Von Franz Januschek, erschienen in DISS-Journal 6 (2000)
Unsere Sprach- und Kommunikationsberatungsfirma transcript (gegründet von MitarbeiterInnen des Oldenburger Sprachbüros) arbeitet zusammen mit dem Institut für Bildung und Kommunikation in Migrationsprozessen der Uni Oldenburg an einem Projekt zur Weiterbildung von kosovarischen Lehrkräften. Wir unterrichten zur Zeit geflohene und noch in Niedersachsen lebende LehrerInnen und wollen anschließend unsere Arbeit an der Uni Prishtina und ihrer Lehrerbildungs-Außenstelle Prizren fortsetzen, um auch die während der serbischen Repressionspolitik im Lande verbliebenen (und bis 1999 im Untergrund unterrichtenden) Lehrkräfte zu erreichen. Dass wir uns an beide Gruppen wenden, dient der Vorbeugung unfruchtbarer Reibungen zwischen Dagebliebenen und aus dem Exil Zurückkehrenden. Es gilt, die unterschiedlichen Erfahrungen beider Gruppen zusammenzuführen.
Wir vermitteln Qualifikationen in den Bereichen Demokratiepädagogik, Diskursanalyse, Dramapädagogik, Arbeit mit traumatisierten Kindern u.a. Der erste Kompaktkurs (12 Wochen je 3 ganze Tage) ist Mitte Mai abgeschlossen.
Die Idee des Projekts ist es, die Chancen zu ergreifen, die im kompletten Neuaufbau eines Bildungswesens in einem international verwalteten (man kann natürlich auch sagen: besetzten) Gebiet liegen. Es sind Chancen sowohl für die dort lebende und jetzt erstmals auch politisch dominante albanische Bevölkerung und die im Lande verbliebenen Minderheiten als auch für Europa insgesamt.
Entscheidend ist, die Vorstellung zu überwinden, Kosova sei eine Wunde im Leibe Europas, die man bestenfalls heilen, schlimmstenfalls aber bloß daran hindern kann, sich auf die nähere und weitere Umgebung auszudehnen. Das Gegenteil ist der Fall. Hier leben Menschen, die in ihrer übergroßen Mehrheit das Ziel haben, ein friedliches, modernes, demokratisches und tolerantes Gemeinwesen aufzubauen – und das unter sehr, sehr schlechten materiellen Bedingungen. Nicht, dass es dort keinen ethnischen Hass und keine ethnischen Auseinandersetzungen bis hin zum Terror gäbe (weshalb die anwesenden KFOR-Truppen in Ermangelung von genug ausgebildeter Polizei und Justiz auch recht nützlich sind) – aber es ist eine historische Verblendung (die sich bitter rächen könnte), wenn unsere Medien allein darüber berichten und fort und fort die Vorurteile über jene Balkan-Menschen bedienen, die sich angeblich gegenseitig immer nur die Köpfe einhauen, Blutrache pflegen und deren Heil, wenn überhaupt, dann nur von uns kommen kann. Es treibt uns als DiskursanalytikerInnen zur Verzweiflung, wenn wir Leuten erzählt haben, warum wir das Alltagsleben in Prishtina als merklich entspannter und friedlicher erlebt haben als in deutschen Großstädten und wir dann von ihnen, die nie dort waren, verdächtigt werden, wir hätten nicht richtig hingeguckt, der Terror geschehe ja sowieso immer im Dunkeln usw.
Die Menschen in Kosova haben uns Westeuropäern gegenüber mindestens folgende Vorteile: Sie sind es gewohnt, mit mehreren Sprachen und mit Menschen unterschiedlicher Religionen und unterschiedlicher kultureller Hintergründe zu leben. Und sie haben es bei ihren Reformvorhaben zwar durchaus mit widerstreitenden Interessen, aber nicht mit lauter verkrusteten Strukturen und wohlstandsbesorgten Besitzstandswahrern zu tun. Dies für den Aufbau des Bildungs- und Hochschulwesens systematisch fruchtbar zu machen, ist ein lohnendes Unterfangen, an dessen Erfolg sich hoffentlich noch so manche westeuropäische Institution ein Beispiel wird nehmen können.
Der NATO-Krieg gegen Jugoslawien war m.E. politisch nicht zu rechtfertigen und ist in seinen Auswirkungen (Militarisierung der Außenpolitik Deutschlands und Europas, Schwächung der UNO) wohl verheerend. Es stünde uns auch deshalb gut an, jetzt beim Wiederaufbau ganz Jugoslawiens mitzuwirken. Dass dies zur Zeit nicht geschieht, hat bekanntlich politische Gründe, über die es unterschiedliche Auffassungen gibt. Könnte es deshalb ein politischer Fehler sein, jetzt beim Wiederaufbau Kosovas mitzuwirken, das dann womöglich als westlicher Pfahl im Fleische des unbotmäßigen Serbiens wirken soll? Vorsicht! Wir liefern keine Waffen, auch keine ökonomischen. Wir qualifizieren Menschen dafür, ihre eigenen Ziele diskursiv zu entfalten und sich diskursiv mit anderen auseinander zu setzen. Sicher: man könnte auch das als eine besonders tückische Waffe im Völker-Kampf ums Dasein betrachten und unser Projekt womöglich als serbenfeindlich und politisch problematisch ansehen. Aber wer in allem, was Menschen tun, nur den Kampf ums Dasein sieht: Wo steht der eigentlich?