Israel nach dem Libanonkrieg, der Einsatz deutscher Soldaten und die Regierungsbeteiligung einer rechtsradikalen Partei in Israel. Interview mit Moshe Zuckermann (Tel Aviv / Luzern). Erschienen in DISS-Journal 15 (2007)
DISS-Journal: Wie beurteilst Du die Situation Israels nach dem Libanon-Krieg?
Moshe Zuckermann: Die Situation Israels nach dem Libanon-Krieg ist in erheblichem Maße vom Misserfolg (oder zumindest doch sehr beschränkten Erfolg) dieses Krieges aus israelischer Perspektive bestimmt. Es mag übertrieben sein, zu behaupten, die Situation gleiche der nach dem Yom-Kippur-Krieg von 1973, wie es manche israelische Kommentatoren unmittelbar nach den jüngsten Kampfhandlungen im Libanon getan haben, aber es ist gewiß, dass das Vertrauen großer Teile der israelischen Bevölkerung in die politische und militärische Führung des Landes deutlich erodiert ist. Auf diesen Krieg hätte man sich gar nicht einlassen dürfen. Da man sich auf ihn aber, aus welchen Gründen auch immer, nun mal eingelassen hatte, hätte er im Gefühl vieler in der Bevölkerung (nicht zuletzt jener im Norden, die sich während des Krieges von der Regierung regelrecht verraten sahen), vor allem aber im Militär ganz anders geführt werden müssen. Daß dies nicht geschah, hat große Teile der Bevölkerung schockiert; und es ist anzunehmen, daß sich die Protestbewegung gegen die Regierung, welche sich unmittelbar nach dem Krieg formierte, wesentlich heftiger ausgewirkt hätte, wenn sie nicht von der Siedlerbewegung, die eine zusätzliche, freilich ganz andere Rechnung mit der Regierung nach dem Gaza-Abzug des Vorjahres zu begleichen hat, durchmischt, mithin aufgelöst worden wäre. Nimmt man noch die Korruptions- und andere üble Vergehensfälle an Israels Staatsspitze hinzu, ergibt sich ein düsteres, in eine tiefe Vertrauenskrise eingetauchtes Bild.
Der Einsatz deutscher Soldaten vor der Küste des Libanon ist aus meiner Sicht keineswegs unproblematisch, worauf auch die Zwischenfälle mit israelischen Flugzeugen und Hubschraubern verweisen. Wie beurteilst Du diesen Einsatz generell? Und: Könnte es nicht leicht passieren, dass die deutsche Marine ihre (angebliche?) Neutralität verliert und tief in den Nahost- Konflikt hineingezogen wird?
Auch ich sehe den Einsatz deutscher Soldaten im Israel tangierenden Nahen Osten als höchst problematisch an. Die Zwischenfälle sind unangenehm, aber nur Symptom des eigentlichen Problems: Eine potentielle Konfrontation zwischen deutschen und israelischen Soldaten ist eben nicht irgendeine militärische Konfrontation, sondern eine aus bekannten Gründen in höchstem Maße heikle. Daß dabei der israelische Premierminister sich für den Einsatz deutscher Truppen in der Region ausgesprochen hat, will nichts besagen (wie manche „Normalisierungs“- Enthusiasten meinen, hervorheben zu sollen). Man muß bedenken, wie es aussehen würde, wenn ein solcher Zwischenfall mal blutig, mit Toten und Verletzten, ausgehen würde – der geschichtsträchtige Symbolwert eines solchen Vorkommnisses dürfte ganz andere Emotionen und Ressentiments hochschießen lassen, als bisher bedacht.
Darüber hinaus meine ich aber auch grundsätzlich, daß der Einsatz deutscher Truppen im Ausland mitnichten begrüßenswert sei. Viele deutsche Schlußstrich-Ideologen meinten schon immer, aus derlei Überwindung überkommener Geschichtsneuralgien sich ein weiteres Stück „Normalisierung“ abschneiden zu dürfen (zuweilen unter rot-grüner Instrumentalisierung des Auschwitz-Gedenkens); ich gehöre zu denen, die noch immer die Ansicht vertreten, dass die geschichtsbewußte Konsolidierung eines anderen Deutschlands, welches es ja gibt, eines solchen restaurativen Rückgriffs aufs Militärische ganz und gar nicht bedarf.
Der neue israelische Vize- Premier Avigdor Lieberman gilt als ultra-rechts und wird gelegentlich als gefährlicher Rassist und Halbfaschist bezeichnet, weil er die arabische Minderheit in eine Art homeland in Gliläa aussiedeln will. Das käme einer ethnischen Säuberung Israels gleich, wie die Frankfurter Rundschau am 31. Oktober 2006 befürchtet. Was bedeutet diese Wendung israelischer Politik insgesamt, welche Auswirkungen hat dieser Rechtstrend der israelischen Regierung und wie beurteilst Du die Realisierungschancen der Liebermanschen Ausbürgerungsabsichten?
Auf der einen Ebene hat der Einzug Avigdor Liebermans und seiner rechtsradikalen Partei in die Regierung etwas mit den Folgen des Libanonkrieges zu tun. Denn gerade, weil das Vertrauen weiter Teile der israelischen Bevölkerung in die politische Führung einen herben Schlag erfahren hat, ist Ehud Olmert auf die Festigung seiner Regierung durch eine vergrößerte parlamentarische Mehrheit angewiesen. Dass er dabei auf Lieberman zurückgreift, hat vor allem mit dem starken Zulauf, dessen sich seine Partei mit ihrer ultra-rechten Ideologie erfreut, zu tun – was das eigentlich Bedrohliche und Beunruhigende an dieser politischen Wende ist. Auf einer anderen Ebene spiegelt sich aber darin die letzte Konsequenz dessen, was sich schon seit Jahren als die eigentliche Katastrophe der israelischen politischen Wirklichkeit generiert: Die durch die Ermordung Rabins, den Zusammenbruch des Oslo- Prozesses, den Ausbruch der zweiten Intifada und die Heraufkunft der palästinensischen Hamas akkumulierte „Verzweiflung“ weiter Teile der israelischen Bevölkerung am Verhandlungs- und Friedensparadigma und die damit einhergehende zunehmende Befürwortung rechter Glaubensideologeme und Gesinnungsausrichtung. Daß dabei die Heraufkunft der Hamas in erster Linie der Politik Sharons zu verdanken war; daß der Oslo-Prozeß nicht zuletzt deshalb zusammengebrochen ist, weil man den Frieden letztlich gar nicht wollte; daß Rabin von rechtsgerichteten Politmördern liquidiert worden war, wird schlicht und ergreifend übersehen bzw. zurechtrationalisiert. So besehen, möchte ich keinem Alarmismus verfallen und behaupten, Liebermans politische Absichten könnten bald realisiert werden, in der Tendenz jedoch ist eine solche Realisierung allemal angelegt.
Das Interview führte Siegfried Jäger.