…. innerhalb der AfD und der Neuen Rechten
Von Helmut Kellershohn, erschienen in DISS-Journal 35 (2018)
Der Einzug der AfD in die Länderparlamente und den Bundestag wirft die Frage auf, inwieweit die AfD über die Bedienung ihrer Schlüsselthemen hinaus über Konzepte zur Wirtschafts- und Sozialpolitik verfügt, die den Rahmen einer neo(national)liberalen Politik sprengen.
Neo(national)liberal meint die Koppelung eines im Kern marktwirtschaftlichen Ansatzes mit Forderungen nach einer Renationalisierung der deutschen Wirtschaft. Allenfalls die Bejahung des Mindestlohns im Grundsatzprogramm 2016 lässt Abweichungen erkennen, die dann im Wahlprogramm 2017 mit der Einführung weiterer sozialpolitischer Forderungen (häufig in Verbindung mit Angriffen auf
die Flüchtlings- und Migrationspolitik und deren Kosten) in bescheidenem Maße erweitert werden. Ansonsten beruht die wirtschafts- und finanzpolitische Programmatik der AfD auf einer Radikalisierung
der bundesrepublikanischen Austeritätspolitik, sie betont die tragende Rolle mittelständischer Unternehmen für die deutsche Wirtschaft, während eine pronatalistische Familienpolitik weitgehend
den Platz einnimmt, der in Parteiprogrammen anderer Parteien einer umfassenden sozialpolitischen Programmatik vorbehalten wäre.
Die Wahlerfolge der AfD bei Arbeitern und Arbeiterinnen sowie Arbeitslosen einerseits, die gewachsene Bedeutung des völkisch-nationalen „Flügels“ in der AfD andererseits haben freilich dazu geführt, dass sich in der AfD ein Richtungsstreit um die weitere Ausgestaltung der Wirtschafts- und Sozialpolitik entwickelt hat. Die vorsichtigen Veränderungen im Wahlprogramm (gegenüber dem Grundsatzprogramm) waren bereits ein erstes Anzeichen vorhandener gegensätzlicher Positionen innerhalb der AfD. Ende November 2017 verlangte Björn Höcke (trotz vorliegender Programme) eine
„Grundsatzdebatte über die Frage, was die AfD will“. Und in demselben Interview kritisierte er die „neoliberale Ideologie“ der Altparteien und forderte ein „klares Profil des solidarischen Patriotismus“,
womit er an die alte Formel Franz Schönhubers vom „Sozialpatriotismus“ anknüpfte. In einem Beitrag in der Monatszeitschrift Compact beruft sich Höcke auf die „Errungenschaften von 150 Jahren Arbeiterbewegung“, die die AfD „gegen die zerstörerischen Kräfte des Raubtierkapitalismus verteidigen“ müsse, wolle sie „eine wirkliche, authentische Volkspartei“, eine Partei der „kleinen Leute“ werden.
Die Konturen eines „solidarischen Patriotismus“ sind, jenseits seines demagogischen und populistischen Potenzials, noch relativ unbestimmt. Höcke selbst stellte Anfang Juni Grundzüge seines Rentenkonzepts vor: Demnach soll das Rentenniveau auf 50 Prozent ansteigen, Eltern sollen stärker von Kindern profitieren, ein Rentenaufschlag soll nur deutschen Staatsbürgern zu Gute kommen, also eine Art zusätzliche Exklusivrente, Kosten insgesamt rund 125 Mrd. pro Jahr. Den marktradikalen Kräften in der
AfD passt das nicht. Alice Weidel favorisiert ein Rentenmodell nach Schweizer Vorbild, mit kapitalgedeckten Zusatzversicherungen. Jörg Meuthen, der sein Konzept auf dem demnächst stattfindenden Bundesparteitag vorstellen will, warnt schon mal davor, „Sozialpolitik mit dem
Füllhorn“ zu betreiben.
Währenddessen debattieren die rechtsintellektuellen Kräfte aus dem Umfeld des Instituts für Staatspolitik (IfS), die sich bislang als Stichwortgeber des Höcke-„Flügels“ hervorgetan haben, noch
auf einer eher abstrakt-theoretischen Ebene, in welche Richtung sich die AfD in wirtschafts- und sozialpolitischer Hinsicht entwickeln könnte. So forderte etwa Götz Kubitschek, einer der Vordenker der
Neuen Rechten und der Identitären Bewegung, reichlich unvermittelt die „Befreiung des Staates [entlang] der Begriffe Verstaatlichung und Konkurrenzlosigkeit“. Der Staat müsse „die Grundversorgung in den Bereichen Verkehr, Bankwesen, Kommunikation, Bildung, Gesundheit, Energie, Wohnraum, Kultur und Sicherheit sicherstellen“. Die Aufgabe laute: „Verstaatlichung bei gleichzeitiger Verschlankung der Bürokratie.“ Eine heftige Kritik aus dem Lager der marktradikalen Neuen
Rechten um die Zeitschrift eigentümlich frei folgte auf dem Fuß.
Worin liegt die Bedeutung des Richtungsstreits innerhalb der AfD? In einem bemerkenswerten Beitrag in der FAZ (11.06.2018) haben Dirk Jörke und Oliver Nachtwey darauf hingewiesen, dass rechtspopulistische Parteien in Europa ein bestimmtes „Muster“ entwickelt haben, wie sie „Wählerkoalition und wirtschaftspolitische Aussagen aufeinander abstimmen“ können. Die Autoren sehen zwei Varianten. Die erste besteht darin, mittelständische (Klein-)Unternehmer und Globalisierungsverlierer in der unteren Mittelschicht und Arbeiterschaft anzusprechen und gleichzeitig den Ausschluss von Migranten und Migrantinnen von Sozialleistungen zu propagieren. Die zweite Variante besteht darin, in Wahlkämpfen andere Themen zu priorisieren, um „Menschen mit unterschiedlichen ökonomischen Interessen zu mobilisieren“: Abwehr von Migranten, Islamkritik,
Elitenschelte, Wertkulturpolitik.
Jörke und Nachtwey sehen hier in der Wählerschaft eine Aufnahmebereitschaft, die sie als „linksautoritär“ qualifizieren: Ein „nicht geringer Teil“ vertrete „in kulturellen Fragen autoritäre Werte“ und neige „mitunter zu Fremdenfeindlichkeit“, vertrete aber in wirtschaftspolitischer Hinsicht „klassisch
linke Positionen“. Diese Konstellation sei bisher im Parteienspektrum nicht repräsentiert gewesen: „Entweder vertraten die Parteien liberale Werte und eine linke Sozialpolitik“ (letztere sei in der Sozialdemokratie „gar nicht mehr so sicher“ vorhanden), „oder aber sie kombinierten ein konservativ-autoritäres Wertverständnis mit einer dezidiert neoliberalen ökonomischen Agenda“. Zusammenfassend
lautet die These von Jörke und Nachtwey: „Eine Kombination aus Autoritarismus und linker Wirtschaftspolitik scheint für viele Wähler attraktiv zu sein, vor allem für die Modernisierungsverlierer.“
Geht man von dieser These aus, wird man die Entwicklung in der AfD dahingehend beobachten müssen, inwieweit sich, wie in anderen rechtspopulistischen Parteien Europas, Elemente von Sozialprotektionismus und Sozialchauvinismus auf programmatischer und praktisch-politischer
Ebene etablieren werden und welche Kompromisslinien sich im Verhältnis zu marktradikalen Kräften in der AfD herauskristallisieren werden. Des Weiteren wird man sehen müssen, welchen Einfluss die Neue Rechte mit ihren verschiedenen Fraktionen (Institut für Staatspolitik, Junge Freiheit, eigentümlich frei) auf die innerparteiliche Debatte nehmen wird.