Spontane Aufmärsche oder Großdemonstrationen

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Zu einer Debatte innerhalb der extremen Rechten. Von Leroy Böthel. Erschienen in DISS-Journal 23 (2012), 16-17

Im Februar 2010 haben antifaschistische Blockaden den europaweit größten Aufmarsch von Neonazis in Dresden verhindert. Seitdem hat sich die Diskussion innerhalb der extremen Rechten über alte und neue Demonstrationskonzepte intensiviert. So forderten damals Frank Rennicke und Jürgen Kretzsch (beide NPD) in der ‚Deutschen Stimme‘, dass zwar „Konsequenzen aus alledem klar und nüchtern gezogen werden“ müssten (Deutsche Stimme 04/2010, 11), stellten aber das bisherige Demonstrations-Konzept nicht zur Debatte: „Großveranstaltungen dieser Art sind für uns Patrioten Zeichen und Auftrag für eine ‚gelebte Volksgemeinschaft‘“ (ebd.).

Diese Interpretation kann stellvertretend für die derzeit vorherrschende Position im demonstrationspolitischen Diskurs der extremen Rechten angeführt werden. In deren Medien werden durchweg die BlockiererInnen und die staatlichen Behörden dafür verantwortlich gemacht. Schuld sei so der „antifaschistische Gesinnungsstaat“ (Junge Freiheit 8/2010, 2). Immer wieder wird ein vermeintliches „Bündnis aus Politik, Polizei und Linksextremisten“ (Zuerst! 3/2010, 22) beschworen, das „in einem dubiosen Licht von politischer Kumpanei“ (ebd., 3) erscheinen würde. Der Dresdener ‚Trauermarsch’ sei also insofern weniger durch eigene Fehler, als vielmehr durch eine undurchsichtige Vereinigung der politischen Feinde gescheitert.

Dass es aber in dieser Debatte auch andere – konträre – Positionen gibt, wird an der südbrandenburgischen Neonazi-Gruppierung Spreelichter ((Für eine ausführliche Auseinandersetzung mit dieser Gruppe siehe: Krüger, Daniel 2012: Völkische Ideen und Inszenierungen aus dem Spreewald. Das Internet-Projekt spreelichter.info (http://www.gemeinwesenberatung-demos.de/Portals/24/media/UserDocs/regionen/cottbus/Voelkische_Ideen_und_Inszenierungen_aus_dem_Spreewald.pdf).)) deutlich. Sie veröffentlichte im Internet den Artikel „13. Februar 2010 – Das Trauerspiel von Dresden“, der explizit und verallgemeinernd das etablierte Konzept der Großdemonstration kritisiert. So wird nicht nur das konkrete Agieren in Dresden, sondern auch die einhellige Nachbetrachtung in den Fokus gerückt:

„Es irritiert uns, dass in vielen Nachbetrachtungen […] vom ‘skandalösen Polizeiverhalten’, nicht aber von eigenen Unzulänglichkeiten die Rede ist – selbst, wenn diese so offen vor uns liegen“ ((http://spreelichter.info/meldungen/13._Februar_2010_Das_Trauerspiel_von_Dresden-424.html)).

Größtenteils sei man „freiwillig wie Schlachtvieh“ umher gelaufen; es sei weiter „eine Diskussion vonnöten, wie künftig auf den ‘Notstand’ zur Verhinderung unserer Veranstaltungen zu reagieren“(ebd.) sei. In diese hier nur grob skizzierte Kritik am gängigen Konzept der Großdemonstration, die auch schon vor den Ereignissen in Dresden vorgebracht, damals aber nicht derart scharf formuliert wurde, ist der Vorschlag einer neuen Aktionsform eingeflochten, den die Spreelichter in anderen Texten und in der Praxis konkretisiert haben.

Die Gruppe selbst entspringt dem radikalen und aktionistisch orientierten Kameradschaftsspektrum, vertritt eine nationalistisch-völkische Ideologie und zeigte bereits vor Dresden 2010, wie ihr Diskussionsbeitrag zum Thema Demonstrationspolitik aussehen würde. So sind sie verantwortlich für eine Reihe spontaner Aufmärsche in Brandenburg und Sachsen, die seit 2008 durchgeführt wurden. Kennzeichnend für diese Aufmärsche sind deren unangemeldete Durchführung in der Nacht sowie das Tragen weißer Masken. ((Offensichtlich wird hier der Bezug auf eine klassisch-faschistische Ästhetik: Der marschierende Block im Fackelschein erinnert doch sehr an die SA. Hinzu kommt durch den spontanen, flashmobartigen Charakter ein unausgesprochener Bezug auf die linke Gruppe „Die Überflüssigen“ , die seit dem Jahr 2005 mit exakt denselben weißen Masken spontane antikapitalistische Proteste durchführt (und darüber hinaus: auf linke Protestformen bis hin zur Situationistischen Internationalen). Eine Verbindung mit der ebenfalls maskentragenden Occupy-Bewegung wird allerdings nur im etablierten Medien-Diskurs hergestellt (exemplarisch: http://www.derwesten.de/region/rhein_ruhr/wie-neonazis-die-aktionen-der-occupy-bewegung-kopieren-id6414743.html). Für die Szene selbst spielt sie keine Rolle.)) Dazu werden häufig Fackeln und Transparente ausgebreitet, die den ideologischen Hintergrund des Aufzugs verraten (Zum Beispiel: „Die Demokraten bringen uns den Volkstod“). Im Internet werden diese Parolen vertieft – zahlreiche Texte über den angeblich drohenden „Volkstod“ wurden von den Spreelichtern veröffentlicht. Sie haben auf diese Weise „Aktionsformen entwickelt, die auf öffentliche Aufmerksamkeit zielen und mit den Web-Angeboten korrespondieren“ (Krüger 2012: 11).

Die Spreelichter sind auch für das aktuell in der rechten Szene vielleicht am meisten diskutierte Projekt verantwortlich, das seit Mai 2011 unter dem Namen „Die Unsterblichen“ firmiert. Die Form des Auftretens und die Parolen sind hier dieselben, neu ist die überregionale Ausrichtung der Kampagne. In den Folgemonaten hatten zahlreiche Kameradschaften dieses Ak­tionskonzept übernommen, in Nordrhein-Westfalen sind bisher drei solcher Aufmärsche bekannt. Neben den beiden nächtlichen Aufmärschen im Herbst 2011 in Hamm-Werries und Düsseldorf-Kaiserswerth (beides Außenbezirke) sorgte vor allem der Auftritt der „Unsterblichen“ auf dem Essener Rosenmontagsumzug für mediales Interesse. ((Bundesweit gab es bisher schätzungsweise 27 Aufmärsche, die sich in Form und Inhalt auf die ‚Unsterblichen‘ beziehen; Schwerpunkte sind bisher Sachsen und Baden-Württemberg; die TeilnehmerInnenzahl betrug im Durchschnitt ca. 40 pro Aufmarsch; Maximalwert: ca. 150 (jeweils in Bautzen und Stolpen) (Quelle: eigene Auflistung).)) „Die Unsterblichen“ sind insofern keine eigene Gruppe, wie manche Medienberichte fälschlicherweise vermitteln ((Exemplarisch hierfür ist das Hamburger Abendblatt. „Die Unsterblichen“ werden nicht nur als feste Gruppe vorgestellt, es wird auch nach „Hintermännern“ gefragt (vgl. http://www.abendblatt.de/hamburg/harburg/article2204381/Polizeischlag-gegen-Hamburger-Neonazis.html).)), sondern dienen als Applikationsvorgabe, derer sich einzelne Gruppen bedienen können. Allen Aktionen ist ihr Fokus auf die mediale Aufarbeitung gemein: Meist werden noch am folgenden Tag Videos und Fotos des Aufzugs auf den eigenen Websites veröffentlicht.

Dass die „Unsterblichen“ Chancen haben, sich gegenüber dem Konzept Großdemonstration innerhalb der extremen Rechten durchzusetzen, ist durchaus vorstellbar. Vor allem das aktionistisch ausgerichtete Kameradschaftsspektrum findet Gefallen an dieser abenteuerlichen Aktionsform. Trotzdem wäre es verfehlt, die „Unsterblichen“ bloß als Erscheinung am radikalen Rand abzutun. Vielmehr finden sie über die unterschiedlichen Spektren der extremen Rechten hinweg Zustimmung und nur geringfügig Kritik – dies belegt ein Blick in die rechte Medienlandschaft. Deshalb gilt es, die Rezeption der „Unsterblichen“ innerhalb des rechten Spektrums genau zu analysieren. So ergeben sich nicht nur Einblicke in die Szene und ihr ideologisches Band. Es lassen sich dadurch auch für die Rechtsextremismusforschung Einschätzungen gewinnen, die die strategische Bedeutung neuer und alter Aktionsformen der extremen Rechten und die weitere Tauglichkeit der „Unsterblichen“ betreffen.