Michel Foucault und die Grenzen der Macht. Rezension von Regina Wamper. Erschienen in DISS-Journal 18 (2009)
Vielseitig, in sich stimmig und kritisch werden Foucault’sche Widerstandskonzeptionen in dem von Daniel Hechler und Axel Philipps herausgegeben Sammelband „Widerstand denken“ diskutiert. Auf der Folie der Machtkonzeption Foucaults wird in den Beiträgen der Frage nachgegangen, wie Widerstand denkbar ist, wo er anfängt und wo er seine Grenzen findet. Ergänzt wird die gelungene, theoretische Ausarbeitung durch „Analysen von Widerständigkeiten“.
Alt ist inzwischen der Anwurf gegen Foucault und andere poststrukturalistische Intellektuelle, ihre Subjekttheorien böten keinen Ort für Widerstände, keine Ausgangspunkte, keine Möglichkeiten. Ebenso alt ist die Foucaultrezeption, die seine Machttheorie übersieht und so der Diskurstheorie ihre politische und kritische Einbettung nimmt.
Gegen beide Rezeptionsansätze wendet sich dieses Buch: Es wird nicht nur herausgearbeitet, dass Widerstand möglich sein kann, sondern auch, dass er faktisch ist, dass vielfältige, subversive Praktiken stattfinden und Widerstand gegen Verfestigungen der Macht, sprich: gegen Herrschaft nicht nur denkbar sondern notwendig ist.
Unter Praktiken der Subversion wird hier sowohl das Erfinden und Erproben neuer Identitäten oder Subjektivit äten verstanden, als auch Unruhen, alltägliche Interventionen und Resistenzen.
Ulrich Brieler verortet Foucault in seinem Beitrag „Widerspenstige Subjektivitäten“ in einem politischen Spektrum, das subjektverändernde Potentiale antiautoritärer Kämpfe anerkennt. Mit seinen Stellungnahmen gegen „die Bürokraten der Revolution und die Funktionäre der Wahrheit“ wendete er sich einer libertären und dezentralen Linken zu. Foucault konstatiere, so führt Brieler aus, drei Arten der Kämpfe: gegen Herrschaft, gegen Ausbeutung und gegen die Unterwerfung der Subjektivität. Im letzteren konstituiere sich das Eigene im Widerstehen, es gehe um die Veränderung der Subjektivität im Widerstand, um Kämpfe um neue Lebensweisen. Dass diese Lebensweisen nicht statisch werden dürfen, dass sie dynamisch bleiben müssen, um nicht zur Herrschaftstechnik umfunktioniert werden zu können, darauf weist Jens Kastner in seinem Beitrag „Gegen-Verhalten im Neoliberalismus“ hin. Er fragt danach, woher Widerstandsbrennpunkte und Gegenverhalten kommen und fokussiert spezifische soziale Kämpfe, die nicht primär ökonomisch oder politisch motiviert sind. Gegenverhalten unterscheide sich nicht von Macht durch die Proklamation des Außen, es schere nicht aus sondern habe schlicht andere Prozeduren. Zu „Gegenverhalten der Subjektivierung“ zählt Kastner Praktiken des Ungehorsams, der Befehlsverweigerung, des Normenbruchs und der Verweigerung der Zustimmung. Die Beitragenden widmen sich Fragen des Widerstandsrechtes, der Lücken in Herrschaftszuständen, nach Praktiken der Freiheit und dem Verhältnis von Herrschaft, Macht und Widerstand. Die AutorInnen diskutieren Foucault mit und gegen Deleuze, Baudrillard, Butler und Nietzsche.
Eine wichtige, gut lesbare und spannende Foucault-Lektüre bietet dieser Band, in dem Kritiken an Foucault diskutiert, wesentliche Fragen beantwortet und oft ausgeblendete Aussagen in den Fokus gestellt werden Gleich wo genau die Grenzen des Widerstands liegen mögen, gleich ob wir die genauen Möglichkeitsbedingungen ausfindig machen können, Widerstand findet statt. Und das ist gut so, denn „[a]n einen [irreversiblen] Herrschaftszustand zu glauben, wäre […] ein Paradestück der Gouvernementalität“ (117).
Daniel Hechler / Axel Philipps (Hg.)
Widerstand denken
Michel Foucault und die Grenzen der Macht
2008 Bielefeld: transcript
ISBN 978-3-89942-830-8
282 S., 26,80 €