Anerkennung und Ausgrenzung

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Deutschland als multikulturelle Gesellschaft. Rezension von Thomas Quehl. Erschienen in DISS-Journal 12 (2004)

Wer erinnert sich nicht: Kaum sprachen die einen von vermeintlicher ‘Leitkultur‘, schienen andere sich schon nicht mehr sicher, was sie mit ‘multikultureller Gesellschaft‘ eigentlich gemeint hatten. Birgit Rommelspacher zeichnet die Mechanismen nach, durch die in unserer Gesellschaft Definitionsmacht ausgeübt wird und fest umrissene Bilder des Anderen fortwährend durchgesetzt werden. Von Beginn an geht es ihr dabei um den Zusammenhang zwischen der Konstruktion von „Fremdheit“ und sozialen Hierarchien, und es ist einer der Verdienste des Buches, mit einer Fülle von Material aus unterschiedlichen Disziplinen diese Verknüpfungen symbolischer und materieller Grenzziehungen zu beschreiben und immer im Blick zu behalten. In den drei Teilen ‘Selbst- und Fremdbilder‘, ‘Kulturen im Konflikt‘ und ‘Modelle des Zusammenlebens‘ spannt Rommelspacher einen weiten Bogen, der sowohl die psychischen Investitionen des Einzelnen in solche Bilder und Wir-und sie-Unterscheidungen als auch die tiefen Verwurzelungen dieser Diskurse und Machtverhältnisse in der christlich-europäischen Geschichte beschreibt. Dass nur die Auseinandersetzung mit den Diskursen und Praktiken der Vergangenheit auch ein Verständnis gegenwärtiger Ambivalenzen ermöglicht, verdeutlicht beispielsweise das Kapitel ‘Kultur-Geschlecht-Religion. Am Beispiel der Kopftuchdebatte‘. In den Schlusskapiteln wendet sich Rommelspacher Kanada und den USA zu und gibt damit Einblicke in unterschiedliche politische Konzepte des Multikulturalismus. Überzeugend plädiert sie für eine Politik der Anerkennung, die gleichermaßen Pluralisierung und Egalisierung beinhaltet und als solche nicht nur den Diskursen symbolischer Ausgrenzung und des Rassismus entgegentritt, sondern sich durch eine aktive Antidiskriminierungs- und Gleichstellungspolitik auch mit politischen, rechtlichen und ökonomischen Ungleichheitsverhältnissen auseinander setzt. ‘Anerkennung und Ausgrenzung‘ sei dringend zur Lektüre empfohlen, auch wenn – oder gerade weil – man am Ende aufgrund der Menge des angeführten interdisziplinären Materials zahlreiche Markierungen zum Weiterlesen in Rommelspachers Literaturverzeichnis vorgenommen haben wird.

Birgit Rommelspacher
Anerkennung und Ausgrenzung
Deutschland als multikulturelle Gesellschaft
Frankfurt/M.: Campus
ISBN 3-593-36863-3
236 Seiten, 21.50 €