Zur Verfilmung von Viktor Klemperers Tagebüchern 1933 – 1945. Von Margarete und Siegfried Jäger, erschienen in DISS-Journal 5 (2000)
Als eine „absolut preisverdächtige Serie mit Kino-Format“ charakterisiert Bettina Kutzner in einer Vorankündigung die ARD-Serie „Klemperer – ein Leben in Deutschland“ am 12.10.99 in der WAZ. In der Halbzeit, also nach Ausstrahlung der ersten sechs Folgen, kündigt die WAZ am 4.11.99 verhaltene Kritik an, indem sie mit Blick auf das geringe Zuschauerinteresse feststellt, daß aber noch „größere Konzessionen an den Massengeschmack … bei diesem Stoff kaum [zu] machen“ sind.
In der Zeit erschien zur gleichen Zeit ein Verriß von Andreas Kilb, der die ersten sechs Folgen unter dem Begriff „Schund“, mit dem kein Zeugnis abgelegt würde, charakterisiert.
Und in der Tat lassen sich an der Serie eine Fülle von Kritikpunkten festmachen, die insgesamt die Euphorie von Bettina Kutzner als naiv erscheinen lassen.
Dabei muß von vornherein zugegeben werden, daß das Vorhaben, die Tagebücher von Victor Klemperer „Ich will Zeugnis ablegen bis zum letzten“ zu verfilmen, ein ehrgeiziges Projekt war und voller Tücken steckt.
Da ist zunächst der diskursive Kontext. In einer Zeit, in der die Wehrmachtausstellung, die Walser-Bubis-Debatte, der Streit um das Mahnmal in Berlin den öffentlichen Diskurs bestimmen, wird ein solches Unternehmen quasi von selbst in einem bestimmten diskursiven Raum positioniert, der auf der einen Seite diejenigen vereint, die vielleicht nicht mit einem Schlußstrich, aber doch als Resultat einer längeren historischen Entwicklung Deutschland als eine ganz „normale Nation“ ansehen wollen. Auf der anderen Seite finden sich diejenigen, die in Abgrenzung dazu hervorheben, daß die Beschäftigung mit Faschismus und Holocaust keineswegs als abgeschlossen gelten kann und daß eine Vermittlung für kommende Generationen dringend notwendig sei.
Auf dem Hintergrund dieses diskursiven Terrains wird eine Verortung des Films vorgenommen und entfaltet er seine (verharmlosende) Wirkung. Daran ändern auch die spektakulären Theatereffekte nichts, zumal diese mit dem Radau des Reality-TV ohnedies nicht mithalten können.
Hinzu kommt, daß auch über die Erinnerungsarbeit durch populäre Spielfilme wie etwa „Schindlers Liste“ oder „Das Leben ist schön“ eine Debatte darüber entstanden ist, ob solche Formen das richtige Mittel darstellen, ob damit nicht „die historische Tatsache der Vernichtung der europäischen Juden zum ‚ganz normalen‘ Stoff“ geworden ist. (Die Woche, 8.Oktober 1999, 42)
Schließlich steckt eine Verfilmung der Tagebücher von Victor Klemperer aber auch aus anderen Gründen vor grundlegenden Problemen. Jeder, der den Film sieht, weiß, daß Klemperer und seine Frau Eva Faschismus und Krieg überleben werden. Sie haben in dieser Zeit schreckliche Erfahrungen machen müssen, sie haben gehungert, sie wurden gedemütigt, doch sie haben überlebt – auch deshalb, weil sie auf Menschen getroffen sind, die ihnen geholfen haben. Insofern geht die Sache „gut“ aus. Da ist die Gefahr, daß der Film, wenn nicht zu einer Verharmlosung des Holocaust, mindestens aber zu einer Vermenschlichung des Faschismus beitragen kann, sehr groß.
Das liegt weniger daran, daß der Film nur sehr wenig mit dem Inhalt der Klemperer-Tagebücher zu tun hat.
Victor Klemperer ist eine zeitgeschichtliche Figur, deren Portrait sich nicht allein aus der Perspektive der Tagebücher erschließen läßt Seine LTI hatte ihn längst vor der Veröffentlichung der Tagebücher über Deutschland hinaus berühmt gemacht.
Die lebensgeschichtliche Leistung von Klemperer, also der Grund dafür, weshalb man nach über sechzig Jahren gerade sein Leben im Faschismus verfilmt, wird so kaum deutlich. Und das ist aus unserer Sicht ein wichtiges Versäumnis. Die akribischen Analysen des faschistischen Diskurses, die Victor Klemperer durch seine Tagebuchnotizen vornahm und die in sein Erfolgsbuch „LTI“ (Lingua Terii Imperii) Eingang fanden, werden im Film, wenn überhaupt, nur ganz am Rande erwähnt. Er wird zwar ständig bei seiner Arbeit gezeigt, doch der Zuschauer und die Zuschauerin erfahren nicht, was er schreibt. Damit bleibt aber im Dunkeln, was erhellt werden könnte: Die Verstricktheit der Menschen in den faschistischen Diskurs, die nahezu bewußtlose Übernahme rassistischer und antisemitischer Vorurteile mit daraus folgenden Praktiken, gegen die Victor Klemperer anschreiben wollte.
Stattdessen sehen wir eine Reihe von Szenen, die die faschistischen Praktiken als außerhalb des alltäglichen Zusammenhangs liegend darstellen. Es fällt eine eigentümliche Diskrepanz ins Auge: Die Personen, die mit zunächst offenen, später versteckten Gesten und Handlungen ihre, wenn auch nicht direkt antifaschistische, so doch menschliche Gesinnung zeigen, indem sie dem Ehepaar helfen und zur Seite stehen, sind auf teilweise sehr sensible Weise in die Handlung integriert. Dagegen werden die herausragenden Ereignisse der faschistischen Entwicklung, wie etwa die Pogromnacht, der Erlaß und die Folgen der sogenannten „Rassegesetze“, der Zwang, den Judenstern zu tragen und die Judendeportation mit Verfremdungseffekten in Szene gesetzt. Auf diese Weise kann der Betrachter den Eindruck gewinnen, der alltägliche Faschismus sei gar nicht so schlimm gewesen und habe mit dem staatlichen Faschismus nur wenig zu tun.
Hinzu kommt, daß die Erzählung des faschistisch-geprägten Lebensalltags sehr stark mit emotionalen (Liebes-)Geschichten aufgeladen wurde. Damit wird aber das Problem in hohem Maße individualisiert und privatisiert.
Eine weitere Schwäche der Verfilmung ist sicher in Verbindung mit einem Zugeständnis zu diskutieren, das dem populären Prime-Time-Sendeplatz direkt nach der Tagesschau geschuldet ist. Es beginnt damit, daß einzig die erste Folge sich über mehr als 90 Minuten erstreckte, alle weiteren waren nur wenig mehr als eine Dreiviertelstunde lang. Da bleibt wenig Zeit, um in die Atmosphäre einer vergangenen Zeit einzutauchen. Zudem waren die Folgen nicht durch Rückblenden miteinander verbunden, so daß – gleich einer Serie wie Liebling Kreuzberg o.ä. – die einzelnen Folgen für sich standen und relativ voneinander isoliert rezipiert werden mußten. Auch diese Umstände zeugen von einem oberflächlichen Umgang mit dem Stoff; ihre blockierenden Effekte sollten nicht unterschätzt werden.
Ist also aus diesen Gründen der Film schlecht oder gar schädlich für eine weitere Auseinandersetzung mit dem Faschismus? So weit wollen wir in unserem Urteil nicht gehen. Dazu ist zum einen die schauspielerische Leistung vor allem der Hauptakteure zu ausgefeilt. Auch sind die einzelnen Folgen nicht alle von gleich schlechter Qualität. Und schließlich kann die Tatsache, daß ein Teil der Bevölkerung sich auf diese Weise mit dem Holocaust beschäftigen konnte, kaum schädliche Auswirkungen haben. Doch obschon nach Literaturverfilmungen meist betont wird, daß der Film die Lektüre nicht ersetze, muß dies für diesen Film in ganz besonderer Weise herausgestellt werden.