Einige verwunderte Anmerkungen zu einem Wissenschaftsskandal in Wien. Von Siegfried Jäger. Erschienen in DISS-Journal 13 (2004)
„Offener Betrug ist in der wissenschaftlichen Forschung selten.“ (Djerassi)
„Cantors Dilemma“ heißt der Roman des ‚Vaters’ der Anti-Baby-Pille, Carl Djerassi, und er bezeichnet es als ein Stück Science-in- Fiction. (Zürich 1991 (Haffmanns)) So sehr Fiction ist das aber nicht, was er zum US-amerikanischen Wissenschaftsbetrieb zu erzählen weiß. Es geht – unter anderem – darum, wie man an den Nobelpreis kommt. Da gibt es Seilschaften, Fälschungen oder doch Täuschungen, autoritäre Professoren, die Schüler und Kolleginnen zur Schnecke machen oder auf ihre Kosten zu Ruhm und Ehre gelangen.
Doch das gibt´s beileibe nicht nur in Amerika. Bei einer Internet-Recherche zu meinem Arbeitsgebiet „Angewandte Diskurstheorie“ habe ich erstaunt und verwundert erfahren, dass die renommierte Österreichische Akademie der Wissenschaften einer bereits fest zugesagten Weiterarbeit von Ruth Wodak als Leiterin des Forschungsschwerpunktes „Theoretische und angewandte Text- und Diskursforschung“ in Fortsetzung ihrer Forschung auf der Grundlage des Wittgenstein-Preises trotz bester Evaluation nicht zugestimmt hat. ((Ruth Wodak hat auch deshalb inzwischen einen Lehrstuhl an der University of East Anglia, Norwich, angenommen und wird dort ab WS 2004 lehren.))
Dies ist ein schwerer Schlag für die internationale Diskursforschung, die sich in den letzten beiden Jahrzehnten insbesondere auch durch die Forschungen Ruth Wodaks in schönster Weise entwickelt hat, nicht zuletzt auch durch die Projekte und die Publikationen, die in Verbindung mit dem Wittgenstein- Preis entstanden sind. Hier wurde eine Basis für weitere Forschung gelegt, die nicht nur dem Ansehen der Akademie, sondern auch der internationalen Geltung österreichischer Wissenschaft großen Auftrieb gegeben hätte. Mit der Ablehnung von Ruth Wodak ist diese große Chance vertan worden. Wie auch dem Presseecho zu entnehmen ist, wird diese Ablehnung vielfach als Skandal gewertet und als ein Akt, der dazu geeignet ist, dem Ansehen der Akademie und der österreichischen Wissenschaft insgesamt erheblichen Schaden zuzufügen.
Das ist sehr zu bedauern. Sehr zu bedauern ist darüber hinaus die Tatsache, dass die Ablehnung mit großer Sicherheit mit Interventionen von Wolfgang Brezinka in Verbindung steht, der Ruth Wodak eine Vermengung von politischer Wertung und wissenschaftlicher Objektivität zum Vorwurf gemacht hat und diesen Vorwurf, mit einem wahrheitsentstellenden Zitat zu untermauern versucht hat. Brezinka richtete ein Schreiben an alle (wirklichen) Mitglieder der Österreichischen Akademie der Wissenschaften. (Vgl. dazu die Artikel in verbalnewsletter, Zeitschrift des Verbandes für angewandte Linguistik, VIII. Jahrgang, 1/2003, S. 17ff.) Der Wortlaut des Schreibens ist hier auf S. 23 zitiert. In dem von Ruth Wodak stammenden Satz: „otherwise, research turns into political action“ strich er z.B. das Wort „otherwise“ und verkehrte damit die Position Wodaks in ihr Gegenteil. Dafür hat er sich zwar im Nachhinein entschuldigt, aber da war das Kind bereits in den Brunnen geworfen und die Weiterarbeit von Ruth Wodak durch die Akademie verhindert.
Ich verfolge die Arbeit von Ruth Wodak seit langem und kann eine solche Vermengung nicht feststellen. Alle Wissenschaft ist kritisch gegenüber vorhandenen wissenschaftlichen Aussagen, indem sie diese überprüft und weiter zu entwickeln versucht. Ein Missbrauch von Wissenschaft als Vehikel politischer Ansichten liegt bei ihren Publikationen nicht vor. Das ist auch (und erst recht) nicht der Fall, wenn sie sich mit Rechtsextremismus, Antisemitismus und Rassismus befasst. Diese sind als soziale Phänomene Gegenstände gesellschaftlicher Wirklichkeit unserer Zeit, wie sie weltweit wissenschaftlich bearbeitet werden (müssen). Ruth Wodak gehört zu den Spitzenforscherinnen in diesen Bereichen.
Dies aber sieht Wolfgang Brezinka, (wirkliches) Mitglied der Akademie, offenbar anders. Er fordert absolute Wertfreiheit für die Wissenschaft und daneben die Fundierung der Praxis (bei ihm der Pädagogik) durch – äußerst konservative – Werte. Aus dieser Haltung heraus kritisiert er die wissenschaftliche Arbeit Wodaks und ihrer Mitarbeiter. ((Von dieser Ablehnung waren auch mehrere Mitarbeiterinnen von Ruth Wodak betroffen.)) Nun ist der Versuch einer solchen Trennung nicht nur sehr umstritten, sondern er wird in der scientific community mehrheitlich als zum Scheitern verurteilt angesehen, wenn nicht gar als unsinnig. Denn Brezinka fordert eine Werturteilsfreiheit von Wissenschaft, um (konservative) Werte umso ungehinderter in die Praxis hineintragen zu können. Der Vorwurf, den er den Arbeiten von Ruth Wodak entgegenhält, fällt insofern auf ihn selbst zurück: Seine Publikationen sind durchgängig nicht nur massiv politisch grundiert, sondern m. E. zudem oft hart an der Grenze des demokratischen Verfassungsbogens angesiedelt.
Wie sehr Brezinka in konservatives bis rechtsextremes Denken verstrickt ist, zeigen allein die Orte, an denen er seine Ergüsse publiziert. So schrieb er in der JUNGEN FREIHEIT, die in den Verfassungsschutzberichten von Baden-Württemberg und NRW unter der Rubrik „Rechtsextremismus“ aufgeführt wird (JF 11/94, S. 11: Vom Rechts- zum Gesinnungsstaat, JF 37/94, S. 17: Neuordnung eines Lebensraums). Ferner schrieb er in der rechts-konservativen Monatszeitung CRITICON (11/1972, S. 20; 33/1976, S. 20; 132/1982, S. 132 (Rezensent)). In seinem Aufsatz „Vererbung, Chancengleichheit, Schulorganisation“ (33/1976, S. 20) stützt er sich positiv auf Hans Jürgen Eysenck, der als weltweit führender Vertreter der rassentheoretischen Psychologie gilt. (Vgl. dazu auch den Eintrag im HANDBUCH DES DEUTSCHEN RECHTSEXTREMISMUS, hg. von Jens Mecklenburg, Berlin 1996, S. 456f.) Auch finden sich Veröffentlichungen Brezinkas in der rechtslastigen Monatszeitschrift MUT, die bis 1983 im Verfassungsschutzbericht aufgeführt wurde und sich heute “im Spannungsbereich zwischen bürgerlich- konservativ und extrem rechts…“ bewegt. (HANDBUCH DEUTSCHER RECHTSEXTREMISMUS, S. 420) (9 Beiträge 1987-1993: Nr. 237/87, 253/88, 254/88, 255/88, 271/90, 285/91, 299/92, 294/92, 304/92, 315/93.).
In der JUNGEN FREIHEIT vom 20.11.1998 lobt ihn Werner Olles, der dem nationalrevolutionären Lager angehört (laut HANDBUCH DES DEUTSCHEN RECHTSEXTREMISMUS, S. 503f.):
„Erziehungswissenschaftler wie Wolfgang Brezinka, in den siebziger Jahren als konservativer Theoretiker abgewertet, fordern heute wieder die Rückkehr zu einer Werteorientierung, zum Mut zur Erziehung und zur Autorität und zur Aufhebung der Nivellierung zwischen Kindern und Erwachsenen. – Die Wiederentdeckung scheinbar ‚überholter’ pädagogischer Tugenden ist hoffentlich ein erster Schritt zu mehr Erziehung und Disziplin.“
An anderer Stelle („Gewalt, Staat und Erziehung“, in PÄDAGOGISCHE RUNDSCHAU 1/1995, S. 3-17) spricht Brezinka von der „sogenannten fremdenfeindlichen Gewalt“ und der „sogenannten Gewalt gegen Ausländer“ und dies, nachdem zigtausende von Anschlägen gegen Menschen mit Migrationshintergrund vorgefallen waren, also nach den Vorfällen von Hünxe, Hoyerswerda, Rostock-Lichtenhagen, Mölln und Solingen, wo Einwanderinnen und Flüchtlinge schwer verletzt und getötet worden waren.
In einem Aufsatz in Bernhard Willms (Hg.): HANDBUCH DER DEUTSCHEN NATION, Band 2, Grabert/ Hohenrain, Tübingen/Zürich1987, S. 157 ff. (Verantwortliche Erziehung. Voraussetzungen für Lebenstüchtigkeit in einer Zeit der Orientierungskrise.) schreibt Brezinka z.B.: „Das verpflichtende Bewußtsein der Zugehörigkeit zum Staatsvolk als Schicksalsgemeinschaft ist schwächer geworden.“ (S. 173) Der (Grabert) Hohenrain-Verlag, in dem das Buch verlegt worden ist, ist übrigens einer der wichtigsten und ältesten rechtsextremen Verlagskomplexe in Deutschland und wird regelmäßig in den Verfassungsschutzberichten gewürdigt.
In EPOCHE, einer rechtskonservativen Zeitschrift, wird folgendes berichtet:
„Wolfgang Brezinka, Erziehungswissenschaftler an der Universität Konstanz (…), sagt über die geistige Bindekraft eines natürlichen Patriotismus, wie er für jedes andere Volk Europas selbstverständlich ist und nur in Deutschland durch den Schuldkult verkrampft und verbogen wird: Es gibt heute keine stärkere Bindekraft zur Integration der Gesellschaft als der Mythos der Nation. Er ist in Deutschland jahrzehntelang bekämpft worden, statt ihn im Sinne eines aufgeklärten Patriotismus zur ideellen Beheimatung der Bürger und zur sittlichen Motivation zu nutzen. Man hat dem deutschen Volk eine kollektive Mitverantwortung für Greueltaten der Vergangenheit auferlegt. Man hat im Mißbrauch des deutschen Nationalbewußtseins genügend Grund gesehen, es für immer zu ächten und durch einen dürren Verfassungspatriotismus zu ersetzen. Man war blind dafür, daß sich jedes Kulturelement mißbrauchen läßt. Wenn man alle Bindungen und Ideale abschaffen wollte, die schon mißbraucht worden sind, dann bliebe nichts übrig. Das Gegenteil von Mißbrauch ist nicht die Abschaffung, sondern der gute Gebrauch. Der Mythos der Nation ist jedoch auch im deutschen Volk noch so tief verwurzelt, daß sich die Bürger die schleichende Entnationalisierung auf Dauer nicht gefallen lassen werden.“ (Siehe www.konservativ.de/epoche/ 138/epo_138s.htm)
Heftigste Kritik gilt natürlich der „Neuen Linken“; nachzulesen ist dies in seinem Buch DIE PÄDAGOGIK DER NEUEN LINKEN aus den siebziger Jahren, das bis in die Gegenwart hinein immer wieder aufgelegt wird. ((Vgl. auch die positive Besprechung dieses Buches in der rechtskatholischen Zeitschrift DER FELS 4/1997 durch Katharina Metzler.))
Dass Wolfgang Brezinka die diskursanalytischen Arbeiten von Ruth Wodak zu den Themen Nationale Identität, Migration und deutschösterreichische Vergangenheit politisch nicht in den Kram passen, verwundert also nicht. Dass er dabei auch zu Mitteln greift, die – wie Djerassi gezeigt hat – zwar auch der Wissenschaft nicht fremd sind, die als anständig zu bezeichnen aber wohl etwas übertrieben wäre, sollte jedoch verwundern.