Gewalt in den Medien am Beispiel von Rassismus und Rechtsextremismus

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Siegfried Jäger untersucht, wieweit die Medienberichterstattung zur Welle rassistischer Gewalt beigetragen hat. Vortragsmanuskript aus dem Jahr 1994.

Vorbemerkung

Brandanschläge auf Einwanderer und Flüchtlinge und andere von der sogenannten deutschen Normalität abweichende Menschen häufen sich seit Mitte der 80er Jahre. Sie bilden eine seit Jahren ununterbrochene Kette, der sich erst in den letzten Wochen die Anschläge von Bielefeld, Zaithain (Sachsen) und Eberswalde sowie die Vorfälle in Magdeburg und Halle hinzugefügt haben.

Die Frage danach, wo die Ursachen für diese viel zu spät wahrgenommene Eskalation der Gewalt liegen, beschäftigt erst seit den Anschlägen von Hünxe, Hoyerswerda, Rostock, Mölln und Solingen die Republik – und leider erst, seitdem es Tote und Schwerverletzte in großer Zahl und in immer dichter werdender Folge gegeben hat. Dabei war schon 1988 ein schwerer Anschlag mit drei toten Türken und einem toten Deutschen in Schwandorf erfolgt, der aber nicht öffentlich zur Kenntnis genommen worden ist. Dabei brannten schon in den frühen achtzigern Flüchtlingsunterkünfte. Und ferner ist zu sagen: Diese massivere Reaktion erfolgte so spät, obwohl es an Warnungen vor einer solchen Entwicklung in den Jahren davor wahrlich nicht gefehlt hat.

Die Ursachen für diese Eskalation sind also nicht erst nach der Wende 1989 oder gar in der Wende von 1989 zu suchen. Sie sind weit davor zu verorten, und wenn man sie ergründen will, muß man etwas tiefer ansetzen. Mehr noch, wenn man diese Entwicklung stoppen will, muß man sehr genau analysieren, wie diese Entwicklung verlaufen ist und wie die derzeitige Situation beschaffen ist. Auf dieser Basis ist eine gewisse Prognostik möglich, die auch gewisse Möglichkeiten der Gegensteuerung bereitstellt.

In meinem heutigen Referat kann ich auf nur einen Aspekt der Ursachen der Eskalation rassistisch motivierten Terrors eingehen, auf den Beitrag der Medien.

Die Frage, ob die Medien zur Erzeugung und Verfestigung von Gewaltbereitschaft in der Bevölkerung beitragen, wurde in der Vergangenheit häufig damit beantwortet, daß die Medien in erster Linie informieren und nur wiedergeben, was der Fall ist. Über die Wirksamkeit von Sprache und damit auch der Medienansprache wisse man nichts Genaues. Deshalb verwahre man sich auch dagegen, für irgendwelche Folgen irgendwelcher Berichterstattungen verantwortlich zu sein.

Doch nach der Eskalation von rassistisch motivierter Gewalt ist im Verlaufe der letzten sechs Jahre hier nach meinen Beobachtungen bei manchen JournalistInnen ein gewisses Umdenken eingetreten. In einem am 16. Dezember 1993 einstimmig beschlossenen Papier des Rundfunkrates des Westdeutschen Rundfunks heißt es zum Beispiel:

„Journalistinnen und Journalisten sind nicht nur beschreibende und darstellende Chronisten der politischen und gesellschaftlichen Realität, sie sind auch Akteure und können gar zu Tätern werden. Sie haben auf die Verantwortlichkeit der Politik zu verweisen, aber auch Eigenverantwortlichkeit wahrzunehmen. „

Dieser These des WDR-Rundfunkrates stimme ich im großen und ganzen gerne zu, und ich will in diesem Referat das Ziel verfolgen, sie zu untermauern und anhand einer Reihe von Beispielen weiter auszudifferenzieren.

Ich will dies am Beispiel der Berichterstattung über Einwanderer und Flüchtlinge versuchen und auch Berichte über rechtsextreme Aktivitäten einbeziehen.

Parallel zum Auftreten rassistischer Elemente in den Medien werde ich thesenhaft die wesentlichen Ergebnisse meiner Studien zum Rassismus im Alltagsdiskurs anführen, die in meinem Buch „BrandSätze“ ausführlich dokumentiert sind. Hier wurde sichtbar, daß die Medien erheblichen Einfluß auf das alltägliche Denken, Sprechen und Handeln der Menschen haben.

Zunächst möchte ich aber knapp die theoretisch-methodischen Grundlagen unserer Vorgehensweise erläutern, insbesondere was die Frage der Wirksamkeit der Medien, oder allgemeiner: von Diskursen generell betrifft. Dazu möchte ich aber auch ganz knapp den von uns verwendeten Begriff von Rassismus umreißen. Dieser Passus ist besonders wichtig, weil damit zum einen die Grundlage für die Beantwortung der Frage gelegt wird,

– ob die Medien für die Eskalation von Gewalt mitverantwortlich sind; zum anderen aber auch für die Frage,

– was von journalistischer Seite für den Abbau von Gewalt und Rassismus getan werden kann.

 

1. Teil: Einige notwendige Klärungen

1.1. Sprachliche Regulation auch durch die Medien? Einige knappe Bemerkungen zu Diskurstheorie und Diskursanalyse

(Der Ansatz, den wir seit einigen Jahren entwickelt und in einer Reihe von empirischen Studiem erprobt und erweitert haben, stützt sich letztlich auf einige Grundannahmen des französischen Philosophen Michel Foucault.

Hier waren für mich die Vorarbeiten von Jürgen Link und der Diskurswerkstatt Bochum von besonderer Wichtigkeit.)

Diskursanalyse versteht im Anschluß an Michel Foucault und insbesondere auch Jürgen Link unter Diskurs Redeweisen, an die Handlungen gekoppelt sind und die insofern Macht ausüben. Es handelt sich um Materialitäten ersten Grades, die die gesellschaftliche Entwicklung, vermittelt über die in die Diskurse verstrickten, aber tätigen Menschen, prägen und formen.

Diskurse konstituieren die Subjekte und werden durch die Subjekte im Prozess ihrer arbeitsteiligen Tätigkeit durch die Zeit aufrechterhalten und tradiert. Insofern kann man die Diskurse auch als Fluß von Wissen durch die Zeit bezeichnen. Sie kommen aus der Vergangenheit, fließen gleichsam durch die jeweiligen Gegenwarten und wirken in wie auch immer veränderter Form in die Zukunft hinein bzw. in der Zukunft weiter. Für die Aufrechterhaltung und Entwicklung der Diskurse spielen die Medien dabei eine ungeheuer wichtige Rolle. Wie man sich diesen Fluß von Wissen durch die Zeit vorzustellen hat, möchte ich anhand des folgenden sehr vereinfachten Schaubildes verdeutlichen:

Abb.1: Was ist der Diskurs?

Hier wird auch sichtbar, daß die Diskursstränge ein verzweigtes und fluktuierendes Gewimmel bilden, das Diskursanalyse zu entwirren versucht.

(Ich schlage dazu einige Termini vor, die bei der weiteren Verständignung hilfreich sein können:

1. Gesamtgesellschaftlicher Diskurs. Damit meine ich die Gesamtheit aller Diskursstränge, die in einer gegebenen Gesellschaft auftauchen und die in ihr ihre Geschichte, ihre Gegenwart und Zukunft haben. Zu ihm zählt der

2. Wissenschaftliche Spezialdiskurs, wie er in den verschiedensten Wissenschaften auftaucht, etwa der politologische.

Zu ihm zählt ferner

3. der sog. Interdiskurs. Damit ist der gesamte nicht-wissenschaftliche Alltagsdiskurs gemeint, zu dem aber auch populärwissenschaftliche Elemente zählen, Alltagstheorien, praktisches Wissen usw.

4. Zum gesamtgesellschaftlichen Diskurs gehören auch sog. Gegendiskurse, die sich dadurch auszeichnen, daß sie gegen den Strich des gesellschaftlichen Konsenses gerichtet sind.

5. Diskursstränge

Abb. 2: Diskursstränge

Diskursstränge sind thematisch einheitliche Folgen im Fluß des gesamten Wissens durch die Zeit. Es handelt sich nicht um glatt nebeneinaderstehende, einfach konturierte Gegebenheiten, sondern sie durchdringen und beinflussen einander gegenseitig. Ein solcher Diskursstrang wäre etwa der über das Thema Einwanderung und Flucht, der vielfach selbstverständlich mit anderen vermengt ist, etwa mit dem über die Nation, über die sozialen Gegebenheiten generell etc..

6. Diskursfragmente.

Diskursfragmente sind einzelne thematisch zu definierende Elemente von Wissen, wie sie in einzelnen Texten, Gesprächen usw. auftauchen. Sie sind sozusagen die elementaren Bausteine der Diskursstränge. Der Terminus Diskursfragment ist am ehesten mit dem überlieferten Begriff des Textes zu vergleichen, aber nicht mit ihm identisch, da Texte oft mehr als ein Diskursfragment enthalten und somit zugleich mehreren Diskurssträngen zuzuordnen sind.

7. Der siebte Terminus, den wir brauchen, ist der der Diskursebene (Abb. 3). Mit Diskursebene meinen wir die Orte, durch die sich die Diskursstränge voranwälzen bzw. hindurchgewälzt haben. Die wichtigsten sind:

– die politische Diskursebene

– die Ebene der Medien

– die Ebene der Erziehung in Alltag und Bildungseinrichtungen

– die Ebene des alltäglichen Sprechens und Schreibens und zuletzt

– die akademische Diskursebene

Diese Ebenen stehen in engen Zusammenhängen zueinander, indem sie sich gegenseitig beeinflussen und einander speisen.

8. Diskursive Ereignisse

Ereignisse aller Art werden erst dann zu diskursiven Ereignissen, wenn über sie massenhaft geschrieben und gesprochen wird.)

Gegebene Gesellschaften kann man sich nun als von einem Netz von Diskurssträngen überzogen vorstellen, die in ihrer Gesamtheit den gesellschaftlichen Gesamtdiskurs ausmachen. Im Prinzip wäre es daher auch möglich, dieses gesamte Netz zu analysieren, womit ein wichtiger Beitrag der Diskursanalyse zur Gesellschaftsanalyse geleistet wäre. Konkret wird man aber zunächst immer nur einzelne Diskursstränge auf bestimmten Diskurseben, also etwa der der Medien, herausfiltern können und deren Anschlußstellen an und Verknotungen mit anderen Diskurssträngen aufzeigen können.

(Zusätzliche Schwierigkeiten dürfte die historische Dimension bereiten, da sie ja immer auf Überlieferung von Wissen angewiesen ist und dabei oft oder sogar meistens mit verunreinigten Quellen zu tun hat.)

Da Diskurse nicht einfach abbrechen, sondern fortdauern, hat Diskursanalyse zudem eine gewisse prognostische Kraft, wobei selbstverständlich zu bedenken ist, daß bestimmte Ereignisse eintreten können, die die Richtung der Diskursstränge und des gesellschaftlichen Gesamtdiskurses insgesamt beeinflussen können. Dabei ist jedoch wichtig, daß die eintretenden Ereignisse als diskursive Ereignisse in Erscheinung treten werden und sie damit vom Fluß des Diskurses selbst wieder geprägt sein werden. Ein Ereignis kann etwa verschwiegen werden, zurechtgebogen werden oder aber in Politik und Medien auch diskursiv groß herausgestellt werden. Erst dann wird es wirklich wahrgenommen, also zu einem diskursiven Ereignis.

(Insofern läßt sich sagen, daß die prognostische Kraft von Diskursanalyse immerhin als so groß zu betrachten ist, daß sie für das sozialwissenschaftliche Konzept der Entwicklung von Zukunfts-Szenarien von einiger Bedeutung sein kann.

Diese hier nur grob skizzierten theoretischen Überlegungen sind auch bestimmend für die methodische Praxis der Diskursanalyse. So muß ich z.B. eine bestimmte endliche Menge von Diskursfragmenten analysieren, bevor ich sagen kann, daß ein Diskursstrang vollständig erfaßt ist. Dies ist dann der Fall, wenn die Analyse keine neuen Tatsachen mehr zu Tage fördert. Das klingt lapidar, ist aber wichtig, weil mir damit das heikle Problem der Reräsentativität und Verläßlichkeit in der sozialwissenschaftlichen Forschung gelöst zu sein scheint.

Nach unseren bisherigen Untersuchungen ist zu vermuten, daß hier bereits eine geringe Anzahl von Diskursfragmenten ausreicht.

Die Feinanalyse der Diskursfragmente ist bei uns sehr stark linguistisch orientiert, wobei sich nach Erprobung eines sehr umfangreichen Analyseschlüssels herausstellte, daß es hierbei eine überschaubare Menge wichtiger und eine Fülle unwichtiger Momente gibt.)

Besonders wichtig für unsere Zwecke ist etwa die Analyse sog. Kollektivsymbole, die oft mit Katachresen verbunden, die Diskursstränge zusammenhalten und vernetzen. Das System der Kollektivsymbole enthält das gesamte Spektrum der Sprachbilder, die für die Politik der Bundesrepublik Deutschland charakteristisch sind. Die Kollektivsymbole haben zudem eine Art „Fährenfunktion“ (Fähren ins Bewußtsein). Auf diesen Fähren kann „Wissen“ ins Bewußtsein geschleust und dort besonders intensiv verankert werden.

(Wichtig ist z.B. ferner die Analyse der Pronominalstruktur, durch die wir zu einer Art Aktanten-Partitur gelangen; ferner etwa die Analyse derArgumentationsfiguren, die Auskunft darüber erteilt, mit welchen Mitteln bestimmte Aussagen abgeschwächt, relativiert, geleugnet usw. werden. Zu erwähnen ist auch die Analyse der Implikate, der Anspielungen, der Präsuppositionen und Nahelegungen usw.)

(An dieser Stelle ergibt sich spätestens das Problem der Bewertung und Beurteilung bzw. der Interpretation der vorgenommenen Analysen, die ja zunächst nur feststellen können, was diskursiv der Fall ist. Die Frage lautet also: Woher nehmen wir die Maßstäbe für unsere Kritik, durch die Diskursanalyse zur Kritischen Diskursanalyse wird? Damit betreten wir ein weites und umstrittenes philosphisches Feld, worauf ich hier nur andeutungsweise eingehen kann.

Nimmt man einen bestimmten moralisch-politischen Standpunkt ein, wird man sich fragen lassen müssen, wie und woraus dieser Standpunkt begründet ist. Logisch-rationale Begründungen sind m.E. aber hier nicht möglich, denn mit logischen Mitteln ist die Frage nicht zu beantworten, ob etwa das Über-Leben der Menschheit wünschenswert sei oder nicht. Normative Begründungen scheitern daran, daß wir in einer Welt voller Normen leben, die sich häufig diametral widersprechen.

Wir versuchen unsere Kritik auf andere Weise zu fundieren, nämlich indem wir nicht von einem mehr oder minder beliebigen Standpunkt ausgehen, sondern von einem Konzept des dialektischen Abwägens unterschiedlicher Wert- und Normvorstellungen, dessen letztlicher Maßstab jedoch die Unterstellung ist, daß die Existenz des Menschen wertvoll ist und sein Recht, auf dieser Welt in Würde zu leben und zu sterben, unantastbar sein sollte. Hier haben wir es in allerletzter Instanz auch mit einem Standpunkt zu tun, mit einer moralischen Entscheidung, die letztlich nicht logisch begründbar ist. Sie vermeidet es aber, die eigene Sicht der vielfältigen Wirklichkeit für sakrosankt zu erklären und zu verabsolutieren.)

Ich fasse diesen ersten Teil, zugespitzt auf die Medien, wie folgt zusammen:

These 1

Die Medien in-formieren nicht nur, sie formieren Bewußtsein. Sie formieren und regulieren die Diskurse und die durch sie konstituierten Subjekte. Das können sie besonders gut, weil sie die verlaufenden Diskurse Tag für Tag erneut speisen. Für die Kohärenz der Diskurse sorgen insbesondere die Kollektivsymbole, die als System der politischen Symbolik der Bundesrepublik in Erscheinung treten (Dämme, Fluten, Haus, Burg, Flugzeug etc. etc.). Nicht sprachgebundene Bilder (Beispiel: ein Schwenk von diskutierenden Roma auf einen Schweinestall, in dem sich ein paar Säue suhlen) sind besonders suggestiv, da sie oft nicht rational aufgelöste oder auch auflösbare Assoziationen erzeugen. Der Schwenk auf die Schweine assoziiert, daß Roma eigentlich keine menschlichen Subjekte sind.

 

1.2. Was ist eigentlich Rassismus?

Nach heute gängiger Auffassung in den Sozialwissenschaften liegen – bei einigen Unterschieden im Detail – rassistische Haltungen dann vor, wenn die folgenden drei Faktoren zusammen auftreten:

1. Wenn Menschen anderen Aussehens oder mit anderen Sitten, Gebräuchen usw. als „Rassen“ konstruiert werden

2. Wenn aufgrunddessen eine negative (oder positive) Bewertung dieser Menschen erfolgt, und wenn dies

3. aus der Position der Macht heraus erfolgt, wodurch solche Haltungen erst ihre negativen Folgen für solche Menschen erhalten, da ihnen erst durch Taten oder ungeahndete Diskriminierungen greifbare Nachteile erwachsen.

Da nach unserer diskurstheoretischen Ausgangsposition Diskurse als solche aber bereits Macht ausüben, erübrigt sich für eine diskursanalytische Fassung des Rassismusbegriffs aber der Machtfaktor als gesondertes Element.

Das ist nicht ganz unwichtig, denn damit ist gesagt, daß das Auftreten eines Diskurses mit negativen Bewertungen von Einwanderern und Flüchtlingen als solches für diese Menschen bereits eine Gefahr darstellt, sie schädigt. Es sind also nicht erst Taten und Tätlichkeiten, die den Einwanderern und Flüchtlingen Gewalt antun, sondern es sind bereits die Texte, die sich gegen sie richten. Das kann jeder / jede konkret nachvollziehen, der heute z.B. eine türkische Familie zu Hause besucht. Psychische und physische Folgen des Rassismus in Deutschland sind hier ganz konkret beobachtbar.

Erst auf dem Hintergrund dieser Überlegungen konnten wir fragen:

Wodurch entsteht Rassismus in der Bevölkerung? Wo tritt er auf und in welcher Form geschieht dies? Wir mußten feststellen:

Rassistische Haltungen und Aussagen zeigen sich auf den unterschiedlichsten Diskursebenen und in den unterschiedlichsten Formen. Sie sind ebenso im Diskurs der Elite, in wissenschaftlichen Spezialdiekursen, im Diskurs der Politik, im Medien-Diskurs, etc. und demzufolge auch im Alltagsdiskurs zu finden. Dabei lassen sich offene, verdeckte aber auch „unausgesprochene“, nur implizit zu erschließende Aussagen mit rassistischem Gehalt antreffen.

Die Gesamtheit solcher rassistischer Haltungen und Aussagen im Diskurs über Einwanderer und Flüchtlinge bezeichnen wir als den rassistischen Anteil am Diskursstrang mit dem Thema Einwanderung und Flucht, der sich einerseits aus dem Gesamt des gesellschaftlichen Diskurses in eigenständiger Kontur herausschälen läßt, der andererseits aber mit anderen Diskurssträngen intensiv verbunden ist, insbesondere aber mit solchen, die, wie der Rassismus selbst, die Ausgrenzung und Schädigung anderer Menschen zur Folge haben, also z.b. mit dem nationalen bzw. nationalistischen Diskurs, mit dem zur Zeit hervorbrechenden Euthanasie-Diskurs, dem Anti-Obdachlosendiskurs, dem gegen Behinderte gerichteten Diskurs, dem sexistischen Diskurs, etc.

Diese Diskurse sind keineswegs harmlos. Sie sind es deshalb nicht, weil sie mit latanten Handlungsbereitschaften bzw. mit Macht verbunden sind, was unter bestimmten Bedingungen wie soziale Verunsicherung bzw. Sozialabbau in Taten und Tätlichkeiten münden kann bis hin zu Morden an Einzelnen und Brandanschläge wie in Schwandorf, Hünxe, Rostock, Mölln, Solingen und anderswo.

Wiederum zugespitzt auf die Medien ergibt sich die folgende

These 2:

Die Berichterstattung aller Medien über Einwanderung und Flucht (im weitesten Sinne) enthält (ob gewollt oder ungewollt) häufig rassistische, ethno- und eurozentrische Elemente. Sie ist daher für das Entstehen (und die Eskalation) zunehmender Verstricktheit der Bevölkerung in rassistische Diskurse mit-verantwortlich. Da Diskurse Handlungen zur Folge haben, erstreckt sich diese Mit-Verantwortung auch auf Taten und Tätlichkeiten.

 

1.3. Führt die Darstellung von Gewalt in den Medien zu Nachahmungstaten?

Meine Überlegungen zu diesem Punkt möchte ich sofort in eine These zu den Medien kleiden, ohne hier des langen und breiten über den Begriff der Gewalt zu reflektieren. Es geht über die Darstellung von Gewalttaten und Verbrechen und deren mögliche Folgen.

Meine 3. These lautet:

Die Darstellung von Gewalt in den Medien führt nicht automatisch, wie so oft gesagt wird, zu Nachahhmungstaten. Sie hat ambivalente Folgen. Es kommt darauf an, ob Gewalt als Lösung von Konflikten/Problemen und als „normal“ dargestellt wird oder ob dies nicht der Fall ist. Berichte über Anschläge führen nicht automatisch – wie oft gesagt wird – zu Nachfolgeverbrechen. Die Wellen von Gewalt gegen Flüchtlinge und Einwanderer haben andere Ursachen: Rassistisch angereicherte und angeheizte Diskurse (Beispiel: Kampagnen um neue Ausländergesetze oder den Asylartikel GG 16) erreichen die gesamte Gesellschaft und so auch alle die, die zu gewaltsamen Lösungen bereit und in der Lage sind.

 

2. Teil: Wie die Darstellung von Rassismus, Rechtsextremismus und Gewalt in den Medien zu Gewalt und Gewaltbereitschaft gegenüber Einwanderern und Flüchtlingen beiträgt

Hier werde ich mich zunächst und notwendigerweise exemplarisch mit den Printmedien befassen und abschließend noch einige Bemerkungen zu Film und Fernsehen hinzufügen.

Print-Medien

Die Medien schaffen zwar nicht den alltäglichen Rassismus, es handelt sich keineswegs um eine Einbahnstraße von den Medien hin zum Alltagsbewußtsein. Sie nehmen alltägliches Denken auf, spitzen es zu und reproduzieren solche Haltungen von Tag zu Tag immer wieder aufs Neue.

Bereits seit den späten 70er und frühen 80er Jahren läßt sich bei den Medien eine eigentümliche begriffliche Spaltung erkennen, wenn über Flüchtlinge berichtet wird. Seit dieser Zeit nämlich geistert die neue Bezeichnung „Asylant“ durch fast alle Medien.

Mit dem Terminus „Asylant“ werden vornehmlich bis ausschließlich nur diejenigen Flüchtlinge bezeichnet, die aus Ländern der sog. dritten Welt zu uns kommen, während für solche aus Osteuropa weiterhin der Begriff „Flüchtling“ angewendet wird. Durch diese Terminologie wird eine Aufspaltung in gute, zugangsberechtigte Flüchtlinge und schlechte, nicht berechtigte Flüchtlinge vorgenommen.

Die Flüchtlinge, das sind die politisch Verfolgten, von denen es auch nur wenige gibt. „Asylanten“, das sind die Massen, die uns bedrängen, die mit dem Grundgesetz Mißbrauch treiben usw. Unter Berücksichtigung der Gruppe der Aussiedler haben wir in den den Medien mit einer Hierarchie von Flüchtlingen zu tun, die der Spiegel im September 1991 in seiner Titelstory prägnant ausgeführt hat. Dort heißt es in negativer Steigerung: „Flüchtlinge, Aussiedler, Asylanten – Ansturm der Armen“

(Abb. 4: Spiegel-Titel mit Arche-Noah)

Dabei ist von Bedeutung, daß hier ein soziales Problem aufgespalten und die eine Seite ausgegrenzt wird.

Hinzu kommt, daß der Begriff „Asylant“ in eine Verbindung mit anderen kollektiven Symbolen gebracht wurde und wird, was mit zur Eskalation von Gewalt gegenüber fremden Menschen in unserem Land beigetragen hat.

Unter solchen Kollektiv-Symbolen verstehen wir dabei Bilder, die gleichzeitig Träger eines bestimmbaren Sinns sind. Das können Bilder im Wortsinne sein, also Fotos und Karikaturen, es können aber auch Sprachbilder sein. „Wichtig ist, daß diese Symbolik der Medien für den Großteil der Gesellschaft sofort den Effekt von ‚Verständlichkeit‘ hervorruft und eben ’sinnvoll‘ erscheint.“ (Gerhard 1992, S. 165)

Gerade an der Debatte über Flüchtlinge, die seit Jahren in den Medien geführt wird, läßt sich nachvollziehen, wie durch den Einsatz und den Gebrauch solcher Symboliken in der Bevölkerung ein Bedrohungsgefühl entstanden ist, das geradezu danach verlangt, die Gefahr endlich abzuwehren und nun endlich – auch gewaltsam – dagegen vorzugehen.

Denn die Flüchtlingsdebatte in der BRD wurde und wird nicht nur mit der Flut- und Boot-Symbolik in den Medien geführt. Hinzu kommt der militärische Symbol-Komplex, mit dem diesen Menschen begegnet wird.

(Abb. 5: Breiter Strom vom Balkan)

Der Effekt dieser Symbolik ist deutlich: Flüchtlinge und Einwanderer werden zur militärischen Bedrohung, zur feindlichen Armee, die die Bundesrepublik bzw. Westeuropa belagert.

Die Fülle der vorgefundenen Beispiele zeigt, daß die verschiedenen Symbole nicht isloliert voneinander funktionieren, sondern in einem Zusammenhang stehen. Die Diskursanalytikerin Ute Gerhard kommt in ihrer Untersuchung der Medien zu folgendem Ergebnis, dem wir uns gerne anschließen möchten. Sie schreibt:

Es „bilden die in den Medien zum Thema Asyl stereotyp wiederholten Symbole eine Kette von Äquivalenzen, aufgrund derer sich die folgenden Analogien ergeben. Die Bundesrepublik ist im Verhältnis zu Flüchtlingen und Einwanderern wie eine ‚Insel‘, ein ‚Land‘ ohne ‚Damm‘ angesichts von Fluten; wie ein ‚Boot‘, in den ‚Fluten‘ mit ‚geöffneten Schotten‘ bzw. ‚Undichtigkeiten‘, wie ein Land, bei dem trotz einer ‚Belagerung‘ bzw. ‚Invasion‘ die ‚Einfallstore‘ weit offenstehen, wie ein ‚Haus, in dem ein ‚Sprengsatz‘ deponiert wird; wie ein ‚Körper‘, der von ‚Krankheiten‘, ‚Giften‘, wie z.B. ‚Drogen‘ bedroht ist; wie eine ‚Haus‘ mit ’nicht funktionierender Tür‘ bzw. ‚Tor‘ angesichts des ‚Riesenandrängens‘ bzw. ‚Ansturms‘ und schließlich wie eine ‚Oase der Ordnung‘ die bedrängt wird von der ‚Wüste des Chaos'“ (Gerhard 1992, S. 170)

Hier wird ein Bild entworfen, das ein Subjekt in absoluter Bedrohung zeigt, eine Art imaginierter Notwehr-Situation, die geradezu nach Handlungsbedarf schreit. Und genau hier ist das Moment auszumachen, wo die Medien mit dazu beitragen, bei den Menschen im Lande Handlungsbereitschaften zur Gewalt zu erzeugen bzw. diese Gewalt als akzeptierbar und notwendig erscheinen zu lassen.

Wichtig aber ist, daß sich diese scheinbare Notwehrsituation allein aufgrund der bildlichen Logik der Symbole ergibt. Die gewaltätigen Gruppen, die angesichts dieser Formulierungen in den Medien zur Tat schritten und weiter zur Tat schreiten, müssen sich durch die Berichterstattung und Einschätzungen der Medien und Politiker dazu geradezu aufgefordert fühlen. Das erklärt auch mit, warum die TäterInnen von Hoyewerwerda, Hünxe, Rostock, Mölln, Solingen und anderswo ihre Taten auch damit rechtfertigten, sie seien nur die Vollzieher dessen, was der größte Teil der Bevölkerung will und wozu sich die Politiker nicht trauen. (Vgl. dazu Quinkert/Jäger 1991)

Nun könnte man meinen, die Medien seien nach den Ereignissen nach Hoeyerswerda, Hünxe, Rostock, Mölln und Solingen aufgewacht und hätten ihre Berichterstattung verändert oder doch zumindest stark modifiziert. Doch dies ist bei dem größten Teil leider nicht der Fall. Weiterhin wird von „Asylanten-Strömen“ gesprochen, weiterhin sehen viele JournalistInnen „die Dämme brechen“ und Deutschland „in einem Meer von Flüchtlingen versinken“.

Doch es ist noch etwas anderes hinzugekommen. Die Medien vollbringen das Kunststück, sich zugleich über die rassistisch motivierten Überfälle zu empören und rassistische Einstellungen weiter zu verfestigen.

Unsere Presseanalysen zur Berichterstattung über die Ereignisse in Rostock, die wir in dem Bändchen „SchlagZeilen“ herausgegeben haben, zeigen – ich fasse summarisch zusammen – , daß nahezu unisono die hinter dem Aufschrei verborgene Botschaft fast der gesamten Presse und nahezu aller AutorInnen darauf hinauslief, das Problem dadurch zu lösen, daß man die Grenzen dicht machen müsse, daß die unberechtigten Flüchlinge abzuschieben seien etc. Der Grundtenor dieser Berichterstattung muß deshalb als rassistisch bezeichnet werden.

Nach den Morden von Mölln befleißigte sich vor allem auch die Bildzeitung weiterhin dieser Doppelstrategie. Sie beschwört einerseits die Schande für Deutschland und bejubelt die Fahndungserfolge gegen die rassistischen Straftäter – zugleich schürt sie weiter Rassismus, spricht sie von „Asylanten“ und der „Flut“, derer nicht Herr zu werden ist, und: Gipfel der Hetze, sie beklagt auch den Familienzuzug, den sie für das Jahr 1992 auf 200 000 beziffert. Und dieser besteht bekanntlich vornehmlich aus TürkInnen. Im Klartext: Auch nach Mölln wurden die Opfer zu Tätern hochstilisiert.)

(Abb. 6: Der Täter von Mölln mit Hitlergruß)

Ein weiteres Beispiel dieser rassistischen Doppelstrategie lieferte wieder die BILD. In der BamS vom 30./31. Mai 1993 werden auf der Titelseite und im Inneren der Zeitung die Morde von Solingen heftigst angeprangert. Auf Seite 5 findet sich ein Artikel mit dem Titel

„Die Woche, die unser Land veränderte“.

Hier werden die Morde von Solingen mit keinem Wort erwähnt. Stattdessen heißt es unter der Überschrift:

„Asylantenstopp:

Das neue Asylrecht und der geänderte Artikel 16 verändern den Alltag: Der Asylantenzustrom wird gestoppt. Für viele Bürger eine Notwendigkeit, für viele aber auch ein Verlust an freihetlicher Tradition.“

Wieder wird der „Zustrom“ beschworen, den man „stoppen“ müsse; wieder ist die Rede von „Asylanten“, die uns bedrohen. Mit solcher Berichterstattung werden die nächsten rassistischen Eskalationen vorprogrammiert.

Diese Beispiele stehen für viele, nicht allein für BILD und SPIEGEL. Sie finden sich mehr oder minder deutlich in nahezu allen Zeitungen, von der liberalen ZEIT bis zur SÜDDEUTSCHEN ZEITUNG, von der WESTDEUTSCHEN ALLGEMEINEN bis zum STERN, im SPIEGEL und in FOCUS..

Fernsehen und Film

Und auch Ferseh- und sonstige Filmen haben dazu beigetragen, den Rassismus in der Bevölkerung zu schüren und rechtsextreme Ideen salonfähig zu machen.

Zur Zeit viel diskutiert wird der Film von Wilfried Bonengel „Von Beruf Neo-Nazi“. Dieser Film ist zugebenerweise miserabel und fragwürdig, insbesondere aber deshalb, weil er eine absolute Randfigur wie Ewald Althans zum Exponenten rechtsextremer Bewegung macht. Gegen die Darstellung von Tatsachen in Film und im Fernsehen, und Althans und sein neo-nazitisches Treiben sind Tatsachen, ist selbstverständlich nichts einzuwenden. Verschweigen dieser Tatsachen bedeutet, daß diese unhinterfragt weiterbestehen. Die Veröffentlichung dieser Tatsachen bildet die Grundlage für den notwendigen gesellschaftlichen Dialog. Dieser aber muß auch stattfinden. Das tut er nicht von selbst. Für diesen sind die Medien ebenfalls von großer Wichtigkeit: Sie hätten gründlich über die rechtsextreme Bewegung, ihre Ursachen und ihre Erfolgsbedingungen aufzuklären. Von allergrößter Bedeutung ist hier aber auch der Rechtsextremismus der Mitte: die Übernahme rechtsextremer Ideologeme in der gesellschaftlichen Mitte, wie sie seit einer Reihe von Jahren zu beobachten ist.

Wie ich bei einer Veranstaltung mit Fernseh- und Rundfunkjournalisten vor einigen Wochen beobachten konnte, macht der Film viele unmittelbar „betroffen“. Das aber verweist darauf, daß diesen Leuten die rechtsextreme Szene und ihre Funktion in der BRD relativ unbekannt sein müssen. Die Frage ist nicht, ob man ihn zeigen sollte, sondern die nach der Aufklärung über den Rechtsextremismus generell und über seine Auswirkungen in der Mitte der Gesellschaft. Auch aus dem Zusammenhang gerissene Tatsachen verzerren das Bild der Wirklichkeit. Der Film „Von Beruf Neo-Nazi“ ist ein Beispiel dafür.

Filme wie „Von Hünxe nach Solingen“ (ungefährer Titel), der kürzlich im Spiegel-tv gesendet und u.a. in Vox wiederholt wurde, sind aus einem anderen Grund gefährlich, hier z.B. weil dieser Film u.a. Verbrechen gegen Einwanderer und Flüchtlinge als Randgruppenproblem darstellt. Über weite Strecken wird die Verwahrlosungskarriere eines Jugendlichen ausgebreitet, und damit wird von den eigentlichen Ursachen des Rassismus in Deutschland abgelenkt. Die Gesellschaft als Ganze wird damit aus der Verantwortung entlassen.

Hinweisen möchte ich noch auf ein weiteres Beispiel von vielen, einen Film über Roma (sog. Zigeuner), der im vergangenen Jahr im ZDF in der Reihe „Zündstoff“ gelaufen ist. Titel: „Wenn die Zigeuner kommen. Roma suchen Asyl“. Unter dem Deckmantel objektiver Berichterstattung bestätigt und verstärkt dieser Film offen oder unterschwellig sämtliche Vorurteile, die wir Deutschen über „Zigeuner“ hegen. Er setzt diese Vorurteile zudem mit einer suggestiven Kollektivsymbolik ins Bild, durch die diese Menschen in die Nähe von schmutzigen Tieren und Ungeziefer gestellt werden. Über weite Strecken wird den dargestellten Menschen ihr Subjekt-Status bestritten, wodurch diese zum Freiwild stilisiert werden, auf das die Jagd eröffnet werden kann.

 

Rassismus im Alltag

Unsere Untersuchungen zum Alltagsdiskurs verweisen darauf, daß das alltägliche Denken und Tun im Hinblick auf Einwanderer und Flüchtlinge stark durch die Medien beeinflußt ist.

Die wesentlichen Ergebnisse unserer bisherigen Untersuchung von Alltagsdiskursen sind, ganz knapp zusammengefaßt, die folgenden:

1. Alle von uns Interviewten sind mehr oder minder stark in den rassistischen Diskurs verstrickt, egal, ob alt oder jung, männlich oder weiblich, egal, welche Partei sie wählen und welchen Beruf sie ausüben. Die Erkenntnis mag manchem lapidar und banal erscheinen. Sie ist es aber nicht, denn mit diesem Hinweis auf die Verstrickungen der jeweils Einzelnen in einen rassistischen Diskurs ist gleichzeitig gesagt, wie umfassend der Rassismus zur Denkweise unserer Gesellschaft gehört. Er ist also keineswegs als ein Problem der deutschen Jugend zu verharmlosen. Diese ist zwar auch in den rassistischen Diskurs verstrickt, und es sind vor allem Jugendliche, die zu offener Gewalt greifen. Sie verstehen sich aber dabei nur als diejenigen, die den Willen der Älteren ausführen und schon allein aus körperlichen Gründen in dieser Hinsicht stärker hervortreten.

Damit ist auch angesprochen, daß wir mit unserem Hinweis auf die umfassende, quasi flächendeckende Wirksamkeit von Rassismus nicht davon ausgehen, bei all diesen Leuten, die in den rassistischen Diskurs verstrickt sind, handele es sich um Rassisten. Mit dem Terminus der Verstrickung wollen wir auch verdeutlichen, daß es sich dabei vielfach um einen unhinterfragten Umgang mit rassistischen Konstruktionen handelt, was wiederum nicht heißen soll, nicht-rassistische Haltungen seien in der Bundesrepublik nicht möglich.

2. Rassismus wird oft verdeckt geäußert. Typisch sind Verleugnungsstrategien der Art: „Ich habe nichts gegen Ausländer, aber es sind doch zu viele hier. Unser Boot ist voll!“ Oder: „Ich bin nicht unbedingt dieser Ansicht. Aber mein Vater, und auf den ist Verlaß, meint, daß Ausländer für uns Deutsche eine Gefahr darstellen.“ Oder, um ein etwas schwierigeres Beispiel zu zitieren: „Ausländer sind doch auch Menschen!“. Hier drückt sich dadurch eine rassistische Haltung aus, daß eine Unterstellung, eine sogenannte Präsupposition, mitgedacht wird, eben daß man überhaupt davon ausgehen könnte, daß dies nicht der Fall wäre.

3. Insgesamt taucht ein Katalog von etwa 30 Vorurteilen auf, der von den meisten strikt geteilt wird. Insofern können wir sagen: Es handelt sich nicht um ein individuelles Problem, sondern um ein soziales. Die Vorurteile sind sozial fest verankert. Häufig handelt es sich um unzulässige Verallgemeinerung von Einzelfällen wie etwa: „Die Ausländer sind kriminell.“

4. Dieser Katalog von Vorurteilen findet sich auch in den Medien, und es ist zu vermuten, daß die Medien zur Verfestigung, wenn nicht sogar zur Erzeugung rassistischer Einstellungen erheblich beitragen. Ein Indiz dafür sind die von uns so genannten „journalistischen Schlüsselwörter“. Damit sind solche Begriffe und Wörter gemeint, die nicht zur „normalen“ Sprache des Ruhrgebiets gehören. Beispiele: Aggression, Ambition, „Asylant“, Diskriminierung, Identität, Infrastruktur, integrieren, Kultur oder Kulturkreis, Mentalität, Strukturwandel, – um nur einige zu nennen.) 5. Abgrenzungen und Ausgrenzungen werden mit Hilfe von sprachlichen Bildern markiert, wobei die Kollektivsymbolik eine sehr wichtige Rolle spielt. Beispiele: „Fluten bedrohen uns“, „Dämme müssen errichtet werden“, „eine Giftsuppe kocht hoch“ usw. Das Auftreten solcher Symbole im Alltagsdiskurs läßt stark vermuten, daß sich hier der Einfluß der Medien geltend macht.

Chrakteristisch für den Alltagdiskurs ist dabei die Verwendung von sogenannten Pragma-Symbolen. So wird das „Kopftuch“ zum Beispiel als konkreter Gegenstand und gleichzeitig als Symbol für Rückständigkeit angesprochen.

6. In der Bevölkerung herrscht noch ein erheblicher Antisemitismus. Dieser richtet sich aber vor allem gegen Türken, denen damit gedroht wird, daß es ihnen eines Tages gehen könnte wie den Juden.

7. Auch werden demokratische Argumente verwendet, um rassistische Einstellungen abzusichern: „Die Türken behandeln ihre Frauen schlecht, und deshalb lehnen wir sie ab, deshalb haben sie hier nichts zu suchen.“

8. Die Ausgrenzungen der Einwanderer und Flüchtlinge gehen einher mit latenten Handlungsbereitschaften. Damit ist nicht nur die Inkaufnahme und Einforderung von struktureller staatlicher Gewalt gemeint, wie dies bei der Abschiebung der Fall ist. Man will unter Umständen selbst Hand anlegen, um die Ausländer los zu werden. Insofern kamen die Beifallsbekundungen der Bürgerinnen und Bürger in Hoyerswerda, Rostock und andernorts für uns auch nicht überraschend.

9. Als Hauptquelle ihres Wissens nannten die von uns Interviewten Zeitungen und Fernsehen. Die Übereinstimmungen zwischen der Argumentationsweise der Medien und und der Leute, mit denen wir gesprochen haben, war oft frappierend.

Doch beim Zustandekommen solcher Bewußtseinsinhalte spielen auch andere Diskurse eine große Rolle, worauf ich an dieser Stelle, wo es ja zentral um die Medien geht, nur verweisen möchte.

 

3. Teil: Einige Anregungen zum Umgang mit Rechtsextremismus und Rassismus in den Medien

Ich beziehe mich im folgenden auf das eingangs erwähnte Papier des WDR-Rundfunkrates, wobei ich mich zusätzlich auf unsere eigenen Analysen und meinen diskursanalytischen Ansatz stütze.

1. Die zu beobachtende Berichterstattung über Einwanderer und Flüchtlinge, über deren Leben in Deutschland und in den Herkunftsländern, Berichte über Straftaten, die von ihnen und gegen sie unternommen werden, mobilisieren rassistische Sympathisanten und stärken den rassistischen Diskurs in der Bundesrepublik. Häufig popularisieren sie rechtsextremes Gedankengut und tragen so Mitverantwortung für Taten und Tätlichkeiten, die sich gegen diese Bevölkerungsgruppe richten. Dies liegt aber nicht in erster Linie daran, daß über diese Zusammenhänge berichtet wird, sondern wie dies geschieht.

2. Erforderlich ist deshalb eine besonders sensible und sorgfältige Gestaltung der Berichterstattung. Diese setzt einmal umfassendes Wissen über die in Frage stehenden Zusammenhänge und deren Hintergründe voraus, das auf Schulungen und Weiterbildungsveranstaltungen vermittelt werden sollte. Das aber genügt nicht allein. Wichtig ist darüber hinaus, daß Journalistinnen und Journalisten sich der Macht des Mediendiskurses bewußt sind oder werden und insbesondere auf Negativdarstellungen, begleitet von suggestiven Kollektivsymbolen, auf Nahelegungen, unausgesprochene Vorurteile und übertreibende bzw. verzerrende Schaubilder (s.o.) verzichten.

3. Einwanderer und Flüchtlinge sollen in Fernsehserien, in Fernseh- und Spielfilmen und der Werbung und in den Zeitungsberichten als normale Programmbestandteile bzw. Bestandteile der Berichterstattung einbezogen werden, um Vorurteile abzubauen; auch ausländische Journalstinnen und Journalisten sollten stärker in Erscheinung treten.

4. Der Alltag von Einwanderern und Flüchtlingen soll als selbstverständlicher Teil im Programm und in den Zeitungen vorkommen. Wichtig ist dabei, daß deutlich wird, daß sie nicht die Ursache allgemein gesellschaftlicher Probleme sind, sondern daß es diese, möglicherweise noch erschwert, auch gäbe, wenn es in diesem Land keine Einwanderer und Flüchtlinge gäbe.

5. Auch unter Einwanderern und Flüchtlingen gibt es selbstverständlich solche, die keine Engel sind. Darüber hinaus werden die Deutschen mit Verhaltensweisen und Strukturen konfrontiert, die anderen Wert- und Normsystemen angehören und vielen Deutschen als rückständig erscheinen und die möglicherweise auch wenig menschenfreundlich und demokratisch sind. Trotzdem muß uns allen bewußt sein, daß auch die Berichterstattung über solche negativen Ereignisse und Verhaltensweisen Rassismus schürt. Wir stehen hier vor einem typischen ethischen Dilemma, einem Dilemma, dem man m.E. aber nicht hilflos ausgeliefert ist.

Denn für seine Lösung bietet sich m.E. folgende Verfahrensweise an:

– Straftaten von Einwanderern und Flüchtlingen müssen immer auf dem Hintergrund der besonderen Situation dieser Bervölkerungsgruppe in Deutschland dargestellt werden. Ist ein solcher nicht gegeben, besteht auch keine Notwendigkeit, sie als Straftaten von Einwanderern und Flüchtlingen zu markieren.

– Hinweise auf andere Sitten und Gebräuche können dadurch relativiert werden, wenn jeweils deutlich gemacht wird, daß diese bei den Deutschen auch nicht einheitlich waren oder sind.

– Objektiv unmenschliche und die prinzipielle Würde der Menschen verletzende Normen und Werte – ein Beispiel wäre etwa die Blutrache – dürfen nicht bagatellisiert, sondern müssen kritisiert werden. Damit ist der schwierigste Fall angesprochen. Denn auch dies nährt Rassismus. Um dem entgegenzuwirken denke ich an eine Relativierungsstrategie: Die auch bei den Deutschen zu beobachtende Eifersucht, Neid, die Neigung, für die Todesstrafe zu plädieren, müssen als ebenso rückständige, wenn auch sozio-historische Negativhaltungen aufgezeigt werden, die gegen demokratische und allgemein menschliche Werte und Normen verstoßen. Das ist sicherlich manchmal schwierig, doch mit dieser Schwierigkeit fertig zu werden, sollte zum Handwerkszeug der Journalistinnen und Journalisten gehören.

6. Die Medien können die Probleme, die mit dem Vorhandensein von Rassismus und Rechtsextremismus verbunden sind, nicht lösen, allenfalls insofern sie selbst Teil des Problems sind. Sie sollten deshalb kontinuierlich und immer wieder Studien zu den Ursachen von Rechtsextremismus und Rassismus einfordern und darüber berichten, insbesondere auch über Gegenstrategien. Wichtig scheint mir besonders zu sein, die Konsequenzen der von den Rechtsextremisten angezielten Gesellschaftsordnung in Gestalt von Diktatur, Krieg und Verfolgung darzustellen und die selbstschädigende Art aller Formen von Ausgrenzung hervorzuheben; denn schließlich kann jeder Mensch in seinem Leben von Ausgrenzung, und sei es durch Krankheit oder Alter, betroffen sein.

7. Über den Rechtsextremismus und seine Konsequenzen muß gründlich aufgeklärt werden, nicht nur in Sondersendungen oder in Ausschnitten wie dies bei dem Beispiel von „Beruf Neo-Nazi“ der Fall ist. Hierzu gehören auch Rückbezüge auf den Faschismus des Dritten Reiches.

8. Über Rechtsextremisten soll nicht erst berichtet werden, wenn sie Brandanschläge verübt oder Demonstrationen durchgeführt haben. Auch deren alltägliches Leben, ihre politischen Vorstellungen und deren Konsequenzen sollten dargestellt werden. Wichtig ist dabei, daß sich die Medien nicht dazu mißbrauchen lassen, offenen oder verdeckteren Rechtsextremisten ein breites Forum zu geben. Und eigentlich versteht sich von selbst, daß strikt vermieden werden muß, daß die Medien rechtsextreme Gewalttaten inszenieren oder stärken.

9. Besondere Aufmerksamkeit sollte der Art von Rechtsextremismus gewidmet werden, der nicht in Glatze und Springerstiefel einherkommt. Als Beispiel nenne ich hier die Zeitschrift „Junge Freiheit“ und deren Umfeld, die den Versuch macht, den Rechtsextremismus zu intellektualisieren und vom Geruch der Nähe zum Nationalsozialismus zu befreien.

10. Das bedeutet auch, daß die Übernahme rechtsextremer Ideologeme in der Mitte der Gesellschaft, in sich ansonsten liberal gebenden Medien und Parteien besondere Beachtung und Kritik finden muß. Denn dadurch wird der Rechtsextremismus salonfähig gemacht und erreicht eine Wirksamkeit, die er aus eigener Kraft niemals hervorbringen könnte.

Das waren einige Anregungen, die sicher keine Vollständigkeit beanspruchen können. Sie sind sicherlich auch nicht in jedem Falle leicht umsetzbar. Hier sind nun die Fachleute gefragt!

 

Zitierte und weiterführende Literatur

Balibar, Etienne: „Es gibt keinen Staat in Europa“. Rassismus und Politik im heutigen Europa, in: Institut für Migrations- und Rassismusforschung (Hg.) 1992, S. 10-29

Butterwegge, Christoph/ Jäger, Siegfried (Hg.): Rassismus in Europa, Köln 1992

Cohen, Philip: Monströse Bilder – Perverse Vernunft. Probleme antirassistischer Pädagogik, in: Institut für Migrations- und Rassismusforschung 1992a, S. 431-443

ders.: Wandernde Identitäten, in: Leiprecht, R.(Hg.) 1992b, S. 77-92

van Dijk, Teun A.: Subtiler Rassismus in westlichen Parlamenten, in: Butterwegge, Ch./Jäger, S. (Hg.) 1992a, S. 200-212

ders.: Rassismus heute: Der Diskurs der Elite und seine Funktion für die Reproduktion des Rassismus, 2. Aufl. Duisburg 1992b

DISS: SchlagZeilen. Rostock: Rassismus in den Medien (Redaktion: Siegfried Jäger, Helmut Kellershohn, Joachim Pfennig), Duisburg 1992 (=DISS-Skripte Nr. 5)

Franz, Detlef: Biologie von oben. Rassismus in Biologiebüchern, Duisburg 1993

Gerhard, Ute: Wenn Flüchtlinge und Einwanderer zu Asylantenfluten werden – zum Anteil des Mediendiskurses an rassistischen Pogromen, in: Jäger, S./Januschek, F.(Hg.) 1992, S. 163-178

Hall, Stuart: Rassismus als ideologischer Diskurs, Das Argument 178 (1989), S. 913-921

Institut für Migrations- und Rassismusforschung (Hg.)(Redaktion: Annita Kalpaka/Nora Räthzel): Rassismus und Migration in Europa, Hamburg/Berlin 1992

Jäger, Margret/Jäger, Siegfried (Hg.) Aus der Mitte der Gesellschaft I. Zu den Ursachen von Rechtsextremismus und Rassismus in Europa, Duisburg 1991 (= DISS-Texte Nr. 20)

Jäger, Siegfried: BrandSätze. Rassismus im Alltag, 2., durchgesehene Aufl. Duisburg 1992, 3. Aufl. 1993

Jäger, Siegfried: Kritische Diskursanalyse. Eine Einführung, Duisburg 1993a

Jäger, Siegfried: Der Groß-Regulator. Analyse der BILD-Berichterstattung über den rassistisch motivierten Terror und die Fahndung nach der RAF im Sommer 1993, Duisburg 1993b

Jäger, Siegfried/Januschek, Franz (Hg.): Der Diskurs des Rassismus. Ergebnisse des DISS-Colloquiums im November 1991, Oldenburg 1992 (=Osnabrücker Beiträge zur Sprachtheorie 46 (1992))

Jäger, Siegfried/Link, Jürgen (Hg.): Die vierte Gewalt. Rassismus und die Medien, Duisburg 1993

Kellershohn: „Unser Programm heißt Deutschland“ – Der Beitrag der Republikaner zur Renaissance völkischen Denkens in Deutschland, in: Butterwegge/Jäger (Hg.) 1992, S. 86-104

Leiprecht, Rudolf (Hg.): Unter Anderen. Rassismus und Jugendarbeit, Duisburg 1992

Link, Jürgen: Asylanten. Ein Killwort, kultuRRevolution 2 (1983), S. 36-38

Miles, Robert: Rassismus. Einführung in die Geschichte und Theorie eines Begriffs, Hamburg 1991

Müller, Angelika: Die Sicht der „Fremden“ und der Ursachen ihrer Anwesenheit in der BRD, Duisburg 1992 (Magisterarbeit)

Quinkert, Andreas/Jäger, Siegfried: Warum dieser Haß in Hoyerswerda? Die rassistische Hetze von Bild gegen Flüchtlinge im Herbst 1991, Duisburg 1991 (=DISS-Skripten Nr. 4)

Räthzel, Nora: Formen von Rassismus in der Bundesrepublik, in: M. Jäger/S. Jäger (Hg.):1991, S.31-48

Reinfeldt, Sebastian/ Schwarz, Richard/ Foucault, Michel: Bio-Macht. (Reinfeldt/Schwarz: Biopolitische Konzepte der Neuen Rechten./ Foucault: Leben machen und sterben lassen. Die Geburt des Rassismus), Duisburg 1992 (=DISS-Texte Nr. 25)

Zippelius, Hanna-Maria: Die vermessene Theorie, Braunschweig 1992