Eine Reise in den virtuellen Untergrund

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Von Stefan Jacoby, erschienen in DISS-Journal 5 (2000)

Neben den bekannten Werbeseiten von rechtsextremen Parteien, Organisationen und Zirkeln existiert im Internet ein virtueller Untergrund, der vor allem mit der Nazi-Musikszene verwoben ist.

Gast bei „Xoom-Juden“

Die deutschsprachigen Nazi-Seiten befinden sich meist auf Servern, die kostenlose homepages für jedermann anbieten, z.B. Freeservers, Geocities, Tripod, Yoderanium und Xoom. Offenbar werden solche strafbaren Seiten immer wieder gelöscht, aber oft genauso schnell unter anderem Namen wieder eingerichtet. Allzu dankbar sind die deutschen Nazi-Skins ihren Gastgebern nicht. So schimpft beispielsweise „Bulldog88“: „Die XOOM-Juden ham mir neulich alle meine Seiten gelöscht… also auch alle Mp3z. bin jetzt bei FREESERVERS, und hoffe die haben keinen Hass auf Nationalisten.“

Die Freude von „Bulldog88“ über seinen neuen Unterschlupf währte übrigens nicht lange. Anfang August sperrte der Anbieter Freeservers seine Seiten mit dem Hinweis, illegale Aktivitäten, Rassismus und Haßpropaganda seien inakzeptabel und führten zur Löschung und Entfernung von ihren Rechnern. Man darf gespannt sein, wo „Bulldog88“ als nächstes wieder auftaucht.

Vermeintliche Anonymität

Die eindeutige Strafbarkeit des Inhalts der meisten Seiten ist den Akteuren bewußt. Sie glauben, sich hinter der vermeintlichen Anonymität des Internets verstecken zu können. Doch das ist eine Illusion. Jede Aktion im Netz hinterläßt Spuren. So ist beispielsweise dem US-Provider von freien homepages ohne weiteres möglich, zu ermitteln, von welchem Rechner aus die verbotenen Seiten eingespielt werden. Ob die bundesdeutschen Sicherheitsbehörden allerdings das nötige Fingerspitzengefühl für eine freiwillige (!) Kooperation aufbringen, darf bezweifelt werden. Trotzdem werden immer wieder Betreiber von Nazi-Seiten ermittelt. So klagt beispielsweise „Donnergott“ alias „Meck88“ in seinem Gästebuch:

„Die Seite kann im Moment nicht aktualisiert werden, da der Staat ja meinte, die Seite würde gegen §86, 86a, 185 usw.verstossen. Computer, CDs und sonstiges wurde beschlagnahmt, dafür wurden aber 2 Anklagen dagelassen. Aber die Schweine können sicher sein: Ich lass mich nicht unterkriegen!!! Heil Euch!“

Ihm antworten seine Fans, die z.T. ihrerseits ähnliche homepages betreiben. „Stinger88“ schreibt:

„Heil Dir Kamerad! Deine Seite ist echt klasse! Schon Scheisse, das mit der Beschlagnahmung… Aber es wird die Zeit kommen, da werden diese Scheiss-Juden Schweine dafuer bezahlen! Und diesmal brauchen wir wirklich Gas! Zyklon B wird Euch da wie Atemluft vorkommen!!!!!! Sieg Heil! 88 Gruesse an alle Kameraden, die die Bewegung aufrecht erhalten! Stinger88“

Der Mordaufruf von „Stinger88“ ist beileibe kein Einzelfall, sondern eher der normale Umgangston in diesen Kreisen. Ähnliche Ausfälle findet man auf vielen der hier erwähnten homepages, in den Gästebüchern und natürlich in dem Bereich, der die Szene zusammenhält – in den Songs der Musikgruppen.

Bei allen Seiten fällt auf: sie sind eng miteinander vernetzt, in den Gästebüchern gratulieren sich die Betreiber gegenseitig und geben zu erkennen, daß sie z.T. persönliche Kontakte pflegen.

MP3 – Musik in CD-Qualität

Neben politischen Pamphleten, Gästebüchern, Konzertberichten, Fanzines, Hakenkreuzgrafiken und Hitlerbildern haben die meisten Seiten eine weitere Attraktion zu bieten: die sogenannten MP3-Dateien.

Durch ein neuartiges Kompressionsverfahren für Musikdateien gelingt eine Reduktion auf ca. 1/10 des Originals ohne hörbaren Verlust. Damit lassen sich erstmals Musikdateien in CD-Qualität über das Internet verbreiten.

Dies wird auch von Neonazis genutzt. Auf diesem Wege finden nun gerade die übelsten Machwerke eine weite Verbreitung. Während beschlagnahmte CDs bisher im Ausland gepreßt und konspirativ unterm Ladentisch gehandelt wurden und nur die engere Szene erreichten, werden die MP3-Versionen nun per Internet breit gestreut. Mit entsprechender Software lassen sie sich sogar per CD-Brenner in normale Audio-CDs zurückverwandeln, die auf jeder Stereoanlage abgespielt werden können.

Damit sind Verbote und Indizierungen von Nazi-Musik zunächst einmal weitgehend ausgehebelt. Die Peerenpage formuliert es drastisch: „BPJS verrecke!“ – gemeint ist die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPjS).

Während der ca. 14tägigen Materialsammlung für diesen Artikel fielen etwa 600 MB mit einschlägigen deutschsprachigen MP3-Dateien an. Dies entspricht einer Spieldauer von über 10 Stunden.

Brutalster Nazismus

Inhalt der Songs ist ein brutalster Nazismus, wie er so in keinem Flugblatt steht. Bei den professionelleren Combos ist das nicht nur Aufgeschnapptes, was man leichtfertig als Provokation abtun könnte, sondern ein geschlossenes Nazi-Weltbild. Darüber kann auch die grausige Qualität der Verse nicht hinwegtäuschen. Klassische antisemitische Verschwörungstheorien, Germanenkult, religiöser Bezug zur Nation, Aufruf zur physischen Liquidierung alles Fremden und ein regelrechter Kult um Hitler, SA und Hakenkreuz.

Selbst hartgesottene Beobachter überrascht, welch zentrale Rolle der Antisemitismus in der Tradition der Verschwörungstheorien um die „Protokolle der Weisen von Zion“ wieder hat und wie offen dies an Vernichtungsphantasien gekoppelt ist. Hier ist längst der Schritt von der Leugnung zur offenen Billigung des Holocaust vollzogen.

„Adolf Hitler, unser Führer / Adolf Hitler, unser Held / Adolf Hitler war der größte / Revolutionär der Welt // Juden und Freimaurerorden / Wollten ihn immer wieder ermorden / Am 20. Juli ham’ sie es versucht / Auf Ewig seien ihre Namen verflucht // Die Juden mit ihrer Unmenge Geld / Hetzten gegen Deutschland die Armeen der Welt / Und wir glauben nicht an des Führers Selbstmord / In unsren Herzen lebt er ewig fort“ [Weißer Arischer Widerstand: Adolf Hitler, unser Führer]

Zum Abschuß werden freigegeben: „Juden“, „Zecken“, „Kommis“, „Türken“, „Zigeuner“, „Neger“.

Der verstorbene Vorsitzende des Zentralrats der Juden Ignatz Bubis war zu seinen Lebzeiten das zentrale Haßobjekt der Neonazis. Daß solche und ähnliche Schmähungen wieder möglich sind und nur halbherzig verfolgt werden, dürfte einer der Gründe für Ignaz Bubis’ Wunsch gewesen sein, nicht in Deutschland begraben zu werden.

„Bubis, Du Sack, hör gut zu! / Dein Todeslied könnte dies sein / Ja, irgendwann ist der Schuß im Ziel, / Wir kühlen schon die Flaschen Wein / Die Warnung ist unser Ernst, Deine Judenhaut überreif / Die Deutschen kann man nicht besiegen / Du auch bald an Deinem Todestag begreifst // Am Tag, als Ignatz Bubis starb / Und alle Juden heulten / Am Tag, als Ignatz Bubis starb / Und alle Gläser klingen / Das wird ein schöner Tag / Wir pissen auf sein Judengrab“ [Die Härte: Am Tag, als Ignatz Bubis starb]

Rechter Terror

Als der Rechtsterrorist und Polizistenmörder Kay Diesner verhaftet wurde, bezeichnete er sich als Mitglied der Organisation „Weißer Arischer Widerstand“. Diesner wurde als wahnsinniger Einzeltäter verurteilt. Heute wird er intensiv von Neonazis im Knast betreut und der extremste Teil der Szene feiert ihn als Held und leuchtendes Vorbild.

Eine Gruppe nennt sich „Weißer Arischer Widerstand“ und singt: „Nehmt die Waffen zur Hand“: Widerstand, nehmt die Waffen zur Hand / Granaten und Gewehre / Wie einst Äxte und Speere / Jagt das Gesindel aus unser’m Land // Stasi-Schweine, ja ihr aus dem Westen / Wir haben jetzt Sprengstoff, Semtex vom besten / Für jede Verhaftung von Euch gibt’s ‘nen Knall / Wir bringen das Terror-System hier zu Fall // Asylbetrüger, Zigeunerpack / Genug schmarotzt, jetzt gibt’s auf den Sack / Wir packen die Itzigs an ihren Zinken / Es gibt keine Gnade, auch nicht für die Linken“

Die Seite „German Oi Center“ bietet eine praktische Anleitung für den rechten Terror. Unter dem Titel „Der kleine Sprengmeister“ erhält man eine detaillierte, mit Fotos in der Machart einer Bastelanleitung versehene Anleitung, z.B. zum Bau von Rohrbomben aus handelsüblichen Einzelteilen. Der Autor demonstriert die Schlagkraft seines Produktes durch Fotos von Sprengversuchen an einem Wohncontainer.

Virtuelles Indiz für eine reale Gefahr

Zahlreiche Gerichtsverfahren belegen – es bleibt nicht nur bei blutrünstigen Worten. Immer wieder berichten Täter rechtsextremer Gewalt, sie hätten einschlägige Musik vor ihren Übergriffen quasi als Aufputschmittel benutzt und seien dann meist alkoholisiert in der Gruppe losgezogen, um sich ein Opfer zu suchen.

Nicht unterschätzt werden sollte auch die ideologische Indoktrination, die vor allem für Jugendliche von diesen Texten ausgeht. Sie sind die Einstiegsdroge für ein geschlossenes nazistisches Weltbild.

Die Nazi-Aktivitäten im Internet sollten vor allem als Indiz dafür gewertet werden, daß sich im realen Leben etwas zusammenbraut. Warnungen vor der Gefahr eines rechten Terrorismus sollten endlich ernstgenommen werden. Das Internet ist hier nur das Medium, durch das der oft verleugnete Mißstand öffentlich wird. Nazi-Propaganda im Netz wird sich auch ohne die von Geheimdiensten immer wieder geforderte Verletzung der Privatsphäre der deutschen Internet-Nutzer erheblich einschränken lassen. Das Problem einer zahlenmäßig relevanten und in Richtung Terrorismus driftenden rechten Jugendszene wird man dadurch aber nicht aus der Welt schaffen können.