Das Nichtverbot der NPD aus Sicht der NPD
Von Martin Dietzsch. Erschienen in DISS-Journal 33 (2017)
Am 17. Januar 2017 entschied das Bundesverfassungsgericht, die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD) nicht zu verbieten. Die Partei erfülle zwar die Voraussetzungen für ein Verbot. „Es fehlt jedoch an konkreten Anhaltspunkten von Gewicht, die es zumindest möglich erscheinen lassen, dass dieses Handeln zum Erfolg führt.“ (Leitsätze zum Urteil des Zweiten Senats vom 17. Januar 2017 – 2 BvB 1/13) Das Urteil ist kein Sieg der NPD, sondern ein Freispruch dritter Klasse. Die Begründung ist fragwürdig, zumal das schwebende Verbotsverfahren und der Abzug der V-Leute erheblich zur derzeitigen Schwächung der Partei beigetragen haben.
Die Konkurrenzpartei Alternative für Deutschland (AfD) ist bei Wahlen erfolgreicher und hat die NPD aus den Landtagen verdrängt. Völkisches Gedankengut und völkisches Handeln haben jedoch in der Bundesrepublik Hochkonjunktur, so dass ein Wiedererstarken der NPD als Partei rechts von der AfD nicht ausgeschlossen ist. Viel wird davon abhängen, ob die AfD willens und in der Lage sein wird, stramm völkische bis hin zu NS-affine Kräfte in der eigenen Partei im Höcke-Flügel zu binden. Möglich wäre aber auch – obwohl es derzeit nicht danach aussieht –, dass die AfD sich von Teilen ihres rechten Flügels trennt und sich diese Klientel eine neue politische Heimat suchen muss. Voraussetzung für eine Sammlung in der NPD wäre allerdings auch die Eindämmung der heftigen internen Querelen und Machtkämpfe. Es lohnt sich also, die NPD weiter im Auge zu behalten.
Wie haben führende NPD-Funktionäre auf das Nichtverbot reagiert und welche strategischen Einschätzungen haben sie abgegeben?
„Stunde des Triumphs“
Der Prozessbevollmächtigte der NPD Peter Richter ist gleichzeitig stellvertretender Landesvorsitzender im Saarland und steht dem Parteivorsitzenden Frank Franz nahe. Am Tag der Urteilsverkündung schrieb er auf Facebook, dies sei die „Stunde des Triumphs“.
„Wir sind die letzte Bastion zwischen dem anständigen Deutschland und dem zerstörerischen Treiben der etablierten Volksverräter. Mit vereinten Kräften können und werden wir uns unser Land zurückholen!“ Er verstieg sich sogar zu der Prognose, als nächstes werde die NPD im Saarland mit „5 % + x in das Landesparlament einziehen“.
Das reale Ergebnis bei der Wahl am 26. März 2017 war 0,7 %.
„tödliche Weichenstellung“
Ganz anders äußerte sich Karl Richter, Stadtrat in München und parlamentarischer Assistent des NPD-Europaabgeordneten Udo Voigt, ebenfalls auf Facebook. Er bezog sich auf eine zentrale Passage des Urteils:
„Ein ethnischer Volksbegriff würde bereits eingebürgerte Deutsche zu Staatsbürgern zweiter Klasse degradieren und ihr Recht auf demokratische Gleichheit verletzen“. Für Richter und viele andere rechte Kommentatoren ist dies der Beginn des Weltuntergangs: Das Gericht „bekennt sich zum Volkstod, zum vorsätzlichen Austausch des deutschen Staatsvolkes durch eine beliebige No-name-Bevölkerung […] Der heutige 17. Januar wird womöglich einmal als verhängnisvolle, ja tödliche Weichenstellung in die Annalen unserer Geschichte eingehen.“
„Bürgerkrieg“
Per Lennart Aae, laut Wikipedia „Leiter des Wissenschaftsarbeitskreises der NPD“, geht (ebenfalls am 17.1. und ebenfalls auf Facebook) noch einen Schritt weiter. Mit aktivierter Caps-Lock-Taste droht er angesichts des Urteils mit dem Bürgerkrieg:
„EIN ERGEBNIS, DAS NACH MEINER ÜBERZEUGUNG UNWEIGERLICH DIE POLITISCHEN WEICHEN IN DEUTSCHLAND IN RICHTUNG BÜRGERKRIEG STELLT! DENN ES LÄSST DEN MENSCHEN, DIE SICH GEGEN DIE GEPLANTE MASSENEINWANDERUNG UND ÜBERFREMDUNG WEHREN WOLLEN, KEINE ANDERE MÖGLICHKEIT, ALS DIES AUSSERHALB DES (VON DEN MACHTHABERN VERFÄLSCHTEN) VERFASSUNGSMÄSSIGEN RAHMENS ZU TUN.“
„Arbeitsteilung“
Jürgen Werner Gansel wurde im Urteil des Bundesverfassungsgerichts 28 mal namentlich erwähnt. Er gilt als einer der Chefideologen der NPD. Aus seiner Feder stammt die Schulungsbroschüre „Wortgewandt – Argumente für Mandats- und Funktionsträger“, in der eingebürgerte Deutsche nach biologischen Rassekriterien zu „Nichtdeutschen“ erklärt werden. Diese Broschüre wertete das Gericht als einen zentralen Beleg für die verfassungswidrige Ausrichtung der NPD.
Gansel schrieb am 23.2.2017 auf Facebook, es müsse angesichts des Urteils seiner Meinung nach in Zukunft eine „strategische Arbeitsteilung“ zwischen NPD und AfD geben.
„Ich sagte, die NPD müsse die patriotischen Wutbürger und klassischen Rechtswähler ansprechen und die AfD die vielen Wähler rechts der CDU, die aus irgendwelchen Gründen niemals NPD wählen würden. […] Deshalb ist die eigentlich sehr sympathische Positionierung eines Björn Höcke wahlstrategisch gesehen kontraproduktiv. Er jagt der NPD damit Rechtswähler für die AfD ab, verprellt aber ungleich mehr potenzielle AfD-Wähler bürgerlicher Prägung. Damit ist rechnerisch für das Parteienspektrum rechts der Union nichts gewonnen! […] Björn Höcke sollte das rechtskonservative Profil seiner Partei schärfen, aber keine nationale Rhetorik anschlagen, weil er keiner nationalen Partei angehört. Die nationale Partei Deutschlands ist die NPD! […] Unsere Funktion als NPD besteht darin, das gesamte politische Koordinatensystem im Land nach rechts zu verschieben. Mit dem wieder gescheiterten NPD-Verbotsverfahren können und müssen wir den Mund noch weiter aufmachen und Klartext für die Rechtswende sprechen! Wir sind der Stachel im Fleisch der AfD, und die AfD ist der Stachel im Fleisch der Volksverräter-Parteien. Wir machen Druck von rechts auf die AfD, und die AfD macht Druck von rechts auf die CDU/CSU. Nur unser Druck von rechts hindert die AfD in Zukunft daran, zu einer vermeintlich besseren CDU oder einer CSU 2.0 zu werden und damit Wählerverrat zu begehen. Die Rechtswende in Deutschland kann gelingen, wenn es zwischen AfD und NPD eine strategisch grundierte Arbeitsteilung mit unterschiedlicher Zielgruppenansprache gibt.“
Gansel spekuliert auf eine Marktlücke für die NPD und auf Übertritte aus dem Höcke-Flügel der AfD. Der Trend dürfte gegenwärtig eher in die andere Richtung gehen. Selbst wenn sich die AfD zu einer realen Abgrenzung nach rechts durchringen sollte – wofür es derzeit keine Anzeichen gibt –, die NPD ist in ihrem jetzigen Zustand zu wenig attraktiv, den Kern einer militanten völkischen Sammlung zu bilden. Dies gilt nicht nur für die Höcke-Anhänger, sondern auch für die militanten Neonazis aus der Kameradschaftsszene und aus den parteiförmigen Organisationen „Die Rechte“ und „Der III. Weg“.
„eine in sich geschlossene Partei“
Der Bundesvorsitzende der NPD Frank Franz macht derweil auf Zweckoptimismus. In einem Interview in der März-Ausgabe der Parteizeitung Deutsche Stimme verwies er darauf, dass die NPD nach dem Scheitern des ersten Verbotsverfahrens 2003 nur ein Jahr später in den Sächsischen Landtag eingezogen sei. Angeblich verzeichne man auch jetzt „wieder steigende Interessenten- und Mitgliederanfragen“. Franz‘ einzige selbstkritisch klingende Bemerkung zielte in Wahrheit auf seine innerparteilichen Widersacher, die ein offensiveres und radikaleres Auftreten fordern.
„Was ich durchaus selbstkritisch zur Kenntnis nehme, ist, wenn hier und da – allerdings nur vereinzelt – eine primitive Sprache gepflegt wird, die dann gegebenenfalls auch zu Mißdeutungen führen kann. Wir müssen klare Kante zeigen und eine deutliche Sprache sprechen. Das geht aber auch in einem kultivierten und anständigen Ton. […] Es ist schlicht Unsinn, wenn behauptet wird, wir würden eingebürgerten Staatsbürgern diese Staatsbürgerschaft entziehen. Das ist nicht der Fall. Wir wollen für die Zukunft aber wieder zurück zur alten Regelung, die unserer Auffassung nach die bessere war.“
Franz‘ Bemerkung zielte offenbar auch auf Gansels „Wortgewandt“-Broschüre, wobei das Bundesverfassungsgericht nicht „primitive Sprache“, sondern den rassistischen Inhalt bemängelte. Peter Richter assistierte Franz im selben Interview: „Ganz vehement zu widersprechen ist vor allem der Aussage, die NPD stelle sich in ihrer Programmatik gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung.“
Und Frank Franz sagte voraus: „Am Ende des Jahres 2017 ist die NPD eine in sich geschlossene Partei, die nach einem anstrengenden Wahlkampfjahr gestärkt in die Zukunft blicken kann.“ Dies darf zum Glück bezweifelt werden.
Martin Dietzsch ist Mitarbeiter des DISS.