Wohin mit Haider?

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Normalisieren / dämonisieren. Von Siegfried Jäger, erschienen in DISS-Journal 6 (2000)

Man könnte fast den Eindruck haben, daß die „Neue Mitte“ kurz vor dem Platzen steht. Wer da nicht alles für sich reklamiert, Mann (oder Frau) dieser Mitte zu sein! Es herrscht Gedränge in unserer Gesellschaftsmitte, und kaum jemand läßt es sich gefallen, ein wenig links oder ein wenig rechts davon positioniert zu werden. Das gilt für Schröder wie für Stoiber, für Angela Merkel wie für Guido Westerwelle, und selbst bei den Grünen und auch bei einigen PDS-Größen mit ihrem, wenn auch bedingten, Ja zu deutschen Kampfeinsätzen ist so etwas wie ein Mitte-Drall zu beobachten. Diesen Trend bezeichnet man denn auch mit einem anderen Wort, nämlich als realistisch.

Der Run auf die Mitte wird inzwischen selbst Karikaturisten rechtsextremer Zeitungen zu bunt. In Adaption der für die Charakterisierung der politischen Topik zur Zeit gültigen Kollektivsymbolik wird ein Bündel konzentrischer Kreise, das die Rechts-Mitte-Links-Topik markiert, einfach ein Stück nach links verschoben, so daß etwa die CDU nun plötzlich den Platz einnimmmt, der im Normalo-Verständnis ziemlich unverrückbar der PDS gebührt, die SPD gar erscheint als linksradikal. Auch Rechts, so könnte man lesen, möchte in die Mitte wandern und dort die Stimmen einheimsen, die die Linksparteien vernachlässigt haben. Ein schöner Traum! Aber ist er wirklich so unrealistisch?

Da steht in Österreich ein junger Mann namens Haider auf, modern und fesch, und weigert sich öffentlich, diesen Weg mitzugehen – er gibt sich cool und rechts, gelegentlich ein bißchen nazi-nostalgisch, aber auch wieder nicht wirklich, sondern eher verspielt, dabei völlig normal und – nicht zuletzt – modern und erfolgreich. Er erntet auf dem Feld, das der Mitte-Wahn freigegeben hat: Sowohl in Deutschland wie auch in Österreich ist völkisches Denken wieder salonfähig geworden.

In Deutschland sieht die politische Landschaft in den Köpfen der Menschen allerdings ein wenig anders aus, weshalb hier sich rechtsextrem gerierende Parteien wenig Chancen haben. Mit Strauß und Stoiber ist längst vollzogen, was sich derzeit in Österreich seit nunmehr etwa zehn Jahren redlichen Bemühens des unermüdlichen Trommlers für die rechte Sache und unter unseren Augen abspielt: ein Rechtstrend, für den die CSU steht, mit einem Stoiber, der nicht zufällig bei Haider nichts Schlimmes ausmachen kann. Es wird gemunkelt, daß er statt eines Rasierspiegels immer ein Haiderportrait mit sich führt. Auch CDU und – kaum davon unterscheidbar – SPD haben sich populistisch-völkisch-nationalistische Gedankenbrocken einverleibt, um im Kampf um die Wählermeinung, für deren Zustandekommen sie selbst hochgradig mit-verantwortlich sind, mitmischen zu können. Nur als Symbol für diese Situation sei die faktische Abschaffung des Asyl-Artikels §16 des Grundgesetzes im Jahre 1993 genannt, aber auch die Beteiligung am Nato-Krieg gegen Jugoslawien im Frühjahr 1999. (Auch wenn so etwas für manche bereits wieder als „normal“ gilt, so handelt es sich doch um ein Denken und Handeln, das Ausdruck eines chauvinistischen Machtdenkens ist.)

Das erklärt auch die Heuchelei dieser Parteien der „Neuen Mitte“, mit der sie die Beteiligung der FPÖ an der Regierung in Österreich kommentieren. Und das gilt entsprechend auch für die Parteien der „Neuen Mitte“ in anderen europäischen Ländern. Sie kasteien Österreich und die Haiderianer, weil diese offen das tun, was in unseren Landen noch nicht so recht als „anständig“ gilt: rechte Politik zu machen. Sie setzen ihre Politik durch spektakuläre Tabu-Brüche durch, die sich Deutschland aufgrund seiner faschistischen Vergangenheit so nicht leisten kann. Das mag auch damit zusammenhängen, daß es den Österreichern tendenziell gelungen ist, den Anschluß an Deutschland so umzudeuten, daß sie sich bis auf den heutigen Tag als „unschuldige Täter“ darstellen können, für die völkisches Denken kein Tabu darstellt.

Haiders ideologischer Locus und der seiner FPÖ indes unterscheidet sich – wenn überhaupt – kaum von dem seiner Kontrahenten und Konkurrenten, von dem der CDU/CSU schon gar nicht. Wer also Kohl und Kanther folgt(e), der kann auch Haider folgen oder erst recht Haider folgen. Hier ein Beleg aus einem Interview, das Die Zeit mit Haider führte:

Haider legt los: „Wir sind Österreichs neue soziale Demokratie.“
Zeit: “ Ein ziemlich verwegener Gedanke.“
Haider: „Es ist aber so. Wir treten in die Fußstapfen der jetzigen SPÖ. Unter unseren Wählern sind überdurchschnittlich viele Arbeiter und Frauen. Die SPÖ besteht doch heute aus einer eher rechts orientierten Sozialdemokratie und einem Teil, der links von den Grünen steht. Diesen Spagat wird die Partei nicht mehr lange aushalten, das geben Sozialisten im privaten Gespräch durchaus zu.“

Diese Vision sieht die SPÖ als linke Schrumpfpartei, deren verwaisendes Erbe Haider antreten möchte, indem er die Stimmen der Arbeiterschaft auf die Mühlen der FPÖ zu lenken beabsichtigt.

Haiders Auftreten in Interviews und Talkshows zeigt ihn als schlagfertig, gut informiert, gut vorbereitet, während seine Gesprächspartner weich, unvorbereitet und schlecht informiert wirken, auf seine flotten Sprüche reinfallen und bestenfalls krampfhaft nach ihrer Verwandtschaft mit der Sprache der Faschisten des Dritten Reichs fahnden. Da nimmt Haider seine Nazi-Anspielungen locker zurück, nicht weil er täuschen will, sondern weil er tatsächlich nicht darauf angewiesen ist. (Akribische Sprachuntersuchungen zu Haiders Nazi-Slang laufen denn auch völlig ins Leere, wenn der diskursive Rahmen, in dem sie erst Wirkung erzielen können, ausgespart bleibt.) Haider ist auf der Höhe der Zeit, sein Blick zurück ist bestenfalls kokett. In Wirklichkeit ist er ganz „normal“, modern und traditionsverbunden zugleich, auch er ausstaffiert mit Handy, Laptop und bayrischer Lederhose. Dieser ideologische Spagat macht ihn wählbar für Gestrige und für Freunde des technischen Fortschritts.

In einem Kommentar in der FR vom 8.2. beschreibt Ulrich Glauber Haiders rhetorische Tricks, seine taktischen Mittel wie folgt und glaubt, ihn dadurch entlarven zu können:

Haider halte jedes rhetorische Mittel für erlaubt. Daraus resultierten die folgenden Tricks:

  • „Jede Wissenslücke des Ge-sprächspartners zum eigenen Vorteil ausnutzen;
  • durch hinkende Vergleiche die ei-genen faschistischen Anspielungen relativieren;
  • Anschuldigungen der eigenen Person oder der Bewegungspartei als Angriffe auf das ganze Land oder den gesamten Staat umdeuten; bei treffenden Fragen durch
  • Gegenangriffe ablenken – bei Bedarf mit verbalen Schlägen unter die Gürtellinie;
  • dabei an latente Vorurteile appellieren;
  • Beschuldigungen wie >Landesverrat< in den Raum stellen, ohne daß die Formulierung den Urheber dingfest machen lässt;
  • eigene Flegeleien nach dem Motto >Der andere hat angefangen< rechtfertigen;
  • Entschuldigungen für nicht mehr erwünschte Äußerungen in der Vergangenheit >meinetwegen< so zu formulieren, dass man eigentlich doch im Recht bleibt.“

Solche Tricks kann man aber doch in jeder Talk-Show sehen und hören, bei jedem Disput (nicht nur) unter Politikern. So etwas ist zwar nicht schön, es ist aber leider bereits normal geworden und erklärt nicht im mindesten, wieso Haiders völkischer Nationalismus so attraktiv geworden ist.

Der moralische Aufschrei Europa und insbesondere in Deutschland ist allerdings gerechtfertigt: Haider ist angesichts des Zustands des Bewußtseins einer relevanten Anzahl von Menschen in Österreich durchaus ein gefährlicher Mann, nicht weil er der charismatische Führer wäre, sondern weil er Ausdruck und Sprachrohr einer seit längerem zu beobachtenden Veränderung der politischen Landschaft ist, doch nicht deren Urheber. An seinen Erfolgen zeigt sich eine durchaus bedenkliche Entwicklung, eine neue Stufe einer Rechts-Drift, die Haider erst möglich machte. Sie ist auch deshalb gefährlich, weil sie zu einem veränderten staatlichen Handeln führt.

Die österreichische Linke macht daher völlig zu Recht gegen Haider als Exponenten dieser Rechts-Drift mobil. Das markiert den Unterschied zur Situation in Deutschland: Auch hier grassiert ein alltäglicher, medialer und verbreitet durchaus institutioneller Rassismus (wie in unserem Ausländer-„Recht“), der allseits verharmlost und sogar gehätschelt wird. Damit soll Haider nicht relativiert werden, sondern auf die Heuchelei verwiesen sein, die den Aufschrei begleitet, und auf die Sprachlosigkeit in Deutschland angesichts der Rechtsdrift, die doch offen zu Tage liegt und die dennoch keiner sieht oder sehen will.

Breitere Opposition dagegen könnte sich bilden, wenn der aufgebauschte Unterschied zwischen der FPÖ und den Parteien der „Mitte“ in Österreich und Deutschland als der Schwindel offenkundig wird, der er ist. Geschieht dies nicht, dann könnte die EU-Kampagne sogar die Formierung oppsostioneller Kräfte blockieren, weil diese Kampagne in Deutschland den Eindruck verfestigen könnte, bei „uns“ sei alles gar nicht so schlimm und die Österreicher bräuchten auch nur ein paar überfällige Nachhilfestunden in Sachen Demokratie.

Vorbeugend nennt daher Edmund Stoiber die Europäische Initiative gegen Haider einen „diplomatischen Amoklauf“, und auch die FDP protestiert dagegen: So Guido Westerwelle, der sie als „hysterisch“ bezeichnete. (Beides genüßlich zitiert in der rechtsextremen Jungen Freiheit vom 11.2.00) Auch die Deutschlandausgabe der Newsweek vom 14.2. warnt Europa vor Hysterie. Haider sei für „some Austrians“ „a populist hero“ geworden.

Auch die Industrie nimmt ´s gelassen. Lorenz Fritz, Generalsekretär der Vereinigung österreichischer Industrieller, erhofft sich eine „Verhausschweinung“ der FPÖ durch ihre Regierungsbeteiligung. Dadurch, so hofft er, solle aus der FPÖ eine „stinknormale Partei“ werden. Zitat: „“im Kern hat der Haider ja recht.“ Sie ist halt auch nicht wirklich anders als SPÖ und ÖVP, als CDU und SPD.

Während man sich in Europa einerseits von Haider distanziert, um zu verhindern, daß Vergleiche angestellt werden, die zeigen könnten, daß die FPÖ und Haider sich gar so sehr nicht von der eigenen Position unterscheiden, ist der andere Trick der, Haider und seine Partei zu normalisieren, zu verharmlosen und in die vorhandene politische Landschaft zu integrieren. Damit alles schön modern bleibt, moderne, „Neue“ Mitte. Einen Narren, der das infame Spiel so offen treibt, wie Haider, kann man da entweder nur ausgrenzen, indem man ihn dämonisiert oder stink-normalisiert und an die breite Brust drückt. Damit alles schön „modern“ bleibt, trotz Haider, gegen Haider, zur Not auch mit Haider. Ohne Alternative. Doch, wie der Maler Oskar Kokoschka feststellte: „Modern ist vorgestern.“