Sind die Menschenrechte eurozentrisch?

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Eine Rezension von Jobst Paul. Erschienen in DISS-Journal 34 (2017)

Steven Jensen. The Making of International Human Rights: The 1960s, Decolonization, and the Reconstruction of Global Values. Cambridge: Cambridge University Press, 2016. 334 S. $99.99 (cloth), ISBN 978-1-107-11216-2.

Zweifellos beginnt die moderne Geschichte der Menschenrechte – als Reaktion auf die Erfahrung der deutschen Nazi-Diktatur und des 2. Weltkriegs – mit der Universal Declaration of Human Rights vom 10. Dezember 1948. Als weitere Station gilt die Gründung ziviler Menschenrechtsorganisationen in den 1970er Jahren (Amnesty International erhielt 1977 den Friedensnobelpreis), aber auch der Helsinki-Vertrag (OSZE) von 1975.

Die Entwicklung wird allerdings oft als westliche, oder sogar eurozentrische Erfolgsgeschichte gesehen – oder als doppelbödige Erzählung der Kolonisatoren kritisiert. Dieses Bild ist zumindest unvollständig, so das Argument von Steven Jensen in seinem The Making of International Human Rights: The 1960s, Decolonization, and the Reconstruction of Global Values ((Ich stütze mich auf die Rezension von Samantha Christiansen (Marywood University), einsehbar unter https://www.h-net.org/reviews/showrev.php?id=46770.)). Ausgeblendet werden nämlich dabei die für die weitere Entwicklung entscheidenden diplomatischen Vorstöße in den 60er Jahren von Vertretern des Südens im Kontext der UN, die den Helsinki-Friedensprozess erst möglich machten.

Jensen räumt ein, dass die Idee der universellen Menschenrechte unter den Bedingungen des Kolonialismus keine historische Chance gehabt hätte. Erst der Prozess der De-Kolonisation schuf dafür zumindest formal eine Plattform: Während westliche Staaten erfolglos versuchten, z.B. mit der Debatte um die Berliner Mauer weiterhin in den gewohnten Bahnen zu argumentieren, nutzten Vertreter des Südens, wie der guineische Präsident Sekou Toure, die neue Plattform unmittelbar in den frühen 60er Jahren, um die Themen Kolonialismus, Rasse und Religion auf die UN-Agenda zu setzen.

Dies bedeutete für viele der neuen UN-Mitglieder, eigentlich eine neue UN-Charta auszuarbeiten. Jensen stellt nicht nur wichtige Akteure aus Ghana, Nigeria, Liberia und von den Philippinen vor, die in einer entscheidenden Phase den Diskurs bestimmten. Er zeichnet auch akribisch die Konfrontations- und Verhandlungsprozesse nach, in denen z.B. über die Stichworte Rasse und Religion insbesondere die Großmächte und ihre Innenpolitik in die Enge getrieben wurden.

So hatten vor allem drei Dokumente, The International Convention on Elimination of All Forms of Racial Discrimination von 1965, The Covenant on Civil and Political Rights von 1966 und The Covenant on Economic, Social and Cultural Rights von 1966 unmittelbare Wirkung auf den Bürgerrechtsprozess in den USA.

Demgegenüber traf die Convention on Elimination of All Forms of Religious Intolerance vor allem die restriktive Religionspolitik der Sowietunion. Tonangebend waren hier Vertreter von Liberia, Pakistan, Sri Lanka, Venezuela – und Saudi Arabien. Doch die Sowjetunion verhärtete und sträubte sich bis 1967 gegen eine Debatte. Schließlich erklärte sie die Konvention anlässlich des israelischen 6-Tage-Krieg im Juni 1967 für nichtig und tatsächlich verschwand sie im November 1967 von der UN-Tagesordnung.

Hier zeigten sich zwar die Grenzen der neuen Dynamik aus den Ländern des Südens. Aber schon 1968 erhielt der Prozess neue Dynamik – völlig gegen die Zeichen der Zeit verabschiedete die International UN-Konferenz in Teheran die Human Rights Convention on Elimination of All Forms of Racial Discrimination. Jensen beschreibt diesen Akt als grundlegende Weichenstellung zur zivilgesellschaftlichen Übernahme des Menschenrechtsgedankens durch NGOs in den 70er Jahren, aber auch zum gleichzeitigen Helsinki-Prozess.

Für seine Arbeit hat Jensen nicht nur die bestehende Forschungsliteratur, sondern auch zehn nationale Archive ausgewertet. Das Resümee ist, dass die These von der Eurozentrik der Menschenrechtsdebatte seit den 60er Jahren des 20. Jahrhunderts nicht mehr trägt. Indem Diplomaten des Südens die Thematik der Menschenrechte gegen die Großmächte richteten, formten sie sie mit.