Zur Bekämpfung des Antiziganismus heute

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Bericht über eine Veranstaltungsreihe des DISS-Arbeitskreises Antiziganismus (Teil 1)
von Stefan Vennmann, erschienen in DISS-Journal 35 (2018)

Mit Bezug auf den Titel eines 1962 von Theodor W. Adorno gehaltenen Vortrags „Zur Bekämpfung des Antisemitismus heute“ hat der Arbeitskreis Antiziganismus im DISS eine Vortragsreihe organisiert, die sich mit der weiterhin existierenden Stigmatisierung vermeintlicher ‚Zigeuner‘ in theoretischer wie praktischer Reflexion auseinandersetzt. Die Reihe fand in Kooperation mit dem „Zentrum für Erinnerungskultur, Demokratie  und Menschenrechte“ und gefördert durch die Amadeu-Antonio-Stiftung und den AStA der Universität Duisburg-Essen statt.

Die Vortragsreihe startete im April 2018 am Welt-Roma-Tag mit einer lokalhistorischen Einführung in den Themenkomplex, und zwar anhand einer Rekonstruktion der Biographien der Bürgerrechtlerin Hildegard Lagrenne und des nationalsozialistischen Polizeisekretärs  Wilhelm Helten, der die Deportation von Sinti*ze von Duisburg nach Auschwitz organisierte. Helten wurde nie bestraft und von der Stadt Duisburg weiterbeschäftigt.

Aufklärung und Mythos

Im zweiten Vortrag stellte Dr. Markus End (Gesellschaft für Antiziganismusforschung) eine antiziganismuskritische Lesart der Dialektik der Aufklärung von Max Horkheimer und Theodor W. Adorno vor. Die zentrale These des Werkes beruht auf der Annahme, dass der Prozess gesellschaftlicher Aufklärung das Archaische und Mythische unterbindet und dabei immer neue Formen von Herrschaft hervorbringt, die ihrerseits mythischen Charakter besitzen. Ends These lautet, dass sich dieser Zusammenhang von Aufklärung und Mythos in einer antiziganistischen Logik ausdrückt. Er legte dar, dass sich im Text von Horkheimer und Adorno viele, mehr oder weniger versteckte Hinweise finden lassen, die Antiziganismus thematisieren. Etwa die Formulierung, dass mit der fortschreitenden Aufklärung die „Ächtung von Schauspielern und Zigeunern“ einhergehe.

Projektion individuell unterdrückter Affekte

Ebenfalls an Horkheimer und Adorno anknüpfend sprach Dr. Sebastian Winter (International Psychoanalytic University Berlin) über die Erkenntnisse aus der psychoanalytischen Sozialpsychologie. Zentral ist hier die Projektion individuell unterdrückter Affekte – etwa das eigene Verlangen nach Faulheit abseits der Arbeitsimperative der modernen Leistungsgesellschaft – auf Dritte. Anhand sozialpsychologischer Theorien erklärte er die psychischen Entstehungsbedingungen antiziganistischer Stereotypen, die sowohl romantisierende als auch verachtende Momente beinhalteten. Die Verachtung überwiege allerdings in der heutigen medialen Aufbereitung durch Kollektivsymbole wie Müll, Dreck und ‚Problemhäuser‘. Er kritisierte die bisherige psychoanalytische Antiziganismusforschung Franz Maciejewskis, die einerseits romantisierend Stereotype reproduziert und andererseits Sigmund Freuds Massenpsychologie und Ich-Analyse nicht in seine Überlegungen integriert. Dies habe zur Folge, dass Maciejewski in seinem Ansatz nicht das Verlangen nach kollektiver, nationaler Einheit und die daran anschließende Ausgrenzung bis hin zur Vernichtung erklären kann.

Stereotype Darstellungen

Dr. Rafaela Eulberg (Universität Bonn) sprach über den Konnex von Ethnie und Geschlecht, der in der stereotypen Darstellung von ‚Zigeunerinnen‘ eine besondere Potenzierung erfährt. Ein Blick in die Geschichte der rassistischen Tsiganologie zeigte, dass Werke der frühen Neuzeit über den Nationalsozialismus bis in die  Gegenwart ‚Zigeunerinnen‘ als Antagonistinnen bürgerlicher Ordnung verstehen. Im Antiziganismus mischen sich bürgerlich-sexistische mit rassistischen Stereotypen und potenzieren sich im Bild der ‚Zigeunerin‘ als Symbol des absolut gesellschaftlich Unerwünschten. Die wahrsagende und promiskuitive femme fatale verkörpert Romantisierung und Verachtung und stellt gleichzeitig eine Gefahr für die Integrität in der heteronormativen und monogam strukturierten bürgerlichen Gesellschaft dar.

Personalisierung sozialer Phänomene

Prof. Dr. Astrid Messerschmidt (Universität Wuppertal) stellt die Verknüpfung des theoretischen Zugangs mit den Interventionsmöglichkeiten politischer Bildung her. Sie sprach anknüpfend an Klaus Holz von einem ‚nationalen Antiziganismus‘, der sich durch Fremdmachen Dritter im Inneren einer Gesellschaft und deren systematischer Ausgrenzung konstituiert. Dabei wurde insbesondere die Personalisierung sozialer Phänomene und Probleme kritisiert, bei welcher gesellschaftliche und ökonomische Bedingungen außer Acht gelassen würden. Diese Personalisierung wirkt sich unmittelbar auf die Bildungsinstitutionen aus. Einerseits werden insbesondere in der politischen Weiterbildungsarbeit rassistische Motive reproduziert, die Betroffene nach mehrheitsgesellschaftlichen Schemata kategorisieren. Andererseits existiert zwar Lehrmaterial für rassismuskritischen Unterricht, allerdings fehlt es an institutioneller Umsetzungen an Schulen und Universitäten. Eine speziell antiziganismuskritische Bildungsarbeit kann nur gelingen, wenn insbesondere den Multiplikator*innen die Kontinuitäten von Verfolgung, Diskriminierung und Vernichtung nahegebracht wird. Antiziganismuskritische Bildung kann nur als nicht bevormundende, subjektorientiert und geschichtsreflexive Erziehung möglich sein, denn unmittelbar aus der Geschichte lässt sich nichts lernen, sondern nur aus dem Umgang mit ihr, so Messerschmidt.

Im Juni und Juli 2018 fanden drei weitere Vorträge statt, über die in der nächsten Ausgabe des DISS-Journals berichtet wird.