Gedanken zur Normalität der Kriegsberichterstattung und zu einer Ausnahme. Von Margarete und Siegfried Jäger, erschienen in: DISS-Journal / kultuRRevolution: Im Auge des Tornados (Gemeinsames Sonderheft Mai 1999) (= DISS-Journal 4 (1999))
Die Medien sind verunsichert. Sie räumen ein, daß auf die Informationen, die gebracht werden, kein Verlaß sei. Nachdem wochenlang bereits munter und artikelreich drauflos berichtet worden war, bringt die FR am 12.4. erstmalig einen Kasten »In eigener Sache«, in dem sie notiert: »Die meisten Angaben über das militärische und politische Geschehen stammen aus Quellen, die den jeweiligen Konfliktparteien und deren Informations-, Desinformations- und Propagandainteressen unterstehen. Ob und in welchem Umfang diese Angaben den Tatsachen entsprechen und was dabei verschwiegen wird, ist in vielen Fällen nicht nachprüfbar. Zur besseren Einschätzung der Berichte bemüht sich die FR-Redaktion, die jeweiligen Quellen zu benennen, und bittet die Leserinnen und Leser, diese Umstände bei der Lektüre zu bedenken.«
Dieser Kasten folgt danach unregelmäßig an gleicher Stelle auf den ganzseitigen Berichten, Kommentaren und Bildern zum Kosovo-Krieg. Ähnliche Stellungnahmen oder auch Analysen zur Rolle der Medien im Krieg finden sich, wie gesagt, in allen Zeitungen. So schreibt die FAZ – merkwürdigerweise auch am 12.4, als hätten sich die Medien verabredet: »Das erste Opfer in Zeiten des Krieges ist die Wahrheit«; und sie zitiert den englischen Philosophen David Hume, mit der Erkenntnis, in jedem Krieg werde der Feind verteufelt und die eigene Sache beschönigt.
Nun ist bis zum 12.4. der Feind bereits in ausreichendem Maße verteufelt worden. Die Fronten sind klar, der Code für die Entschlüsselung der Quellen ist fixiert: Milosevic ist »Hitler,« er ist »der Schlächter«, er betreibt einen »Völkermord am eigenen Volke« und gehört vor ein Gericht. Da weiß man dann ja, wie man serbische Quellen einzuschätzen hat. Sie sind Milosevicsche Propaganda und müssen entsprechend gegen den Strich gelesen werden.
Gezwungen zuzugeben, daß man nicht über Tatsachen berichtet, was ja auch ansonsten höchst selten der Fall ist, greift man zu dem Mittel der Erzeugung parteilichen Mitleids, das am wirkungsvollsten ist: Fotos vom Elend und vom Schrecken, Fluchtszenen, die Entsetzen über die Leiden der Opfer, Betroffenheit und in deren Gefolge eine riesige Spendenflut auslösen. Über Wochen fast täglich schaut einen eine weinende Mutter mit Kind auf der ersten Seite der Westdeutschen Allgemeinen Zeitung an – die Jungfrau mit dem Kind, die einem das Herz bricht. Den Politikern, die den Krieg als alternativlos propagieren, wird dadurch zu Rückhalt und Akzeptanz in der Bevölkerung verholfen.
Zugleich wird weiter insistiert, daß eine Lösung des Konfliktes nicht zu haben ist, schon gar keine schnelle. Neben die Betroffenheit tritt die Ratlosigkeit, treten Ohnmachtsgefühle bei aller Bereitschaft, etwas zu tun. Die Katastrophe scheint nicht zu stoppen. Sie lastet wie blinde Natur auf der Welt, und wie auf eine Naturkatastrophe reagieren die Menschen der reichen Länder mit Mitleid und spenden, wie sie es in solchen Fällen immer tun. Da zugleich die Anbindung dieser Katastrophe an das Feindbild Milosevic greift, wird dieser, wenn nicht mit dem Reich des Bösen, dann doch mit dem brachialen Walten der Natur assoziiert, dem man mit menschlichen Mitteln nicht wehren kann.
Abhilfe durch Politik scheint obsolet, und die Menschen wenden sich an die nicht-politischen Hilfsorganisationen (NGOs), die die Schäden vermindern sollen. So ist das Problem dem politischen Raum entzogen, politische Lösungen werden undenkbar, die Bevölkerung wird entpolitisiert. Die Frage, ob die Nato eine politische Alternative anzubieten hätte, wird erst gar nicht mehr gestellt. Die Katastrophe nimmt ihren Verlauf: Die Lawine der Gewalt kann nicht aufgehalten werden, es sei denn durch gewaltige Notmaßnahmen: Einsatz von Bodentruppen oder Ausradierung der Ursache Belgrad und Milosevic.
Es findet sich eine Ausnahme, die dieser Strategie zuwiderläuft: In einem kleinen Artikel aus der FR vom 23.4.1999 ist zu lesen: »Die Vertreibung der Kosovo-Albaner ist nach Angabe der Juristenvereinigung Ialana ‚erst die Folge der Kriegsereignisse nach dem Beginn der Nato-Luftangriffe‘. Die Organisation stützt ihren Vorwurf auf Einschätzungen des Auswärtigen Amtes. Aus den Bewertungen der Behörde von Bundesaußenminister Joschka Fischer (Bündnisgrüne) gehe hervor, daß vor dem 24. März, dem ersten Tag der Luftschläge des westöstlichen Militärbündnisses, ‚keine Verfolgung durch die serbisch dominierte Staatsmacht wegen der Volkszugehörigkeit der Kosovo-Albaner drohte‘.«
Da das Auswärtige Amt nun wirklich keine serbische oder serbien-freundliche Quelle darstellt, kann man dieser Information ja wohl Glauben schenken. Dieser zufolge ist also die »humanitäre Katastrophe« ein Werk der Nato.
Damit nicht genug: Das Artikelchen der FR vom 23.4. enthält noch eine weitere spannende Auskunft: Die Behörde Fischers, also das Außenministerium, so steht da zu lesen, teilte dem Verwaltungsgericht Trier am 12. Januar dieses Jahre noch mit: »Eine explizit an die albanische Volkszugehörigkeit abknüpfende politische Verfolgung ist auch in Kosovo nicht festzustellen.« Das politisiert doch, oder?? Lügt er nicht, wenn er sagt, Milosevic sei der Verursacher der Katastrophe, und seine »Behörde« sagt, es sei die Nato? Sollten wir da nicht erwarten können, daß Fischer zurücktritt?