Rechte Verschwörungskonstruktionen: Wie die Szene über den NSU spricht. Von Martin Dietzsch. Erschienen in DISS-Journal 23 (2012), 2-5
Anfang November 2011 wurde die bisher größte neonazistische Mordserie in der Bundesrepublik bekannt. Mitte der 1990er Jahre war aus einer freien Kameradschaft in Jena eine terroristische Zelle mit dem Namen Nationalsozialistischer Untergrund (NSU) entstanden, die von ihren legalen KameradInnen aktiv unterstützt wurde und bundesweit agierte.
Auf ihr Konto gehen nach derzeitigem Kenntnisstand zehn Morde, mehrere Sprengstoffanschläge und zahlreiche Banküberfälle. Während die Öffentlichkeit immer noch über die zahlreichen Fehleinschätzungen, Fahndungspannen und Ungereimtheiten beim Agieren von Sicherheitsbehörden und Geheimdiensten in diesem Fall rätselt, hat die extreme Rechte ein ganz anderes Problem. Zu den wichtigsten Unterstützern des NSU soll Ralf Wohlleben gehört haben; er ist ein ehemaliger hoher NPD-Funktionär und einer der führenden Köpfe der freien Kameradschaftsszene. Vieles deutet auf eine enge Verstrickung zwischen dem legalem und dem illegalen Flügel der Bewegung hin. In diesem Artikel möchte ich anhand einiger Beispiele einen Eindruck vermitteln, wie der militante Flügel der extremen Rechten propagandistisch mit der Aufdeckung des NSU umgeht. Ich konzentriere mich dabei schwerpunktmäßig auf die NPD und ihr Umfeld.
Die Thiazi-Kameraden und das Trio
Das bis zu seiner Abschaltung im Juni 2012 am stärksten frequentierte öffentlich einsehbare Forum deutschsprachiger Neonazis war das Thiazi-Netz. Der Server stand in den USA, die Betreiber verhielten sich konspirativ. Manch einer der Stammautoren hat bereits weit mehr als tausend Beiträge geschrieben. Man fühlte sich sicher. Gewaltverherrlichende Nicknames, Fotos von Nazimassenmördern wie Reinhard Heydrich als Avatar, Zitate von Nazigrößen als Motto, all das ist Alltag auf Thiazi.
Auslöser des Diskussionsstrangs zum Thema NSU war ein Artikel auf Spiegel-Online vom 8.11.2011, in dem erstmals von Spekulationen über einen möglichen Neonazi-Hintergrund beim Polizistenmord von Heilbronn die Rede war. Der Artikel wurde verfasst, als Beate Zschäpe sich noch auf der Flucht befand.
Erste Reaktion waren Anspielungen und Schmähungen gegen Alois Mannichl. Dies ist im Neonazi-Milieu fast schon so etwas wie ein bedingter Reflex, wenn Presseberichte über rechte Gewalttaten kommentiert werden. Mannichl, Leiter der Polizeidirektion der Stadt Passau, wurde im Dezember 2008 vermutlich von einem Neonazi vor seinem Haus durch eine Attacke mit einem Lebkuchenmesser verletzt. Der Täter wurde nie ermittelt. Seitdem wird das Opfer von Neonazis mit Schmähungen und Drohungen überschüttet. Die Stichworte Mannichl und Lebkuchen werden von jedem Neonazi verstanden, und bei diversen sich bietenden Gelegenheiten höhnisch-schenkelklopfend eingeworfen.
Der erste hämische und zugleich drohende Kommentar auf Thiazi zum NSU-Komplex lautete folglich: „Der Lebkuchenmann greift Gutmenschen an“. Ansonsten war man sich in den ersten Tagen weitgehend einig: Es handle sich um eine Presseente, morgen sei das ganze vergessen. Je mehr Details aber in den Medien durchsickerten, umso deutlicher wurde, dass das Thiazi-Milieu ganz unmittelbar mit dem NSU-Trio zu tun hatte. Schon am 10.9.2011 meldete sich jemand zu Wort, der offenbar über Hintergrundinformationen verfügte. „Alle gehörten damals zu ner Clique aus Jena wo auch Ralf Wohlleben zu gehörte.“ Bei der Nennung dieses Namens, der zu diesem Zeitpunkt noch nicht in den großen Medien gehandelt wurde (die Verhaftung Wohllebens erfolgte sogar erst am 29.11.2011), dürfte so mancher Thiazi-Freund zusammengezuckt sein. Der Unbekannte mit Hintergrundwissen empfahl eine neue Verteidigungslinie:
„Nach der Razzia wegen den Bomben 1998 sind Sie untergetaucht und Ihre Clique/Kumpels hatten keinen Schimmer was mit Ihnen ist und wohin Sie sich abgesetzt haben. Es ist nicht das erste Mal das ehmalige Nationale kriminell werden. Warum diese zur rechten Szene gezählt werden obwohl Sie wohl seit 1998 also seit 13 Jahren nicht mehr aktiv gewesen sind must Du die linken Medien fragen !!!“ (Fehler im Original)
Ein anderer Thiazi-Teilnehmer wunderte sich prompt, „dass es offensichtlich immer wieder Mitglieder einer asozialen Mischpoke in unsere Reihen schaffen“. Und ein dritter assistierte: „Ich finde der das riecht nach VS/Mossad Mord ;-)“. Die „Auserwählten“ würden sich bei solchen Nachrichten die Hände reiben, rief ein vierter. Das Deutungsmuster Geheimdienstverschwörung setzte sich bei fast allen Diskutanten als Entlastungsstrategie durch. Die rechte Szene sei in Wahrheit überhaupt nicht in den Fall involviert, es handle sich um eine Provokation von Geheimdiensten, die gegen Rechts inszeniert worden sei. Reflektion über die eigene Rolle, eine eindeutige Distanzierung oder gar Anflüge von Selbstkritik gab es nicht.
Im Gegenteil schimmerte bei einigen Autoren sogar eine verdeckte Sympathie mit dem rechten Terror durch. Einer äußerte anerkennend: „Ich will nicht ausschließen, dass die Jungs diesen Kulturbereicherern die Lichter ausgeblasen haben“, hielt dann aber die Umstände für so suspekt, dass er dann doch von einer Geheimdienstprovokation ausging. Der Autor „Weltfaschist“, der schon 7500 mal auf Thiazi geschrieben hat, kritisierte die Auswahl der Opfer und nannte zwei kritische Journalisten mit vollem Namen als gewünschte Anschlagsziele:
„Ich habe ja nichts gegen ein Netz von Untergrundkämpfern. Aber dann sollen bitte auch Namen wie […] oder […] fallen, und nicht so harmlose Dönerverkäufer.“
Der Autor „rolfsteiner“, der sich selbst als „Rechtspopulist“ einordnet, hielt dagegen: „Um die Polizeibeamtin tut es mir leid, aber bei den Türken bin ich mir nicht so sicher! Auch weiß ich nicht wie ich das Handeln der ‚NSU‘ werten soll, als Terror oder Landesverteidigung!“
Exkurs: „Rechtspopulismus“
Das zuständige Organ für „Rechtspopulismus“, das Blog „Politically Incorrect“ reagierte übrigens anders als erwartet. Statt sich von Neonazis, mit denen man ja angeblich nichts zu tun habe, zu distanzieren und sich als seriöse Rechte zu präsentieren, versuchte man anfangs, den Fall ins Lächerliche zu ziehen (PI veröffentlichte zum Beispiel eine FAZ-Karikatur über eine „Döner-Alm“), favorisierte ähnl