentation. Gegen die inkriminierten Usurpatoren der Macht von links – zumindest auf dem Feld der „Meinungsvorherrschaft“ – geriert sich die in Bayern mit absoluter Mehrheit regierende CSU treuherzig als das legitime Sprachrohr des Volkes und der Bürger. „Linke Ideologien, sozialdemokratischer Etatismus und grüner Verbotismus“ hätten „ihre Zeit“ gehabt, jetzt formiere sich angesichts des „neue[n] Islamismus“ eine „neue Bürgerlichkeit“. Emphatisch heißt es: „Auf die linke Revolution der Eliten folgt eine konservative Revolution der Bürger. Wir  unterstützen diese Revolution und sind ihre Stimme in der Politik.“

Die konservative Revolution der Bürger

Was bezweckt Dobrindt mit der Rede von der „konservative[n] Revolution der Bürger“? – Wer heute von konservativer Revolution spricht, meint wie deren Protagonisten in den 1920er Jahren eine  innenpolitische Konstellation, in der es notwendig sei, das Feld des Politischen mit einer klaren Freund-Feind-Bestimmung zu sortieren. Carl Schmitt sprach von einer „innerstaatlichen Feinderklärung“,
ohne die das Politische nun mal nicht auskommen könne. Nach Lage der Dinge war dies damals die Linke in ihren unterschiedlichen Schattierungen. Dobrindt hält sich an diese Vorlage, ganz im Geiste
des Übervaters der CSU, Franz Josef Strauß, der 1976 mit der Parole „Freiheit oder Sozialismus“ in den Wahlkampf zog. Pfiffigerweise beruft er sich aber auf die Formierungen einer (angeblich) „neuen Bürgerlichkeit“, um klammheimlich die Manifestationen des „Wutbürgertums“ á la Pegida als  egitimationsgrundlage für die Ausrichtung der CSU-Politik zu nehmen. Diesen Manifestationen dann das Etikett konservativ-revolutionär ‚aufzukleben‘, um es sich selbst anzueignen, signalisiert zugleich den Willen, der AfD nicht das Feld zu überlassen, sondern deren Ideologiehaushalt, der bekanntlich in
erheblichem Maße durch die Neue Rechte geprägt wird, rhetorisch wie z.T. auch inhaltlich für sich zu reklamieren. Genau hierin ist die Parallele zu Wolfgang Schäubles Programmschrift von 1994 zu sehen. Die alte Devise, es dürfe keine (nennenswerte) Partei oder Parteibildung rechts von der Union geben, bildet wie damals das entscheidende Motiv. Dass dazu gezwungermaßen Programmelemente der AfD in
die eigene Agenda kopiert werden müssen, liegt auf der Hand. Dobrindts jüngste Attacke gegen die „aggressive Anti-Abschiebe-Industrie“ bestätigt dies.

Wertkulturpolitik, Marktwirtschaft und starker Staat

Anschließend an Dobrindts ideologiepolitische Aufladung der von ihm geforderten „bürgerliche Wende“ stehen im zweiten Teil seiner Ausführungen deren nähere inhaltliche Bestimmungen, die im Folgenden vorgestellt werden sollen. Die Bezüge zum AfD-Programm (vgl. Kellershohn 2016) sind nicht zu übersehen, dies nicht zuletzt auch deshalb, weil sowohl Dobrindts Ausführungen als auch die
sicherlich radikaleren Forderungen ((Zu denken wäre hier etwa an die Haltung der AfD zur EU und zum Euro, zum Islam (als Hauptfeind) oder an die explizit völkischen Elemente im AfD-Programm.)) im AfD-Programm einen gemeinsamen Bezugspunkt in der neokonservativen Agenda der 1980/90er Jahre aufweisen (vgl. Kellershohn 1997). Es wäre einer eigenen Untersuchung wert, wie insbesondere Schäubles Programmschrift argumentativ in beiden Texten aufgegriffen wird. Doch nun zu Dobrindt.

Dobrindt aktualisiert erstens das gemischte Wertangebot des Neokonservatismus, das die klassisch-liberalen Wertorientierungen und Tugendhaltungen des homo oeconomicus mit restaurativ konservativen Werten zu verbinden sucht. Zweitens reformuliert er die Aufgaben ordoliberaler Wirtschaftspolitik unter den Bedingungen der Digitalisierung und drittens umreißt er die Aufgaben des
„starken Staates“ (autoritärer Etatismus). Auffallend sind dabei immer die Abgrenzungen gegenüber der Linken im Sinne seiner Feindbestimmung und dort, wo es ihm angebracht erscheint, die Abgrenzung
gegenüber dem Islam.

1. Wertkulturpolitik

Im Wesentlichen handelt es sich um drei Komponenten. Gegen den „bevormundenden“ Staat – Resultat „links-grüner Ideologien“ – stellt Dobrindt zunächst den eigenverantwortlichen, leistungsbereiten, freien Bürger in den Mittelpunkt: „Wer leistet, muss mehr haben als der, der nicht leistet. Wer nicht leisten will, muss dafür eigenverantwortlich geradestehen.“ Kompensatorisch werden dem vereinzelten
Einzelnen zweitens die traditionell konservativen Wertorientierungen angeboten: zunächst auf die Familie als „Herzenssache und Wiege der Gemeinschaft“ (Linke dagegen „wollen diese Welt tendenziell
ideologisch in Gender-Welten umdefinieren, kollektivieren und Staatsinstitutionen familiäre Kompetenzen zuweisen.“); sodann auf die Nation, auf „Heimat und Vaterland“ als „Wurzeln unserer Identität“ und auf das „Nationalgefühl“ als verbindendem Element „alle[r] Gruppen unserer Gesellschaft“. Konservative seien aber keine Nationalisten, sondern „Patrioten ihrer Heimat. Wir lieben unser Vaterland und achten die Vaterländer der anderen.“ ((Auf Gottfried Kellers „Achte jedes Mannes Vaterland, aber das deinige liebe!“ (Das Fähnlein der sieben Aufrechten) griff auch gerne der ehemalige Republikaner-Vorsitzende Franz Schönhuber zurück: „Andere Völker achten wir, unser Vaterland Deutschland lieben wir.“)) Linke dagegen versuchten seit 1968, „den Patriotismus als etwas Böses“ und Heimat „als einen angeblich reaktionären Ort der Engstirnigkeit“ zu diffamieren. Die dritte Komponente enthält die Besinnung auf den christlichen Wertehorizont, die zwar die Säkularisierung der westlichen Welt für unhintergehbar hält, dennoch aber eine „minima religiosa“ (Eberhard Jüngel) christlicher  Observanz als Bestandteil der Staatsideologie und Staatssymbolik für notwendig hält. In diesem
Sinne ist die Rede von der „christlich-abendländischen Leitkultur“, die den „Grundkonsens unseres Zusammenlebens“ bilde. „Das muss jeder akzeptieren, der in Deutschland wohnt“, womit zugleich ausgesprochen ist, dass auch Muslime sich in der Öffentlichkeit daran zu orientieren haben. „Wer dazu nicht bereit ist“ – und z.B. die Kreuzanbringung in Gerichtssälen und Amtsstuben nicht akzeptieren will –, der „kann gehen.“ Auch in Bezug auf Europa wird die „Wertegemeinschaft des Abendlands“ auf die
„christlich-jüdische Glaubenstradition“ zurückgeführt, die zusammen mit „Demokratie, Menschenrecht, Freiheit, Recht“ die „Identität Europas“ ausmache. Dies impliziere, darauf legt Dobrindt besonderen
Wert, wirksame Grenzziehungen, etwa in Hinblick auf Zuwanderung.

2. Ordoliberale Wirtschaftspolitik

Dobrindt fordert „einen wirtschaftlichen Wohlstandsaufbruch in die Gigabitgesellschaft“ und knüpft damit einerseits an das Strauß‘sche Diktum an, dass konservativ sein bedeute, an der Spitze des technischen Fortschritts zu marschieren, und das natürlich im Weltmaßstab: „Wer nicht komplett digitalisiert, der verliert.“ Eine „digitale Gründerzeit“ sei daher unumgänglich. Andererseits wird betont,
dass sich der technische Fortschritt in den Bahnen der sozialen Marktwirtschaft á la Ludwig Erhard entfalten müsse. Eine Stärkung des Privateigentums, insbesondere für den „wirtschaftlichen Mittelstand“, sei angesagt. Die „soziale Marktwirtschaft“ dürfe „nicht leiden durch einen expansiven Staat oder übermächtige Konzerne“ und erst recht nicht unter den linken Ideen eines „Kollektivund
Staatseigentum[s]“. Deutschland sei „heute eine der pulsierendsten Volkswirtschaften der Welt“ und müsse das bleiben.

3. Autoritärer Etatismus

Für Dobrindt gilt die alte, von Ernst Forsthoff stammende Unterscheidung von „zuviel“ und „zuwenig“ Staat, auf die sich schon Wolfgang Schäuble 1994 bezog: „Wir haben zuviel Staat in der durch ein
problematisches Gleichheitsstreben und fachmännischen Perfektionsdrang ausgeweiteten Gesetzgebung und Verwaltung. Wir haben zuwenig Staat in allem, was die Behauptung unserer äußeren und inneren
Sicherheit und Ordnung betrifft, wir haben zuwenig Staatsgesinnung. Wir haben deshalb
zuviel und zuwenig Staat – jeweils an der falschen Stelle.“ (Forsthoff 1964, 77)

Auf der einen Seite soll folglich der Staat ‚verschlankt‘ oder zumindest vor weiterer Expansion bewahrt bleiben. Der Sozialstaat wird wie in der Agenda 2010 nicht als welfare-state, sondern primär als workfare-state verstanden: „Wer nicht leisten kann, den wollen wir unterstützen – und ihn ertüchtigen, wieder Leistungen erbringen zu können.“ In wirtschaftspolitischer Hinsicht soll der Staat im ordoliberalen Sinne „die notwendigen Rahmenbedingungen“ für den „wirtschaftlichen  Wohlstandsaufbruch“ setzen, daneben für „faire Bildungschancen sorgen, Arbeitnehmerrechte schützen,
für Teilhabe und sozialen Ausgleich sorgen“. Letzteres aber nicht im Sinne einer „staatlich verordneten Verteilungsgleichheit“, sondern nach Maßgabe von „Leistungsgerechtigkeit und Chancengerechtigkeit“.
Grundsätzlich sei „Maßhalten“ (Austerität) die oberste Devise. „Ungehemmte Staatsschulden und  Geldmengenausweitungen“ werden abgelehnt, die EZB-Politik wird entsprechend kritisiert.

Auf der anderen Seite will Dobrindt den „starken Staat, der die Freiheit der Bürger schützt“ – vor Kriminalität aller Art. Ein „durchsetzungsfähiger Rechtsstaat“ müsse mit all seinen Sicherheitskräften
gegen „Rechtsextreme, die gegen Ausländer hetzen, linksextreme Hausbesetzer und Steineschmeißer, islamistische Terroristen oder osteuropäische Einbrecherbanden“ vorgehen können. Dafür stehe die CSU, sie sei „an der Seite unserer Polizisten und Sicherheitskräfte“ und verstehe sich als „die Partei
von Recht und Gesetz“ ((Zum neuen Polizeiaufgabengesetz schreibt Heribert Prantl in einem Kommentar: „Das Gesetz […] gibt der Polizei Befugnisse, wie sie bisher der Geheimdienst hat. Es gibt ihr Waffen, wie sie das Militär hat. Es gibt Eingriffs- und Zugriffsrechte, wie sie in einem Rechtsstaat nur Staatsanwälte und Richter haben dürfen. Das neue Polizeigesetz macht aus der Polizei eine Darf-fast-alles Behörde.“ (SZ v.  14.05.2018) )). Schließlich sei „Bayern […] das sicherste Land Deutschlands“.

Fazit

Soweit also Dobrindts Politikmix. Freiheit (des Privateigentümers), Familie, Heimat und Vaterland, christliches Abendland, soziale (in Grenzen) Marktwirtschaft, technischer Fortschritt  (Gigabitgesellschaft), Mittelstandsorientierung, schlanker/starker Staat sind die begrifflichen
Eckpunkte des Programms. Nach links treten, die ‚Mitte‘ ansprechen und nach rechts (AfD) soweit wie möglich integrieren – das ist die Devise. Eckart Loose und Markus Wehner beschreiben diese Strategie
der „bürgerlichen Wende“ wie folgt: „Die Union müsse neben der Mitte auch die demokratische Rechte ansprechen und klarmachen, dass die Menschen, die so denken, ‚ihre politische Heimat bei uns
haben‘. Dobrindt will, wie man in der Fußballersprache sagen würde, die Räume für die AfD eng machen. Wenn die Union selbst wieder das rechte Spielfeld besetzt, dann bleibt der AfD nur das Ausweichen auf den äußersten rechten Flügel – bis sie dann über die Auslinie hinausläuft und das Spielfeld ganz verlassen muss.“ (FAZ v. 05.06.2018, 3)

Literatur

Dettling, Warnfried 1994: Das Erbe Kohls. Bilanz einer Ära, Frankfurt a. Main.
Forsthoff, Ernst 1964: Haben wir zuviel oder zuwenig Staat? [1955], in: ders.: Rechtsstaat im Wandel. Verfassungsrechtliche Abhandlungen 1950-1964, Stuttgart, S. 63-77.
Kellershohn, Helmut 1997: Freier Markt, nationale Gemeinschaft, starker Staat. Die Botschaft des Neokonservatismus, in: Disselnkötter, Andreas u.a. (Hg.): Evidenzen im Fluß. Demokratieverluste in
Deutschland, Duisburg, S. 18-41.
Kellershohn, Helmut 2016: Nationaler Wettbewerbsstaat auf völkischer Basis. Das ideologische Grundgerüst des AfD-Grundsatzprogramms, in: ders./ Kastrup, Wolfgang (Hg.): Kulturkampf von
rechts. AfD, Pegida und die Neue Rechte,  Münster S. 14-28.