»DIESE BILDER!!«

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Von Jürgen Link, erschienen in: DISS-Journal / kultuRRevolution: Im Auge des Tornados (Gemeinsames Sonderheft Mai 1999) (= DISS-Journal 4 (1999))

Für die Sendung vom 15. April hatte Panorama ein Interview mit mir aufgenommen, das, wie man mir kurzfristig mitgeteilt hatte, »aus rein technischen Gründen« herausgenommen wurde. Ich ließ mich überzeugen, bat aber um zumindest einen Tonmitschnitt, damit ich – nach Transkription – meine improvisierte Argumentation weiter verwenden könnte. Diese Geschichte ist momentan noch nicht beendet: bisher weigert Panorama sich hartnäckig. Ich kapiere die Gründe nicht. So muß ich im folgenden aus dem Kopf rekonstruieren. Ich sagte in dem Interview in etwa, daß meines Erachtens die gravierendste Manipulation gar nicht im NATO-Jargon von der Art »Implementierung von Frieden« (statt »Krieg«) oder »Kollateralschäden« (statt »Bomben auf Flüchtlinge«) liege. Ich äußerte meine Überzeugung, daß die Zuschauer schlau genug wären, um den Realsinn solcher Profiwörter umgehend zu kapieren. Ich meinte, daß mit solchen Wörtern eher eine Arbeitsteilung »implementiert« würde: Wir Profis machen den Krieg, ihr macht euren normalen Job weiter, gebt uns bei Umfragen eure Zustimmung und lebt einfach normal weiter.

Ich sagte dann, daß es meines Erachtens drei viel schlimmere Manipulationen gäbe, und zwar:

Erstens die Reduktion aller komplexen Probleme des Balkans auf eine bloß zweiwertige Schwachkopf-Alternative (also Alternativlosigkeit): Entweder Milosevic oder Tornado. Wer gegen Milosevic ist (sind Sie etwa für Milosevic?!), muß für Tornado sein. »Vogel friß Tornado oder stirb!« (Daß ich das wörtlich sagte, weiß ich noch – schade, daß es aus technischen Gründen nicht über den Bildschirm laufen konnte.)

Zweitens die teuflische Kombination aus extremer Personalisierung (»Milosevic«, »Er«) und Kollektivschuld (»die Serben«). Einerseits: »Wir kämpfen nicht gegen das serbische Volk, wir schneiden bloß Ihm die Sehnen durch und zerstören Sein Zentralnervensystem.« – Anderseits: »Die Serben haben schwangeren Frauen die Bäuche aufgeschlitzt (usw.)« (O-Ton Sharping, Nachbarin Euer Fläschchen). Also wird doch eine Milosevic-Karikatur über das ganze Volk gemalt und diese Karikatur dann samt realer Unterlage Scheibe für Scheibe weggebombt.

Drittens und vor allem aber dann: »Diese Bilder!!« Ich zitierte wiederum Sharping: »Ist das alles nur Erfindung und Propaganda, was Menschen uns erzählen: daß man die Leichen mit Baseballschlägern zertrümmert, daß man ihnen die Gliedmaßen abtrennt und die Köpfe abschlägt? (…) Wenn der Kollege Gysi sagt, er habe keine Bilder gesehen, zeige ich Ihnen hier eines. (…) Schauen Sie sich das an! Es gibt Dutzende solcher Bilder.« (Bundestag 15. April) Das hochgehaltene Bild war wenigstens am Fernsehen unscharf, ich konnte nichts erkennen. Vielleicht waren Leichen darauf, vielleicht lebendige Flüchtlinge. Ich sagte in dem schon vorher aufgenommenen Interview in etwa, daß von den Bilder-Zeigern klammheimlich vorausgesetzt wird, diese Bilder bewiesen etwas, und zwar: daß nur Tornados den Opfern auf den Bildern helfen können. Ich gestand, daß mein Gehirn nicht so schnell laufen kann und sich fragt: Beweisen die Bilder, wenn es darum geht, daß diese Bilder etwas beweisen sollen, nicht im Gegenteil, daß die Tornados den auf den Bildern sichtbaren Opfern eben gerade nicht geholfen haben, ihnen offenbar nicht helfen konnten und deshalb vermutlich auch künftigen Opfern nicht helfen können? Daß die Tornado-Strategie also sofort beendet werden muß?

Sharping dagegen ist sich offenbar sicher, daß kein Zuschauer auf solche Ideen kommen wird, jedenfalls nicht spontan. Dieser Zuschauer sieht nur die Bilder und fühlt sich durch sie verletzt und ohnmächtig. In seinem schockierten, rein emotionalen Zustand, worin ihm Sprache und Argument verweigert werden, »schießen« ihm zwei »Ideen« durch den Kopf: »Das haben die Serben getan«, und: »Das muß radikal weggemacht werden« (und der radikalste Wegmacher heißt nun mal eben Tornado).

Bis heute konnten diese drei grundlegenden Tricks, an denen die gesamte Rechtfertigung des Krieges in der Öffentlichkeit, seine »Akzeptanz«, hängt, auf den großen Kanälen nicht in Ruhe auseinandergenommen werden: Daß die Reduktion der Komplexität des Krieges auf bloß zwei Möglichkeiten, die Personalisierung plus Kollektivschuld und die paralogische Beweislast der »Bilder« gleich drei diskursiven Bombardierungen der Zuschauer sind, die sofort und bedingungslos eingestellt werden müssen. Mindestens das sollte doch selbstverständliche Pflicht normaler Medienleute im historischen Land der Kriegspropaganda sein: jedesmal beim Einsatz dieser Bomben zu protestieren, statt sie sogar selber noch zu zünden.