Eine Rezension von Jobst Paul ((Ich stütze mich hier auf die Rezension von Einav Rabinovitch-Fox (Case Western Reserve University), einsehbar unter https://www.h-net.)). Erschienen in DISS-Journal 34 (2017)
Donna M. Kowal, Tongue of Fire: Emma Goldman, Public Womanhood, and the Sex Question. Albany: State University of New York Press, 2016. 222 pp. $75.00 (cloth), ISBN 978-1-4384-5973-8
Emma Goldmans (1869-1940) Leben und Werk ist seit langem ein Anlass für lebhafte Debatten. Sie wuchs als Kind jüdischer Eltern im litauischen Kowno auf, ging in Königsberg zur Schule und zog mit 13 Jahren mit ihrer Familie nach Sankt Petersburg. Als Fabrikarbeiterin rezipierte sie dort anarchistische Literatur und emigrierte mit 17 nach New York, wo sie sich der anarchistischen und der Arbeiterbewegung anschloss.
Dennoch ist Donna M. Kowal’s Tongueof Fire: Emma Goldman, Public Womanhood, and the Sex Question nicht biographisch, sondern sprachanalytisch ausgerichtet. Im Zentrum steht zunächst die Frage, mit welchen inhaltlichen Positionen und mit welchen diskursiven Mitteln sich Goldman zu Beginn des 20. Jahrhunderts als feministische Philosophin im soziopolitischen Diskurs über Sex und den Körper von Frauen positionierte und welche Machteffekte sie auslöste.
Dazu untersucht Kowal zunächst Goldman’s Dissens mit anderen Anarchistinnen, ihre Argumente zur sexuellen Selbstbestimmung und ihre Kritik an der Repression durch Kapitalismus wie durch Ehe und Mutterschaft. Goldman selbst bestimmt Sexualität als emanzipative Kraft, nicht zuletzt gegen die Ausbeutung von Frauen in der Arbeit, in Ehe und Prostitution. Entsprechend verwirft sie das Klichee der Frau als Opfer und fordert Frauen zu sexuellem Bewusstsein und zu sexueller Kompetenz auf. Indem sie Sexualität nicht als biologische, sondern als soziale Kategorie bestimmt, hebt sie auch das Wertgefälle zwischen hetero- und homosexuellen Beziehungen auf.
Der zweite Schwerpunkt der Arbeit Kowals liegt im Bereich der medialen und rhetorischen und darin politischen Kompetenz Goldmans. So wendet diese sich mit ihrer eigenen Person und ihrem sozialen Profil frontal an die Medien ihrer Zeit und fordert damit deren ‚mediale‘, u.a. sexistische Reaktionen heraus. Man zeichnet sie als gefährliche, zügellose Rednerin, Anarchistin und Verführerin und/oder als feminine, hässliche oder schöne, vor allem aber gefährliche Frau.
Kowal untersucht insbesondere Goldmans Rhetorik, ihren autoritativen Rededuktus, den ihre überwiegend männlichen Gegner eher für sich reklamiert haben würden: Sie greift zu Deduktionen, Analogien, Metaphern und Autoritäten. Ob und inwieweit Goldman sprachlich, ethisch und inhaltlich auf jüdische Traditionen zurückgreift, bleibt strittig. Da sich Kowal auf Goldman beschränkt, kommen viele andere feministische Anarchistinnen in ihrem Umfeld nicht in den Blick, darunter Margaret Sanger, Crystal Eastman, Rose Schneiderman und Elizabeth Gurley Flynn.