Wie Normalität produziert wird. Eine Buchbesprechung von Siegfried Jäger. Erschienen in DISS-Journal 15 (2007)
Nach knapp 10 Jahren der ersten Auflage dieses wichtigen Buches liegt nunmehr die 3., aktualisierte Ausgabe vor, die insbesondere auch eine Diagnose der großen „Denormalisierungen“ zu Beginn des 21. Jahrhunderts enthält. Das Ziel dieser Untersuchung war und ist es, „ein sowohl systematisch konzises wie historisch plausibles Konzept des «Normalismus » zu entwickeln, worunter ein spezifisch modernes und nur modernes kulturelles Regime verstanden wird, das – gestützt auf kontinuierlich und flächendeckende Verdatung – routinemäßig Normalitäten produziert und reproduziert.“ Bei diesem Konzept des Normalismus handelt es sich um einen wegweisenden Beitrag zur Kulturwissenschaft, der den Blick auf aktuelle Entwicklungen zu schärfen und ihre prognostische Kapazität zu erhöhen geeignet ist.
In dem völlig neuen Schlußteil des Bandes zeigt der Autor auf, daß und wieso sich das Normalismus-Konzept als trennscharfes Instrument der Gegenwartsdiagnose erweist, etwa was den engen Strukturzusammenhang zwischen «Postmoderne» und >flexiblem Normalismus< betrifft. Die (westliche) Moderne, so wird gezeigt, befindet sich in einer Krise des Normalismus, die entweder in eine Phase großer Denormalisierung mündet (wie 1914-1945) oder durch Gewinnung eines neuen Niveaus der Normalisierung eine große Normalisierung erfährt. Diese Krise läßt sich in vier Teilkrisen sehen, die sich addieren: Eine Kopplungskrise zwischen Normalismus und Kapitalismus, eine zweite, die aus dem verstärkten Heraufdrängen der unteren Normalitätsklassen resultiert; eine dritte, die sich als Problem des nachhaltigen Wachstums zeigt und eine vierte, die mit der Gefahr verbunden ist, daß sich die Schere zwischen Protonormalismus und flexiblem Normalismus so weit öffnet, daß die Risiken von Rissen im normalistischen Kontinuum, das gesellschaftliche Stabilität sichert, wachsen. Die (optimistische) Alternative dazu wäre, daß eine flexible Normalisierung nach unten erfolgen würde, durch die eine neue, vielleicht sogar nachhaltige Normalität erreicht würde.
Jürgen Link
Versuch über den Normalismus
Wie Normalität produziert wird
3., ergänzte und neu gestaltete Auflage
2006 Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht
476 S., 44.90 €,