von Matthias Hogrefe, erschienen in DISS-Journal 35 (2018)
Im Zuge der seit Beginn des 21. Jahrhunderts aufkommenden Genderdebatte hat sich die konservative bis rechte Kritik vom dezidierten Antifeminismus hin zu einem Antigenderismus weiterentwickelt. Der folgende Beitrag untersucht die Verschränkung dieses Feindbildes mit antimuslimischen Diskursen.
Der Vorwurf an die Genderforschung oder auch generell an (Queer-)Feminist*innen lautet, diese wollten die Geschlechter „ganz abschaffen“ sowie die Familie „zerstören“ und ignorierten dabei die Regeln der Natur. Dagegen stellt die Rechte, im Verbund mit einem grundsätzlichen demographischen Pessimismus sowie der Ablehnung von „Masseneinwanderung“, die „traditionelle Familie“ – als heterosexuelle Ehe mit Kindern – in den „Mittelpunkt der Familienpolitik“ (so das AfD-Grundsatzprogramm). Konkret knüpft die AfD hierbei an die in der Gesellschaft weit verbreitete Ablehnung des Gender-Konzepts an. Die Unterstellung einer „natürlichen“ Lebensform stellt zugleich die Hauptschnittmenge zwischen Rechten (unterschiedlicher Provenienz) und christlichen Fundamentalist*innen dar, die gleichermaßen in der AfD eine politische und vor allem in der Jungen Freiheit eine mediale Repräsentation gefunden haben. Die damit verbundenen Positionen werden insbesondere vom Arbeitskreis Christen in der AfD sowie der Bundestagsabgeordneten Beatrix von Storch vertreten, die als eine der zentralen Figuren der Lebensschutzbewegung die Allianz rechter Politik mit reaktionären Kirchenkreisen verkörpert.
Rechte und christliche Fundamentalist*innen finden inhaltlich deshalb so gut zusammen, weil beide das Ziel des „Familien-“ bzw. „Lebensschutzes“ eint. An dieses Ziel konservativer Christ*innen knüpft die AfD an, indem sie den „Schutz“ der „traditionellen Familie“ als von der „Indoktrination“ durch „Gender Mainstreaming“ bedroht präsentiert und aus dieser Konstellation heraus zum Widerstand gegen jegliche Gefahren für die Zukunft des deutschen Volkes (vulgo: gegen den „Volkstod“) aufruft. Die inhaltlichen Ziele des „Lebensschutzes“ richten sich vor allem auf ein Verbot von Abtreibung und ähnlichen ‚unnatürlichen‘ Eingriffen auf dem Gebiet der Reproduktion. Zudem müsse die Familie als Fixpunkt – je nach Schwerpunkt – völkischer oder christlich-fundamentalistischer Ideologie vor ‚Bedrohungen‘ wie Scheidungen, nicht-heterosexueller Sexualität und weiblicher Emanzipation geschützt werden.
Der „Mystifizierung von Familien“ (Birgit Rommelspacher) kommt dabei eine doppelte Funktion zu: Einerseits wird das ‚eigene‘ Familienmodell idealisiert, zum anderen der Ausschluss ‚anderer‘ Lebensweisen legitimiert. Im politischen Nationalismus wird das Konzept der Familie auf eine gesamtgesellschaftliche Ebene gehoben und als Modell für den Staat genutzt. Die Nation gilt in diesem Rahmen als ‚natürliche‘ Erweiterung von Verwandtschaftsbeziehungen, die vor allem die Abwehr fremder ‚Völkerfamilien‘ oder Religionsgemeinschaften impliziert – im 21. Jahrhundert wird insbesondere der Islam als ein solches abzuwehrendes Element begriffen. Dem Antigenderismus kommt in diesem Zusammenhang besondere Bedeutung zu, da er breite Wirkung auch auf Menschen der sogenannten ‚bürgerlichen Mitte‘ entfalten kann, die ansonsten keine Affinität zu rechten Einstellungen besitzen. Familienbezogene Themen ermöglichen eine emotionale Ansprache über unterschiedliche Milieus hinaus und wirken sogar dort, wo keine Angst vor Islamisierung geäußert und rassistische Positionen sogar dezidiert zurückgewiesen werden.
Liberale westliche Werte als Kontrastfolie
Ein weiterer Anknüpfungspunkt an die ‚bürgerliche Mitte‘ über den christlichen Kontext hinaus sind antimuslimische Haltungen mit dezidiertem Bezug auf liberale gesellschaftliche Werte: Die problematische Menschenrechtslage in vielen mehrheitlich muslimischen Ländern sowie zahlreiche Berichte über konservative Muslim*innen in Europa legen es nahe, muslimische Präsenz beispielsweise aus feministischer, queerer und antisemitismuskritischer Perspektive zu problematisieren. Nicht alle Diskursbeiträge dieser Richtung berücksichtigen jedoch beispielsweise die Existenz feministischer oder gewaltfreier Stränge im innerislamischen Diskurs und schaffen es damit nicht, die Binarität zwischen ‚fortschrittlichem Innen‘ und ‚rückständigem Außen‘ zu durchbrechen.
Das Gleiche gilt im Kontext von Gewalt: Obwohl beispielsweise seit #metoo sexistische Übergriffe durch als ‚weiß‘ markierte Männer zum Gegenstand gesellschaftlicher Diskussionen wurden, werden sexuelle Übergriffe durch ‚nicht-weiße‘ Männer wie in der Kölner Silvesternacht zum Anlass genommen, über das vermeintliche Bedrohungspotential (angeblich) muslimischer Männer zu sprechen. Diese exklusive Verschränkung von Frauen- und Gewaltdiskursen einerseits mit dem Migrations- und dem Islamdiskurs andererseits trug und trägt wesentlich zur Etablierung von Rückständigkeits- und Bedrohungsdiskursen über Muslim*innen bei, was aus Sicht der extremen Rechten eine enorm wichtige inhaltliche Bestätigung darstellt.
Solche diskursiven Narrative weisen dabei einen augenfälligen Widerspruch auf: Einerseits werden Muslim*innen als weniger zivilisierte Andere konstruiert, andererseits lehnt die Rechte zentrale Punkte liberaler Werte selbst ab. Dieser Widerspruch kann durch die These aufgelöst werden, dass der Vorwurf weniger einer tatsächlichen Verteidigung der liberalen Wertordnung dienen soll, denn als taktisch angewandtes ‚Othering‘. Der Zugriff auf die ‚Anderen‘ erfolgt durch diskursives Wissen, ihre Muslimisierung wird so reproduziert. Die Nichtauseinandersetzung mit ‚eigenen‘ Männern verursacht andererseits genau das Gegenteil: Deren Verhalten wird nicht als strukturelles, höchstens als individuelles Problem wahrgenommen. Trotz aller ‚Einzelfälle‘ bleibt der ‚eigene‘ Mann also der zivilisierte, kontrollierte und aufgeklärte Mann, von dem keine Bedrohung ausgeht. Stattdessen wird das Problem auf den Muslim ausgelagert und damit bestehender Sexismus und männliche Privilegierung im konservativen westlichen Geschlechtermodell entlastet. Aus feministischer Sicht ist dies besorgniserregend, wenn nicht sogar kontraproduktiv. Dies gilt noch stärker für Beiträge, die solche Blickwinkel aus extrem rechter Perspektive bewusst für die eigene Agenda instrumentalisieren.
Die in anderen Kontexten propagierten antiemanzipatorischen und kollektivistischen Vorstellungen legen trotz vereinzelter feministischer Bezüge ebenfalls den Schluss nahe, dass es sich dabei um eine bloß taktische Referenz auf liberale und emanzipatorische Werte handelt, ungeachtet der strukturellen Mängel hinsichtlich des Status von Frauen und Homosexuellen in Deutschland – Inva Kuhn nennt dies zurecht „vorgeschobene Menschenrechtsdebatten“. Dabei geht es den Akteur*innen der Rechten weniger um die Möglichkeit pluraler Lebensmodelle von Frauen als vielmehr um ein möglichst breit anschlussfähiges Argument. Eine solche taktische Diskursbesetzung ohne eine tatsächliche inhaltliche Veränderung der grundsätzlichen politischen Positionen lässt sich insbesondere beim Begriff ‚Freiheit‘ feststellen, den selbst zu besetzen die Rechte zuletzt verstärkt versucht hat (z.B. Björn Höcke, Identitäre Bewegung).
In diesem vermeintlichen Menschenrechtsdiskurs wird eine klare Aufteilung zwischen der ‚eigenen‘ moralischen Überlegenheit und der ‚fremden‘ moralischen Defizienz vorgenommen. Infolgedessen nutzen Rechte (unterschiedlicher Provenienz) das diskursive Wissen über angeblich zivilisatorisch rückständige Muslime dazu, in den Milieus liberal-demokratisch orientierter Mittelschichten an Boden zu gewinnen. Selbst wenn diese z.B. in Wahlen nicht für rechts stimmen, könnte die Etablierung der entsprechenden Konnotationen und Narrative als ‚Wissen‘ im vorpolitischen Raum dennoch langfristig bei der Durchsetzung der eigenen Ziele helfen. Der argumentative Rückgriff auf die Grundrechte und hier insbesondere auf die Meinungsfreiheit als Apologie für rassistische Äußerungen spricht folglich dafür, wie von Alexander Häusler nahegelegt, von einer neuartigen „Konstruktion eines politischen Programms der Exklusion“ durch selektives Aufgreifen und Umdeutung demokratischer und linker Werte zu sprechen.
Konsequenzen für emanzipatorische politische Positionen
Wirkmächtigkeit und Potential dieser Umdeutung sind bereits vielfach erkannt worden. Jenseits der bloßen Herausarbeitung und Benennung dieser taktischen Verschränkung des Migrationsdiskurses mit dem Genderdiskurs unter dem Schlagwort der ‚Freiheit‘ erscheint es auf politischer Ebene zusätzlich geboten, demokratische Grundfreiheiten durch ein politisches Programm der umfassenden Inklusion verstärkt bewusst aufzunehmen und dadurch in offensiver Weise auch diskursiv zu verteidigen.