Rezension von Edzard Obendiek. Erschienen in DISS-Journal 12 (2004)
Was steht in dem viel zitierten Buch des Franzosen? Etwa dies: Nach 1945 waren die USA eine Art von römischem Imperium, d. h. eine Weltmacht mit universalem Ethos, auf Absprachen bedacht und deshalb als Schutzmacht akzeptiert. Denn es drohte die Sowjetunion. Nach der Wende hat sich auch Amerika gewendet. Es meint, nun Weltherrscher zu sein, der das universale Ethos nicht mehr nötig hat, der seine Macht brachial ausspielen, die Verbündeten vor den Kopf stoßen und militärisch überall präsent sein kann. Eine Täuschung. Ein „overstretching“.
Auch deshalb, weil die US-Wirtschaft auf tönernen Füßen steht. Amerika produziert nicht, sondern konsumiert immens und bezahlt das mit den Kapitalströmen vom Ausland, die vom immer noch mächtigen Dollar angelockt werden. Amerikaner bezahlen nicht mit Produkten, sondern der Differenz anderer Währungen zum Dollar. Schon will das Auslandskapital nicht mehr in Produktion investieren, sondern sich in der Wallstreet spekulativ vermehren. Das wird nicht ewig gut gehen. Zur gleichen Zeit konsolidieren sich die anderen Kräfte. Die Entwicklungsländer werden voranschreiten, die Alphabetisierung und die Geburtenbeschränkung beweisen es. Und Europa/Japan/ Russland werden ein immer ausdrücklicheres Gegengewicht gegen die USA darstellen. Wirtschaftlich haben sie die USA längst überholt. Sie werden sich konsolidieren. Die Welt der Zukunft wird keine amerikanische und keine andere Supermacht mehr kennen. Sie wird polypolar sein.
Emmanuel Todd
Weltmacht USA – Ein Nachruf
2003 München: Piper 14. Auflage
ISBN 3-88698-803-1
265 Seiten, 19,90 €