Von Astrid Hanisch und Margarete Jäger, erschienen in DISS-Journal 22 (2011).
Der Begriff „Gutmensch“ ist in der politischen Rede mittlerweile zu einem Kampfbegriff geworden, mit dem politische Gegner und Andersdenkende diffamiert und abqualifiziert werden sollen. Allerdings findet diese Diffamierung in der Regel nur von Seiten konservativer bis hin zu extrem rechter Personen statt und richtet sich gegen diejenigen, die sich für ein friedlich-schiedliches Miteinander unterschiedlicher Personengruppen einsetzen.
Bei der Zurückweisung der Stigmatisierung als „Gutmensch“ wird von den Betroffenen auch schon einmal darauf hingewiesen, der Begriff sei bereits im Nationalsozialismus verwendet worden. Implizit wird damit angeprangert, dass sich hier eine faschistische Sprech- und Denkweise fortsetze. In diesem Zusammenhang geistert im Internet das Duisburger Institut für Sprach- und Sozialforschung als eine Quelle dieser Behauptung. ((Bis vor kurzer Zeit wurde dies etwa in der Online-Enzyklopädie Wikipedia behauptet. Mittlerweile ist diese Behauptung allerdings aus dem entsprechenden Wikipedia-Artikel verschwunden und kann nur noch auf der Diskussionsseite nachgefolgt werden.)) Obwohl vom DISS niemals behauptet worden ist, der Begriff des „Gutmenschen“ gehöre zum nationalsozialistischen Sprachrepertoire, sind wir dieser Behauptung nachgegangen. Dabei interessierte uns auch und vor allem seine diskursive Funktion.
Als Beleg für den nationalsozialistischen Bezug wird ein Beitrag von Julius Streicher im Stürmer genannt. ((Julius Streicher: Der Kampf gegen Alljuda. Der Stürmer. Jg. 37, 1941, 1-2.)) Die dortige Rede vom „guten Menschen“ hat allerdings eine andere Bedeutung, so dass nicht davon gesprochen werden kann, dieser Begriff stamme aus der Sprache der Faschisten. Allenfalls lässt sich sagen, dass mit dem Terminus des „Gutmenschen“ eine Diskursstrategie eingeschlagen wird, die auch im Nationalsozialismus praktiziert wurde und mit der politische Gegnerinnen diffamiert und isoliert werden sollen. ((Dies hat auch Volker Weiß herausgearbeitet (Weiß 2011). Im Folgenden beziehen wir uns daher auch auf den Abschnitt „Feindbestimmung: „der gute Mensch“ aus seinem Buch (97-106) S. auch die Rezension von Helmut Kellershohn in dieser Ausgabe S. 44.))
In dem Artikel von Julius Streicher heißt es:
„Veranlagung und Erziehung machen den guten und den schlechten Menschen. Es kennzeichnet den guten Menschen, daß er an das Vorhandensein des Schlechten erst dann glaubt, wenn er es mit eigenen Augen sehen kann. Auf die Gutgläubigkeit der Guten baute sich die Berechnung jener auf, die ein Interesse daran hatten, das jüdische Volk als ein ausgewähltes Gottesvolk in Erscheinung treten zu lassen.“
Die Unterstellung von Gutgläubigkeit kommt zwar dem Vorwurf gegenüber den `Gutmenschen` nahe, diese seien naiv und verblendet. Aber das ist es dann auch schon. Dem „guten Menschen“ wird hier eine andere Bedeutung zugewiesen: Sie gehören zu den ‚Volksgenossen’, deren Menschenbild durch die Nationalsozialisten korrigiert werden kann, in dem diese die „Berechnung jener […], die ein Interesse daran hatten, das jüdische Volk als ein ausgewähltes Gottesvolk in Erscheinung treten zu lassen“ ,durchkreuzen.
Die Gegner sind in der Perspektive von Julius Streicher also nicht die „guten Menschen“, sondern die Juden. Die “guten Menschen“ können allenfalls als Werkzeuge in den Händen anderer gelten. ((Weitere Quellen, in denen in national-sozialistischen Schriften das Kompositum „Gutmensch“ auftaucht, liegen uns nicht vor.))
Das ist im derzeitigen Anti-PC-Diskurs anders. Hier gelten „Gutmenschen“ nicht bloß als irregeleitet, gutgläubig und naiv, die die Bedrohung durch `Ausländer`, `Drogenabhängige`, `Kriminelle` oder durch den `Islam` etc. ignorieren. Ihnen wird darüber hinaus eine machtvolle Position zugeschrieben. Sie mache es möglich, dass durch ihre Ignoranz die degenerierenden und zersetzenden Effekte für die Gesellschaft überhaupt erst zur Gefahr würden. Dies ist ein zentraler Unterschied zu Streichers `guten Menschen`. Diese werden vom `Juden` missbraucht – der `Gutmensch` missbraucht seine Macht.
Dass aktuelle Vertreterinnen des Anti-PC-Diskurses meinen, die Vorherrschaft der `Gutmenschen` durch vermeintliche `Tabubrüche` bekämpfen zu müssen, verweist darauf, dass sie von deren `Meinungsdiktat` ausgehen. Vielfach argumentieren sie sogar, die vermeintliche Tabuisierung durch die `Gutmenschen` würde die Meinungsfreiheit und letztlich die Demokratie gefährden. Diese Abwehrhaltung produziert auch Thilo Sarrazin, wenn er schreibt:
„(…) dass die sogenannten Gutmenschen über mich herfielen, als ich in einem Interview beiläufig erwähnte, dass das Tragen eines Pullovers helfen könnte, Energiekosten zu sparen, da man dann weniger heizen müsse.“ (Sarrazin 2010, 10)
Die so genannten `Gutmenschen` entwickeln offenbar eine Aggressivität, gegen die man sich augenscheinlich verteidigen muss, denn sie `fallen über einen her`. Volker Weiß spricht in diesem Zusammenhang von einer „Paranoia vor einer political correctness und dem Begriff des ‚Gutmenschen’“, der „eine interessante Variante der Abwehraggression inne[wohne]. Sie richtet sich gegen eine Position, die im Verdacht ethischer Überlegenheit steht, und pocht dabei regelrecht darauf, selbst nicht „gut“ zu sein, also nunmehr ausschließlich im Partikularinteresse handeln zu können.“ (Weiß 2011, 101) ((Wie stark die Sinnestrübungen der PC-Kritiker sein können, lässt sich in der Debatte um das Buch von Thilo Sarrazin sehr gut nachzeichnen. Immer wieder wurde von Zensur und Einschränkung der Redefreiheit gesprochen und dabei übersehen, dass es in zwei wichtigen meinungsbildenden Organen, Dem Spiegel und der Bild-Zeitung Vorabdrucke des Buches gab.))
Doch die Bedeutung des Terminus „Gutmensch“ war nicht immer so eindeutig. 1997 deklarierte sich Kurt Scheel, Autor, Journalist und Mitherausgeber des Merkur- Deutsche Zeitschrift für europäisches Denken in der Frankfurter Rundschau zum Schöpfer des Wortes ‚Gutmensch’:
„Als Erfinder des Wortes Gutmensch – es stand zum ersten Mal 1992 im Januarheft des ‚Merkur‘ – möchte ich darauf hinweisen, daß es nur ‚als süffisante, Heiterkeit erzeugende Bemerkung angesichts eines berufsmäßigen Moralisten‘ benutzt werden darf.“ (zitiert nach: Eichinger / Wiesinger 2004: 148)
In dieser überspitzten und eher humoristischen Bedeutung sollte der Begriff offenbar in Umlauf gebracht werden. Doch demonstriert die Genese des Bedeutungswandels dieses Begriffes auch, dass es nicht einzelne Personen sind, die über die Bedeutung von Begriffen entscheiden, sondern dass es sich hierbei um einen diskursiven Prozess handelt. ((Von der Gesellschaft für deutsche Sprache wird noch eine weitere Quelle des Begriffs `Gutmensch` angegeben. So habe die US-amerikanische Zeitschrift Forbes 1985 den Begriff auf den damaligen IG Metall-Gewerkschaftsführer Franz Steinkühler bezogen. Die Gesellschaft will aber hieraus keinen Transfer zum deutschen Sprachgebrauch ableiten. Dies auch deshalb, weil „das grammatische Muster ‚ungebeugtes Adjektiv + Substantiv’ im Deutschen seit Jahrhunderten existiert und viele Komposita hervorgebracht hat“ (http://www.gfds.de/index.php?id=112, Abruf 14.10.2011).))
Volker Weiß führt die Popularität und Reichweite des Begriffs auf das Wörterbuch des Gutmenschen zurück. (Weiß 2011: 99) Dieses Wörterbuch wurde von Klaus Bittermann und Gerhard Henschel 1994 als Kritik an einer inhaltsleeren Sprache herausgegeben, mit der politischer Protest zu einer lediglich moralischen Empörung weichgekocht werde. Der Untertitel des Wörterbuches des Gutmenschen lautete deshalb auch: Zur Kritik der moralischen Schaumsprache. Die Herausgeber wendeten sich gegen den moralisierenden Impetus der `Gutmenschen`. Sie verstanden das „Wörterbuch […] vor allem (als) ein Projekt der Selbstkritik. Primär ging es darum, eine denkfaul gewordene Linke aus ihrer geistigen Verfettung zu schrecken, indem man sie dessen bezichtigte, was ihre Vorväter am meisten gehasst hatten: des biederen Moralismus.“ (Weiß 2011: 99) Insofern ist das Wörterbuch des Gutmenschen in die Tradition von Gustave Flauberts Wörterbuch der Gemeinplätze, Victor Klemperers Lingua Tertii Imperii oder dem Wörterbuch des Unmenschen von Dolf Sternberger, Gerhard Storz und Wilhelm Süskind zu stellen. (Vgl. Weiß 2011: 99.)
Die Kritik im Wörterbuch des Gutmenschen richtete sich aber nicht nur gegen die Moralisierung und Entpolitisierung von Sprache. Sie benannte auch einen Trend zum Konservativismus und Nationalismus. Formulierungen wie „Gerade wir als Deutsche“ würden das damals jüngst vereinigte Deutschland auf einen nationalen Normalisierungskurs bringen:
„Mit den Verbrechen der Nazis lässt sich jedoch keine ‚besondere Verantwortung’ begründen. […] Wenn sich aus der Vergangenheit etwas ableiten ließe, dann höchstens: Gerade wir als Deutsche sind besonders verpflichtet, die Klappe zu halten.“ (Bittermann / Henschel 1994: 64f.)
Die konservative Wende bzw. das Schlussstrichdenken nach 1989 scheint in der Tat dazu beigetragen zu haben, dass der Begriff des `Gutmenschen` so populär wurde. Er konnte und wurde umgehend von einem Anti-PC-Diskurs adaptiert, der in Deutschland vor allem von der politischen Rechten beflügelt wird. Dadurch wurde die ursprünglich selbstreflexive, ironische Bedeutung negiert und der Begriff zu einem Kampfbegriff umgedeutet.
Solche Diskursstrategien sind allerdings überhaupt nicht neu. Anhand eines Artikels von Heinrich von Treitschke aus dem Jahr 1879 arbeitet Volker Weiß interessante Parallelen zur Sarrazin-Debatte 2010 heraus. Der Treitschke-Text enthalte „wohlfeile Angriffe auf Positionen, die heute als ‚gutmenschlich’ bezeichnet werden würden. […] Mit der Geste, über Minderheiten schonungslos zu sagen, was andere aufgrund menschenfreundlicher Konventionen nicht auszusprechen wagen, konnte man also schon im 19. Jahrhundert Furore machen.“ (Weiß 2011: 102)
Auch der Abdruck der Rede von Gerhard Wagner, seinerzeit Leiter des Hauptamtes für Gesundheit, zum Thema Rasse und Volksgesundheit auf dem NSDAP-Parteitag von 1934 enthält eine Passage, in der dem politischem Gegner Gefühlsduselei und Irrationalität unterstellt wird:
„Mit aller Schärfe sei aber auch an dieser Stelle noch einmal der Gedanke zurückgewiesen, daß der Eingriff in die Lebensrechte der erblich Schwachsinnigen, Geisteskranken oder sonst schwer Belasteten aus ethischen und religiösen Gründen abzulehnen sei. Die göttliche Kraft, die die Welt schuf und ihr ihre Gesetze gab, hat selbst die Gesetze der Auslese im Daseinskampf, d.h. die oft brutale Vernichtung des Untauglichen und nicht voll Tüchtigen auch über das Leben und die Menschen gestellt. Und indem wir diesen Gesetzen mit humanen Mitteln nach einer langen Zeit der Verwirrung wieder Geltung verschaffen, dienen wir in Wahrheit dem wirklichen Willen des Schöpfers nach Aufstieg und Gesundheit des Menschengeschlechts, den eine falsche und krankhafte Humanitätsduselei durchkreuzt und verraten hat.“ (Wagner 1934, 271f.)
In heutiger Zeit hätte er auch von „Gutmenschen“ sprechen können.
Eine ähnliche rhetorische Funktion hat mittlerweile auch der Begriff „political correctness“, der auch einem Bedeutungswandel unterzogen wurde. Auch er ist in der politischen Auseinandersetzung zu einem negativen Kampfbegriff geworden. Im „Heimatland“ USA war das nicht immer so. Unter „political correctness“ wurde zunächst ein bewusster Umgang mit Sprache verstanden, der Herrschafts- und Unterdrückungsverhältnisse sichtbar und kritisierbar machen kann. Dieses Ansinnen ging stark von amerikanischen Universitäten aus und wollte durch das Verbot oder die Tabuisierung bestimmter sprachlicher Wendungen dazu beitragen, Minderheiten vor Diskriminierungen zu schützen. So wurden z.B. Lehrpläne und Studienordnungen sprachlich so abgeändert und modifiziert, dass gesellschaftliche Minderheiten explizit berücksichtigt oder diskriminierende Effekte ausgeschaltet wurden. Dies führte zu Reaktionen von neokonservativer Seite, die die Meinungsfreiheit und das Leistungsdenken dadurch eingeschränkt sahen. Das war in Deutschland anders. Hier war Political Correctness „von Beginn an eng mit der Frage historisch korrekten Sprechens verbunden, das heißt, ‚Political Correctness’ trat hier vor allem als ‚historische Korrektheit’ in Erscheinung […] (die) bis heute dazu dient, revisionistische und antisemitische Themen öffentlichkeitswirksam zu aktivieren.“ (Hölscher 2008: 64)
Mit der Kritik an `Gutmenschen` und ‚political correctness’ soll eine Kritik an ausgrenzenden Diskursen und Praktiken mundtot gemacht werden, in dem deren Verfechterinnen zu Feinden der Nation stilisiert werden. Der offenbar zur kritischen Selbstreflexion eingeführte Begriff des `Gutmenschen` kann heute allein als eine diffamierende Fremdzuschreibung durch die politische Rechte bezeichnet werden, der darauf abzielt, demokratische und emanzipative Bestrebungen abzuwerten und zu verspotten.
Literatur:
Bittermann, Klaus; Henschel, Gerhard (Hg.) 1994: Das Wörterbuch des Gutmenschen. Zur Kritik der moralisch korrekten Schaumsprache, Berlin.
Hölscher; Lucian (Hg.) 2008: Political Correctness. Der Sprachpolitische Streit um die nationalsozialistischen Verbrechen, Göttingen.
Eichinger, Ludwig M.; Wiesinger, Peter (Hg.) 2004: Neuer Wortschatz. Neologismen der 90er Jahre im Deutschen, Berlin.
Sarrazin, Thilo 2010: Deutschland schafft sich ab. Wie wir unser Land aufs Spiel setzen, München: DVA
Wagner, Gerhard 1934: „Rede über Rasse und Volksgesundheit auf dem NSDAP-Parteitag 1934“, in: Streicher, Julius (Hg.), Reichstagung in Nürnberg 1934. Herausgegeben im Auftrage des Frankenführers Julius Streicher, Berlin, 249-284.
Weiß, Volker 2011: Angriff der Eliten: Von Spengler bis Sarrazin, Paderborn.