Zukunftsfähiges Vorgreifen oder nachhaltiger Schutz?

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Von Iris Bünger-Tonks und Robert Tonks. Erschienen in DISS-Journal 11 (2003) (= Gemeinsames Sonderheft des DISS-Journals und der kultuRRevolution zum Irak-Krieg, Sommer 2003).

Sind es die Übersetzer, die uns in die Irre führen? Gibt es nur eine, gibt es eine richtige Übersetzung? Ab wann setzt sich die Verwendung eines Begriffes in einem Land als die einzige, die richtige durch? Hierzu ein Beispiel. Nehmen wir den Begriff »Nachhaltigkeit «. Als der englische Begriff »sustainability« im Nachgang zum UNO-Umweltgipfel in Rio 1992 und der resultierenden Umweltagenda der Weltgemeinschaft immer häufiger in den Medien auftrat, neigte man dazu, ihn u.a. mit »Zukunftsfähigkeit« ins Deutsche zu übersetzen, bis man das gute alte Wort der »Nachhaltigkeit« ((Vgl. Duden Die deutsche Rechtschreibung, Mannheim, 2000: »nachhaltig«; einen nachhaltigen Eindruck hinterlassen; nachhaltige Holzwirtschaft (Holzwirtschaft, bei der höchstens so viel Holz geschlagen wird, wie in derselben Zeit nachwachsen kann).)) wieder entdeckte, welches den heutigen Alltagsdiskurs nachhaltig mitbestimmt. ((Zum Begriff »Nachhaltigkeit« vgl. R. Tonks: »Nachhaltigkeit« in: trendInfo, Amt für Statistik, Stadtforschung und Europaangelegenheiten, Stadt Duisburg (Hg.) 2./1996.)) Hier werden zwei unterschiedliche Ebenen eines Begriffes deutlich, die eine nach vorn gewandt und eher vage – zukunftsfähig –, die andere rückwärts gewandt, an den Wurzeln, an dem was bereits besteht orientiert – eben »nachhaltend«.

Nachhaltige Probleme tauchen jedoch auf, wenn man die Verwendung des Begriffes »pre-emptive« in englischsprachigen Medien mit der deutschsprachigen Variante vergleicht. Hier wird der Begriff »präventiv« verwendet.

»Preempt« ist im Oxford Dictionary ((Vgl. The Oxford Universal Dictionary, London, Oxford University Press, revised 1955.)) folgendermaßen definiert: To obtain by pre-emption; hence (U.S) to occupy (public land) so as to
establish a pre-emptive title. Zu »pre-emptive« heißt es: relating or belonging to, or of the nature of pre-emption. »Pre-emption« wird dann erklärt als: Purchase by one person or corporation before an opportunity is offered to others; also, the right to make such a purchase. Nimmt man das Wort auseinander, so bedeutet die Vorsilbe »pre« before, in front, in advance – auf Deutsch also »vor«, »vorher«. »Emption« bedeutet: the action of buying, purchase. Dieser Vorgang des Kaufes hat zur Voraussetzung, dass das Kaufgut zur Verfügung steht, eben »empt« (at leisure) oder »empty« (at leisure, unoccupied) ist, also sozusagen »vor-entleert«, »freigemacht« für eine weitere Verwendung. Im Englischen wird der Begriff hauptsächlich im militärischen Spezialdiskurs verwendet, z.B. im Begriffspaar »pre-emptive strike«.

Ein solcher »pre-emptive strike« ist nun der von den USA, Großbritannien u.a. geführte Krieg gegen den Irak. Zwar handelt es sich hier nicht um öffentliches Land (public land), welches »freigemacht« wird, sondern um einen Staat, welcher von seinem Diktator befreit und einer Demokratie zugeführt werden soll – in zweifelhafter Übereinstimmung mit dem Willen der Bevölkerung und unter Inkaufnahme ziviler Opfer. Der aggressive Aspekt des Vorgehens wird im Englischen »pre-emptive strike« durchaus deutlich – das Land wird »freigemacht« und der, der diese Aktion durchführt, verschafft sich somit eine Art »Vorkaufsrecht«.

Im Deutschen hingegen sieht das ganz anders aus. Hier wird der Begriff »Präventivschlag« verwendet. »Prävention« – heißt es im Duden Fremdwörter-Buch – ist: 1. Das Zuvorkommen 2. Vorbeugung; Abschreckung künftiger Verbrecher durch Maßnahmen der Strafe, Sicherung und Besserung. »Präventiv« ist erklärt als: vorbeugend, verhütend; »Präventivkrieg« als: Angriffskrieg, der dem voraussichtlichen Angriff des Gegners zuvorkommt. Weiter heißt es: »Präventivmedizin«: Teilgebiet der Medizin, auf dem man sich mit vorbeugender Gesundheitsfürsorge befasst.

Der Begriff der »Prävention« dürfte im medizinischen Spezialdiskurs am stärksten verankert sein, präventiv = präservativ, vorbeugend, verhütend. Auch im Sozialwesen spricht man neuerdings von »Präventiver Arbeitsmarktpolitik«. ((Der Ausdruck »Präventive Arbeitsmarktpolitik« ist durchaus missverständlich, da er die Zielrichtung der Vorbeugung offen lässt. Der Ausdruck »Präventive Arbeitsmarktpolitik« ist durchaus missverständlich, da er die Zielrichtung der Vorbeugung offen lässt.)) Die Verwendung des Begriffes »Prävention« im militärischen Diskurs trägt also vorbeugenden, »gesundheitsfördernden«, schützenden Aspekten Rechnung.
Im Unterschied zu dem anfangs angeführten Beispiel »sustainability«, dem verschiedene deutsche Begriffe gegenüberstehen, wird für den englischen Begriff »pre-emptive strike« keine andere Vokabel als »Präventivkrieg« in deutschen Medien angeführt. ((Zur Diskussion um die Begriffe vgl. auch: Harald Müller: »Defensive Präemption« und Raketenabwehr. Unilateralismus als Weltordnung, in: B. W. Kubbik (Hg.): Brandherd Irak. US-Hegemonieanspruch, die UNO und die Rolle Europas, Frankfurt/M. 2003, S. 103-113 zit. nach H. Münkler: Der neue Golfkrieg, Reinbek, Rowohlt 2003, S. 30-33, 158.)) Hier manifestiert sich in der englisch-deutschen Sprachverwendung ein Problem, welches in diesem Krieg grundlegend ist. Kann ein Krieg eine Verhütungs-, eine Schutzmassnahme sein, wie es das deutsche Wort »Präventivschlag« suggeriert oder ist ein Krieg nicht vielmehr immer ein »pre-emptive strike«, ein Versuch des Vorgreifens, welches das Land vom Feind entleert und somit der Durchsetzung eigener Machtinteressen den Boden bereitet?